Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Wirkungen des elektrischen Stroms.
der negativen. Man erkennt dies daran, dass die erstere schon zu
glühen anfängt, während die letztere noch dunkel ist.

Die Entstehung des Lichtbogens hängt offenbar mit dem Oeff-
nungsfunken innig zusammen. Indem man die sich berührenden
Spitzen von einander trennt, entsteht ein Oeffnungsfunke: durch den
letzteren werden von der einen Elektrode zur andern Substanztheil-
chen übergeführt, welche eine Leitung von sehr kleinem Querschnitt
bilden, die wegen ihres grossen Widerstandes in's Glühen geräth. Die
so hergestellte Kette bleibt dann durch die Theilchen, welche fort-
während losgerissen werden, geschlossen.

Die Leiter erster Classe erfahren ausser den angeführten Wärme-324
Chemische Wir-
kungen des
Stroms. Elek-
trolyse.

und Lichtwirkungen keine Veränderung, so lange der elektrische
Strom durch dieselben fliesst. Dagegen ist in den Leitern zweiter
Classe die Bewegung des Stroms stets mit chemischen Zersetzungen
verbunden. Solche Zersetzungen treten bei den schwächsten Strömen
schon ein, und Flüssigkeiten, die nicht durch den Strom zersetzt wer-
den, leiten auch den Strom nicht. Wir müssen also die chemische
Action bei den Leitern zweiter Classe als eine mit der Leitung nothwendig
verknüpfte Erscheinung betrachten. Zur leichteren Orientirung in die-
sem Gebiete chemischer Wirkungen hat Faraday folgende Nomen-
clatur eingeführt. Die in die leitenden Flüssigkeiten tauchenden Pole
der Kette bezeichnet er als Elektroden. Den ganzen Vorgang der
chemischen Zersetzung durch den Strom nennt er Elektrolyse, die
Körper, welche zersetzt werden, Elektrolyte, und die Substanzen,
welche an den Elektroden ausgeschieden werden, Ionen. Von den
Elektroden wird die positive als Anode, die negative als Kathode
bezeichnet. Die elektropositiven Zersetzungsproducte werden Anio-
nen
, die elektronegativen Kationen genannt. Nach dem allgemeinen
elektrischen Anziehungsgesetz werden an der Anode die Kationen
und an der Kathode die Anionen ausgeschieden.

Ein Beispiel chemischer Zersetzung durch den elektrischen Strom
haben wir in der Zersetzung des Wassers im Voltameter bereits ken-
nen gelernt. An der Anode entwickelt sich Sauerstoff, an der Ka-
thode Wasserstoff. Im Voltameter werden diese beiden Gase ge-
mischt, als s. g. Knallgas, aufgesammelt. Richten wir aber den Ver-
such so ein, dass wir beide Elektroden in etwas grössere Entfernung
von einander bringen und über jede ein Eudiometer stürzen, so lassen
sich die Gase getrennt auffangen, und man findet dann, dass 2 Vol.
Wasserstoff auf 1 Vol. Sauerstoff ausgeschieden werden; im selben
Verhältniss sind aber beide Gase im Wasser enthalten. Eine andere
Art elektrolytischer Zersetzung haben wir bei Gelegenheit der con-
stanten Ketten kennen gelernt. Wir sahen dort, dass, wenn wir z. B.
Kupferelektroden in eine Kupferlösung tauchen, an der Anode Kupfer

Wirkungen des elektrischen Stroms.
der negativen. Man erkennt dies daran, dass die erstere schon zu
glühen anfängt, während die letztere noch dunkel ist.

Die Entstehung des Lichtbogens hängt offenbar mit dem Oeff-
nungsfunken innig zusammen. Indem man die sich berührenden
Spitzen von einander trennt, entsteht ein Oeffnungsfunke: durch den
letzteren werden von der einen Elektrode zur andern Substanztheil-
chen übergeführt, welche eine Leitung von sehr kleinem Querschnitt
bilden, die wegen ihres grossen Widerstandes in’s Glühen geräth. Die
so hergestellte Kette bleibt dann durch die Theilchen, welche fort-
während losgerissen werden, geschlossen.

Die Leiter erster Classe erfahren ausser den angeführten Wärme-324
Chemische Wir-
kungen des
Stroms. Elek-
trolyse.

und Lichtwirkungen keine Veränderung, so lange der elektrische
Strom durch dieselben fliesst. Dagegen ist in den Leitern zweiter
Classe die Bewegung des Stroms stets mit chemischen Zersetzungen
verbunden. Solche Zersetzungen treten bei den schwächsten Strömen
schon ein, und Flüssigkeiten, die nicht durch den Strom zersetzt wer-
den, leiten auch den Strom nicht. Wir müssen also die chemische
Action bei den Leitern zweiter Classe als eine mit der Leitung nothwendig
verknüpfte Erscheinung betrachten. Zur leichteren Orientirung in die-
sem Gebiete chemischer Wirkungen hat Faraday folgende Nomen-
clatur eingeführt. Die in die leitenden Flüssigkeiten tauchenden Pole
der Kette bezeichnet er als Elektroden. Den ganzen Vorgang der
chemischen Zersetzung durch den Strom nennt er Elektrolyse, die
Körper, welche zersetzt werden, Elektrolyte, und die Substanzen,
welche an den Elektroden ausgeschieden werden, Ionen. Von den
Elektroden wird die positive als Anode, die negative als Kathode
bezeichnet. Die elektropositiven Zersetzungsproducte werden Anio-
nen
, die elektronegativen Kationen genannt. Nach dem allgemeinen
elektrischen Anziehungsgesetz werden an der Anode die Kationen
und an der Kathode die Anionen ausgeschieden.

Ein Beispiel chemischer Zersetzung durch den elektrischen Strom
haben wir in der Zersetzung des Wassers im Voltameter bereits ken-
nen gelernt. An der Anode entwickelt sich Sauerstoff, an der Ka-
thode Wasserstoff. Im Voltameter werden diese beiden Gase ge-
mischt, als s. g. Knallgas, aufgesammelt. Richten wir aber den Ver-
such so ein, dass wir beide Elektroden in etwas grössere Entfernung
von einander bringen und über jede ein Eudiometer stürzen, so lassen
sich die Gase getrennt auffangen, und man findet dann, dass 2 Vol.
Wasserstoff auf 1 Vol. Sauerstoff ausgeschieden werden; im selben
Verhältniss sind aber beide Gase im Wasser enthalten. Eine andere
Art elektrolytischer Zersetzung haben wir bei Gelegenheit der con-
stanten Ketten kennen gelernt. Wir sahen dort, dass, wenn wir z. B.
Kupferelektroden in eine Kupferlösung tauchen, an der Anode Kupfer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0511" n="489"/><fw place="top" type="header">Wirkungen des elektrischen Stroms.</fw><lb/>
der negativen. Man erkennt dies daran, dass die erstere schon zu<lb/>
glühen anfängt, während die letztere noch dunkel ist.</p><lb/>
          <p>Die Entstehung des Lichtbogens hängt offenbar mit dem Oeff-<lb/>
nungsfunken innig zusammen. Indem man die sich berührenden<lb/>
Spitzen von einander trennt, entsteht ein Oeffnungsfunke: durch den<lb/>
letzteren werden von der einen Elektrode zur andern Substanztheil-<lb/>
chen übergeführt, welche eine Leitung von sehr kleinem Querschnitt<lb/>
bilden, die wegen ihres grossen Widerstandes in&#x2019;s Glühen geräth. Die<lb/>
so hergestellte Kette bleibt dann durch die Theilchen, welche fort-<lb/>
während losgerissen werden, geschlossen.</p><lb/>
          <p>Die Leiter erster Classe erfahren ausser den angeführten Wärme-<note place="right">324<lb/>
Chemische Wir-<lb/>
kungen des<lb/>
Stroms. Elek-<lb/>
trolyse.</note><lb/>
und Lichtwirkungen keine Veränderung, so lange der elektrische<lb/>
Strom durch dieselben fliesst. Dagegen ist in den Leitern zweiter<lb/>
Classe die Bewegung des Stroms stets mit chemischen Zersetzungen<lb/>
verbunden. Solche Zersetzungen treten bei den schwächsten Strömen<lb/>
schon ein, und Flüssigkeiten, die nicht durch den Strom zersetzt wer-<lb/>
den, leiten auch den Strom nicht. Wir müssen also die chemische<lb/>
Action bei den Leitern zweiter Classe als eine mit der Leitung nothwendig<lb/>
verknüpfte Erscheinung betrachten. Zur leichteren Orientirung in die-<lb/>
sem Gebiete chemischer Wirkungen hat <hi rendition="#g">Faraday</hi> folgende Nomen-<lb/>
clatur eingeführt. Die in die leitenden Flüssigkeiten tauchenden Pole<lb/>
der Kette bezeichnet er als <hi rendition="#g">Elektroden</hi>. Den ganzen Vorgang der<lb/>
chemischen Zersetzung durch den Strom nennt er <hi rendition="#g">Elektrolyse</hi>, die<lb/>
Körper, welche zersetzt werden, <hi rendition="#g">Elektrolyte</hi>, und die Substanzen,<lb/>
welche an den Elektroden ausgeschieden werden, <hi rendition="#g">Ionen</hi>. Von den<lb/>
Elektroden wird die positive als <hi rendition="#g">Anode</hi>, die negative als <hi rendition="#g">Kathode</hi><lb/>
bezeichnet. Die elektropositiven Zersetzungsproducte werden <hi rendition="#g">Anio-<lb/>
nen</hi>, die elektronegativen <hi rendition="#g">Kationen</hi> genannt. Nach dem allgemeinen<lb/>
elektrischen Anziehungsgesetz werden an der Anode die Kationen<lb/>
und an der Kathode die Anionen ausgeschieden.</p><lb/>
          <p>Ein Beispiel chemischer Zersetzung durch den elektrischen Strom<lb/>
haben wir in der Zersetzung des Wassers im Voltameter bereits ken-<lb/>
nen gelernt. An der Anode entwickelt sich Sauerstoff, an der Ka-<lb/>
thode Wasserstoff. Im Voltameter werden diese beiden Gase ge-<lb/>
mischt, als s. g. Knallgas, aufgesammelt. Richten wir aber den Ver-<lb/>
such so ein, dass wir beide Elektroden in etwas grössere Entfernung<lb/>
von einander bringen und über jede ein Eudiometer stürzen, so lassen<lb/>
sich die Gase getrennt auffangen, und man findet dann, dass 2 Vol.<lb/>
Wasserstoff auf 1 Vol. Sauerstoff ausgeschieden werden; im selben<lb/>
Verhältniss sind aber beide Gase im Wasser enthalten. Eine andere<lb/>
Art elektrolytischer Zersetzung haben wir bei Gelegenheit der con-<lb/>
stanten Ketten kennen gelernt. Wir sahen dort, dass, wenn wir z. B.<lb/>
Kupferelektroden in eine Kupferlösung tauchen, an der Anode Kupfer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0511] Wirkungen des elektrischen Stroms. der negativen. Man erkennt dies daran, dass die erstere schon zu glühen anfängt, während die letztere noch dunkel ist. Die Entstehung des Lichtbogens hängt offenbar mit dem Oeff- nungsfunken innig zusammen. Indem man die sich berührenden Spitzen von einander trennt, entsteht ein Oeffnungsfunke: durch den letzteren werden von der einen Elektrode zur andern Substanztheil- chen übergeführt, welche eine Leitung von sehr kleinem Querschnitt bilden, die wegen ihres grossen Widerstandes in’s Glühen geräth. Die so hergestellte Kette bleibt dann durch die Theilchen, welche fort- während losgerissen werden, geschlossen. Die Leiter erster Classe erfahren ausser den angeführten Wärme- und Lichtwirkungen keine Veränderung, so lange der elektrische Strom durch dieselben fliesst. Dagegen ist in den Leitern zweiter Classe die Bewegung des Stroms stets mit chemischen Zersetzungen verbunden. Solche Zersetzungen treten bei den schwächsten Strömen schon ein, und Flüssigkeiten, die nicht durch den Strom zersetzt wer- den, leiten auch den Strom nicht. Wir müssen also die chemische Action bei den Leitern zweiter Classe als eine mit der Leitung nothwendig verknüpfte Erscheinung betrachten. Zur leichteren Orientirung in die- sem Gebiete chemischer Wirkungen hat Faraday folgende Nomen- clatur eingeführt. Die in die leitenden Flüssigkeiten tauchenden Pole der Kette bezeichnet er als Elektroden. Den ganzen Vorgang der chemischen Zersetzung durch den Strom nennt er Elektrolyse, die Körper, welche zersetzt werden, Elektrolyte, und die Substanzen, welche an den Elektroden ausgeschieden werden, Ionen. Von den Elektroden wird die positive als Anode, die negative als Kathode bezeichnet. Die elektropositiven Zersetzungsproducte werden Anio- nen, die elektronegativen Kationen genannt. Nach dem allgemeinen elektrischen Anziehungsgesetz werden an der Anode die Kationen und an der Kathode die Anionen ausgeschieden. 324 Chemische Wir- kungen des Stroms. Elek- trolyse. Ein Beispiel chemischer Zersetzung durch den elektrischen Strom haben wir in der Zersetzung des Wassers im Voltameter bereits ken- nen gelernt. An der Anode entwickelt sich Sauerstoff, an der Ka- thode Wasserstoff. Im Voltameter werden diese beiden Gase ge- mischt, als s. g. Knallgas, aufgesammelt. Richten wir aber den Ver- such so ein, dass wir beide Elektroden in etwas grössere Entfernung von einander bringen und über jede ein Eudiometer stürzen, so lassen sich die Gase getrennt auffangen, und man findet dann, dass 2 Vol. Wasserstoff auf 1 Vol. Sauerstoff ausgeschieden werden; im selben Verhältniss sind aber beide Gase im Wasser enthalten. Eine andere Art elektrolytischer Zersetzung haben wir bei Gelegenheit der con- stanten Ketten kennen gelernt. Wir sahen dort, dass, wenn wir z. B. Kupferelektroden in eine Kupferlösung tauchen, an der Anode Kupfer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/511
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/511>, abgerufen am 23.12.2024.