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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.
steigt daher, so weit dies nicht durch die im nächsten §. zu betrach-
tenden Compensationsvorrichtungen, namentlich durch die Verdunstung
an der Hautoberfläche und durch die Lungen, wieder ausgeglichen
wird.

Die Leistungsfähigkeit einer jeden Maschine, und so auch des
Thierleibes, ist zu ermessen nach der im Verhältniss zum Verbrauch
geleisteten Arbeit. Für eine Dampfmaschine gilt als Maximum der
Leistungsfähigkeit, dass ungefähr 87 Proc. von der dem Wasser mit-
getheilten Wärme unbenützt als freie Wärme verloren gehen, also nur
13 Proc., in der Regel aber noch viel weniger, als Arbeit zum Vor-
schein kommen. Dagegen beträgt nach einer freilich nur sehr an-
nähernden Schätzung beim Menschen die geleistete Arbeit mindestens
20 Proc. der im ganzen erzeugten Verbrennungswärme. Diesen Vor-
zug verdankt die thierische Maschine ohne Zweifel der Eigenthüm-
lichkeit jenes langsamen Verbrennungsprocesses, der in ihr statt-
findet, und der anderseits freilich auch ein bedeutend werthvolleres
Verbrennungsmaterial erfordert.

Die einzigen Versuchsreihen über die Verbrennungswärme im thierischen Or-
ganismus sind noch jetzt diejenigen von Dulong und Despretz. Sie bestimmten
theils direct die von Hunden während einer bestimmten Zeit entwickelte Wärme mit-
telst des Calorimeters, theils suchten sie dieselbe aus den Verbrennungsproducten zu
berechnen. Letztere Berechnungen sind, da ihnen die irrige Voraussetzung zu Grunde
liegt, dass die Elemente isolirt dieselbe Verbrennungswärme besitzen wie in Verbin-
dungen, hinfällig geworden. Es bleiben also nur die erstgenannten Versuche, nach
denen Helmholtz die tägliche Wärmeentwicklung des Menschen auf 2700 Wärme-
einheiten (letztere nach dem in §. 260 festgestellten Maass gemessen) schätzte. Diese
Wärmemenge würde stündlich die Temperatur des Körpers um 1,2°C. steigern kön-
nen, wenn kein Wärmeverlust durch Ausstrahlung u. s. w. stattfände. Nun wird
nach den Versuchen von Smith während einer Arbeit, welche den Körper selbst in
der Stunde 571 Meter erhebt, 5 mal mehr CO2 ausgeschieden, also so viel Wärme
entwickelt, dass die Temperatur des Körpers stündlich um 6°C. gesteigert werden
könnte. Jene äussere Arbeit, welche erforderlich ist, um den Körper auf die Höhe
von 571 Meter zu heben, ist aber einer Wärmemenge äquivalent, welche denselben
um etwa 1,3°, also um 20 Proc. der gesammten Verbrennungswärme, zu steigern
vermöchte.

Die nämlichen Verhältnisse, die für den thierischen Körper im Ganzen zu-
treffend sind, gelten auch für jedes einzelne arbeitende Organ, also für jede Drüse,
für jeden Muskel. Bis jetzt sind die Erscheinungen nur beim Muskel näher verfolgt,
wo sich das Princip der Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit darin zu erkennen
giebt, dass im Anfang der Contraction eine Abnahme der Wärme und erst nachher,
bei der Wiederausdehnung, eine Zunahme derselben auftritt. Bei der Contraction lei-
stet nämlich der Muskel Arbeit, es geht Wärme in Arbeit über, bei der Wiederaus-
dehnung wird von ihm Arbeit geleistet, es verwandelt sich daher Arbeit in Wärme.

Ein Resultat der im Thierleibe fortwährend vor sich gehenden286
Temperatur des
Thierkörpers.

Wärmebildung ist die Temperatur desselben. Die letztere ist gleich-

Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.
steigt daher, so weit dies nicht durch die im nächsten §. zu betrach-
tenden Compensationsvorrichtungen, namentlich durch die Verdunstung
an der Hautoberfläche und durch die Lungen, wieder ausgeglichen
wird.

Die Leistungsfähigkeit einer jeden Maschine, und so auch des
Thierleibes, ist zu ermessen nach der im Verhältniss zum Verbrauch
geleisteten Arbeit. Für eine Dampfmaschine gilt als Maximum der
Leistungsfähigkeit, dass ungefähr 87 Proc. von der dem Wasser mit-
getheilten Wärme unbenützt als freie Wärme verloren gehen, also nur
13 Proc., in der Regel aber noch viel weniger, als Arbeit zum Vor-
schein kommen. Dagegen beträgt nach einer freilich nur sehr an-
nähernden Schätzung beim Menschen die geleistete Arbeit mindestens
20 Proc. der im ganzen erzeugten Verbrennungswärme. Diesen Vor-
zug verdankt die thierische Maschine ohne Zweifel der Eigenthüm-
lichkeit jenes langsamen Verbrennungsprocesses, der in ihr statt-
findet, und der anderseits freilich auch ein bedeutend werthvolleres
Verbrennungsmaterial erfordert.

Die einzigen Versuchsreihen über die Verbrennungswärme im thierischen Or-
ganismus sind noch jetzt diejenigen von Dulong und Despretz. Sie bestimmten
theils direct die von Hunden während einer bestimmten Zeit entwickelte Wärme mit-
telst des Calorimeters, theils suchten sie dieselbe aus den Verbrennungsproducten zu
berechnen. Letztere Berechnungen sind, da ihnen die irrige Voraussetzung zu Grunde
liegt, dass die Elemente isolirt dieselbe Verbrennungswärme besitzen wie in Verbin-
dungen, hinfällig geworden. Es bleiben also nur die erstgenannten Versuche, nach
denen Helmholtz die tägliche Wärmeentwicklung des Menschen auf 2700 Wärme-
einheiten (letztere nach dem in §. 260 festgestellten Maass gemessen) schätzte. Diese
Wärmemenge würde stündlich die Temperatur des Körpers um 1,2°C. steigern kön-
nen, wenn kein Wärmeverlust durch Ausstrahlung u. s. w. stattfände. Nun wird
nach den Versuchen von Smith während einer Arbeit, welche den Körper selbst in
der Stunde 571 Meter erhebt, 5 mal mehr CO2 ausgeschieden, also so viel Wärme
entwickelt, dass die Temperatur des Körpers stündlich um 6°C. gesteigert werden
könnte. Jene äussere Arbeit, welche erforderlich ist, um den Körper auf die Höhe
von 571 Meter zu heben, ist aber einer Wärmemenge äquivalent, welche denselben
um etwa 1,3°, also um 20 Proc. der gesammten Verbrennungswärme, zu steigern
vermöchte.

Die nämlichen Verhältnisse, die für den thierischen Körper im Ganzen zu-
treffend sind, gelten auch für jedes einzelne arbeitende Organ, also für jede Drüse,
für jeden Muskel. Bis jetzt sind die Erscheinungen nur beim Muskel näher verfolgt,
wo sich das Princip der Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit darin zu erkennen
giebt, dass im Anfang der Contraction eine Abnahme der Wärme und erst nachher,
bei der Wiederausdehnung, eine Zunahme derselben auftritt. Bei der Contraction lei-
stet nämlich der Muskel Arbeit, es geht Wärme in Arbeit über, bei der Wiederaus-
dehnung wird von ihm Arbeit geleistet, es verwandelt sich daher Arbeit in Wärme.

Ein Resultat der im Thierleibe fortwährend vor sich gehenden286
Temperatur des
Thierkörpers.

Wärmebildung ist die Temperatur desselben. Die letztere ist gleich-

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[429/0451] Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. steigt daher, so weit dies nicht durch die im nächsten §. zu betrach- tenden Compensationsvorrichtungen, namentlich durch die Verdunstung an der Hautoberfläche und durch die Lungen, wieder ausgeglichen wird. Die Leistungsfähigkeit einer jeden Maschine, und so auch des Thierleibes, ist zu ermessen nach der im Verhältniss zum Verbrauch geleisteten Arbeit. Für eine Dampfmaschine gilt als Maximum der Leistungsfähigkeit, dass ungefähr 87 Proc. von der dem Wasser mit- getheilten Wärme unbenützt als freie Wärme verloren gehen, also nur 13 Proc., in der Regel aber noch viel weniger, als Arbeit zum Vor- schein kommen. Dagegen beträgt nach einer freilich nur sehr an- nähernden Schätzung beim Menschen die geleistete Arbeit mindestens 20 Proc. der im ganzen erzeugten Verbrennungswärme. Diesen Vor- zug verdankt die thierische Maschine ohne Zweifel der Eigenthüm- lichkeit jenes langsamen Verbrennungsprocesses, der in ihr statt- findet, und der anderseits freilich auch ein bedeutend werthvolleres Verbrennungsmaterial erfordert. Die einzigen Versuchsreihen über die Verbrennungswärme im thierischen Or- ganismus sind noch jetzt diejenigen von Dulong und Despretz. Sie bestimmten theils direct die von Hunden während einer bestimmten Zeit entwickelte Wärme mit- telst des Calorimeters, theils suchten sie dieselbe aus den Verbrennungsproducten zu berechnen. Letztere Berechnungen sind, da ihnen die irrige Voraussetzung zu Grunde liegt, dass die Elemente isolirt dieselbe Verbrennungswärme besitzen wie in Verbin- dungen, hinfällig geworden. Es bleiben also nur die erstgenannten Versuche, nach denen Helmholtz die tägliche Wärmeentwicklung des Menschen auf 2700 Wärme- einheiten (letztere nach dem in §. 260 festgestellten Maass gemessen) schätzte. Diese Wärmemenge würde stündlich die Temperatur des Körpers um 1,2°C. steigern kön- nen, wenn kein Wärmeverlust durch Ausstrahlung u. s. w. stattfände. Nun wird nach den Versuchen von Smith während einer Arbeit, welche den Körper selbst in der Stunde 571 Meter erhebt, 5 mal mehr CO2 ausgeschieden, also so viel Wärme entwickelt, dass die Temperatur des Körpers stündlich um 6°C. gesteigert werden könnte. Jene äussere Arbeit, welche erforderlich ist, um den Körper auf die Höhe von 571 Meter zu heben, ist aber einer Wärmemenge äquivalent, welche denselben um etwa 1,3°, also um 20 Proc. der gesammten Verbrennungswärme, zu steigern vermöchte. Die nämlichen Verhältnisse, die für den thierischen Körper im Ganzen zu- treffend sind, gelten auch für jedes einzelne arbeitende Organ, also für jede Drüse, für jeden Muskel. Bis jetzt sind die Erscheinungen nur beim Muskel näher verfolgt, wo sich das Princip der Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit darin zu erkennen giebt, dass im Anfang der Contraction eine Abnahme der Wärme und erst nachher, bei der Wiederausdehnung, eine Zunahme derselben auftritt. Bei der Contraction lei- stet nämlich der Muskel Arbeit, es geht Wärme in Arbeit über, bei der Wiederaus- dehnung wird von ihm Arbeit geleistet, es verwandelt sich daher Arbeit in Wärme. Ein Resultat der im Thierleibe fortwährend vor sich gehenden Wärmebildung ist die Temperatur desselben. Die letztere ist gleich- 286 Temperatur des Thierkörpers.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/451>, abgerufen am 04.05.2024.