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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Latente und specifische Wärme.
in den flüssigen und aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand
mit einer Volumzunahme verknüpft. Die latent werdende Wärme wird
also offenbar dazu verbraucht, die Distanz der Atome, während die
Körper den Aggregatzustand wechseln, zu vergrössern. Dagegen wird,
wenn die Körper aus dem gasförmigen in den flüssigen oder aus dem
flüssigen in den festen Zustand übergehen, die Distanz der Atome ver-
mindert und daher die vorhin gebundene Wärme wieder frei werden.
Nun verändert sich aber das Volum der Körper und demzufolge auch
der Abstand der Atome continuirlich bei jeder Wärmezufuhr oder Wär-
meentziehung, wenn nicht äussere Kräfte dies verhindern. Also wird
z. B. ein Gas, wenn man es ausdehnt, eine gewisse Menge von Wärme
binden, und wenn man es um denselben Bruchtheil seines Volumens
zusammendrückt, so wird eine eben so grosse Wärmemenge frei wer-
den. Man kann sich hiervon überzeugen, wenn man in der Compres-
sionspumpe Luft zusammenpresst: es entsteht hierbei Wärme, die sich
an einem in die Nähe gebrachten Thermometer deutlich zu erkennen
giebt. Lässt man dann rasch die comprimirte Luft ausströmen und
also sich ausdehnen, so tritt ein bedeutender Kältegrad ein. Wen-
den wir diese Erfahrungen auf die specifische Wärme bei constantem
Druck und bei constantem Volum an, so ist einleuchtend, dass die
erstere grösser sein muss. Denn wenn man dem Gas gestattet ent-
sprechend der Wärmezufuhr sich auszudehnen, so wird zum Behuf
dieser Ausdehnung Wärme verbraucht, und man braucht also in die-
sem Fall eine grössere Wärmemenge, um das Gas um 1°C. zu er-
wärmen, als wenn man das Volum desselben constant erhalten hätte.
Offenbar wird dort die specifische Wärme genau um so viel grösser
sein, als Wärme zur Ausdehnung des Gases erforderlich ist. Die Un-
terschiede der specifischen Wärme bei constantem Druck und bei con-
stantem Volum geben daher das geeignetste Mittel an die Hand, um
das einer bestimmten Wärmemenge entsprechende Aequivalent mecha-
nischer Arbeit zu bestimmen. (S. §. 280).

Zwischen der specifischen Wärme der meisten chemisch ein-266
Beziehungen
der specifischen
Wärme zum
Atomgewicht.

fachen Körper und ihrem Atomgewicht besteht, wie Dulong und Pe-
tit
zuerst gezeigt haben, die constante Beziehung, dass sich die
specifischen Wärmen umgekehrt verhalten wie die Aequi-
valentzahlen
, oder, wie sich dasselbe Gesetz ausdrücken lässt,
dass chemisch äquivalente Mengen gleiche specifische
Wärmen besitzen
. Multiplicirt man daher die Atomgewichte (A)
mit der specifischen Wärme (C), so ist das Product A C eine con-
stante Zahl, die, wenn man das Atomgewicht des Sauerstoffs zu 100
setzt, ungefähr gleich 39 ist. Für einige Körper, wie Phosphor, Brom,
Jod, Gold, Silber u. s. w., findet man die doppelte Zahl, 79 oder 80,
als Product der specifischen Wärme und des Atomgewichts, wesshalb

Latente und specifische Wärme.
in den flüssigen und aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand
mit einer Volumzunahme verknüpft. Die latent werdende Wärme wird
also offenbar dazu verbraucht, die Distanz der Atome, während die
Körper den Aggregatzustand wechseln, zu vergrössern. Dagegen wird,
wenn die Körper aus dem gasförmigen in den flüssigen oder aus dem
flüssigen in den festen Zustand übergehen, die Distanz der Atome ver-
mindert und daher die vorhin gebundene Wärme wieder frei werden.
Nun verändert sich aber das Volum der Körper und demzufolge auch
der Abstand der Atome continuirlich bei jeder Wärmezufuhr oder Wär-
meentziehung, wenn nicht äussere Kräfte dies verhindern. Also wird
z. B. ein Gas, wenn man es ausdehnt, eine gewisse Menge von Wärme
binden, und wenn man es um denselben Bruchtheil seines Volumens
zusammendrückt, so wird eine eben so grosse Wärmemenge frei wer-
den. Man kann sich hiervon überzeugen, wenn man in der Compres-
sionspumpe Luft zusammenpresst: es entsteht hierbei Wärme, die sich
an einem in die Nähe gebrachten Thermometer deutlich zu erkennen
giebt. Lässt man dann rasch die comprimirte Luft ausströmen und
also sich ausdehnen, so tritt ein bedeutender Kältegrad ein. Wen-
den wir diese Erfahrungen auf die specifische Wärme bei constantem
Druck und bei constantem Volum an, so ist einleuchtend, dass die
erstere grösser sein muss. Denn wenn man dem Gas gestattet ent-
sprechend der Wärmezufuhr sich auszudehnen, so wird zum Behuf
dieser Ausdehnung Wärme verbraucht, und man braucht also in die-
sem Fall eine grössere Wärmemenge, um das Gas um 1°C. zu er-
wärmen, als wenn man das Volum desselben constant erhalten hätte.
Offenbar wird dort die specifische Wärme genau um so viel grösser
sein, als Wärme zur Ausdehnung des Gases erforderlich ist. Die Un-
terschiede der specifischen Wärme bei constantem Druck und bei con-
stantem Volum geben daher das geeignetste Mittel an die Hand, um
das einer bestimmten Wärmemenge entsprechende Aequivalent mecha-
nischer Arbeit zu bestimmen. (S. §. 280).

Zwischen der specifischen Wärme der meisten chemisch ein-266
Beziehungen
der specifischen
Wärme zum
Atomgewicht.

fachen Körper und ihrem Atomgewicht besteht, wie Dulong und Pe-
tit
zuerst gezeigt haben, die constante Beziehung, dass sich die
specifischen Wärmen umgekehrt verhalten wie die Aequi-
valentzahlen
, oder, wie sich dasselbe Gesetz ausdrücken lässt,
dass chemisch äquivalente Mengen gleiche specifische
Wärmen besitzen
. Multiplicirt man daher die Atomgewichte (A)
mit der specifischen Wärme (C), so ist das Product A C eine con-
stante Zahl, die, wenn man das Atomgewicht des Sauerstoffs zu 100
setzt, ungefähr gleich 39 ist. Für einige Körper, wie Phosphor, Brom,
Jod, Gold, Silber u. s. w., findet man die doppelte Zahl, 79 oder 80,
als Product der specifischen Wärme und des Atomgewichts, wesshalb

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[399/0421] Latente und specifische Wärme. in den flüssigen und aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand mit einer Volumzunahme verknüpft. Die latent werdende Wärme wird also offenbar dazu verbraucht, die Distanz der Atome, während die Körper den Aggregatzustand wechseln, zu vergrössern. Dagegen wird, wenn die Körper aus dem gasförmigen in den flüssigen oder aus dem flüssigen in den festen Zustand übergehen, die Distanz der Atome ver- mindert und daher die vorhin gebundene Wärme wieder frei werden. Nun verändert sich aber das Volum der Körper und demzufolge auch der Abstand der Atome continuirlich bei jeder Wärmezufuhr oder Wär- meentziehung, wenn nicht äussere Kräfte dies verhindern. Also wird z. B. ein Gas, wenn man es ausdehnt, eine gewisse Menge von Wärme binden, und wenn man es um denselben Bruchtheil seines Volumens zusammendrückt, so wird eine eben so grosse Wärmemenge frei wer- den. Man kann sich hiervon überzeugen, wenn man in der Compres- sionspumpe Luft zusammenpresst: es entsteht hierbei Wärme, die sich an einem in die Nähe gebrachten Thermometer deutlich zu erkennen giebt. Lässt man dann rasch die comprimirte Luft ausströmen und also sich ausdehnen, so tritt ein bedeutender Kältegrad ein. Wen- den wir diese Erfahrungen auf die specifische Wärme bei constantem Druck und bei constantem Volum an, so ist einleuchtend, dass die erstere grösser sein muss. Denn wenn man dem Gas gestattet ent- sprechend der Wärmezufuhr sich auszudehnen, so wird zum Behuf dieser Ausdehnung Wärme verbraucht, und man braucht also in die- sem Fall eine grössere Wärmemenge, um das Gas um 1°C. zu er- wärmen, als wenn man das Volum desselben constant erhalten hätte. Offenbar wird dort die specifische Wärme genau um so viel grösser sein, als Wärme zur Ausdehnung des Gases erforderlich ist. Die Un- terschiede der specifischen Wärme bei constantem Druck und bei con- stantem Volum geben daher das geeignetste Mittel an die Hand, um das einer bestimmten Wärmemenge entsprechende Aequivalent mecha- nischer Arbeit zu bestimmen. (S. §. 280). Zwischen der specifischen Wärme der meisten chemisch ein- fachen Körper und ihrem Atomgewicht besteht, wie Dulong und Pe- tit zuerst gezeigt haben, die constante Beziehung, dass sich die specifischen Wärmen umgekehrt verhalten wie die Aequi- valentzahlen, oder, wie sich dasselbe Gesetz ausdrücken lässt, dass chemisch äquivalente Mengen gleiche specifische Wärmen besitzen. Multiplicirt man daher die Atomgewichte (A) mit der specifischen Wärme (C), so ist das Product A C eine con- stante Zahl, die, wenn man das Atomgewicht des Sauerstoffs zu 100 setzt, ungefähr gleich 39 ist. Für einige Körper, wie Phosphor, Brom, Jod, Gold, Silber u. s. w., findet man die doppelte Zahl, 79 oder 80, als Product der specifischen Wärme und des Atomgewichts, wesshalb 266 Beziehungen der specifischen Wärme zum Atomgewicht.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/421>, abgerufen am 04.05.2024.