Licht ausstrahlt, und schneidet man die Strahlen oberhalb a b mittelst der undurchsichtigen Wand v w ab, so breiten sich nicht bloss die von a geradlinig fortgepflanzten Strahlen a b, a c, a d .... aus, sondern es gehen auch von dem Rande w seitliche Strahlen w m, w n weiter. Diese letzteren Strahlen, die sich so verhalten, als wenn sie von der Grenze w der Wand v w herkämen, sind die gebeugten Strahlen.
Von der Ursache dieser Erscheinung kann man sich auf folgende Weise Rechenschaft geben. In jedem zur Wellenfortpflanzung geeig- neten Medium ist jede einzelne Welle Ausgangspunkt einer neuen, nach allen Richtungen fortschreitenden Welle. Geht z. B. in Fig. 154 von a eine Kugelwelle aus, so müssen, da nach den allgemeinen Principien der Wellenlehre jede Gleichgewichtsstörung eine Welle erregt, von jeder einzelnen Oscillation x oder y dieser Kugelwelle neue Kugel- wellen ausgehen. Jede Welle besteht daher streng genommen aus einem System interferirender Wellen, indem jeder Punkt der Welle Ausgangspunkt einer neuen Welle ist. Durch diese Interferenz heben sich aber alle Bewegungen mit Ausnahme der in den Radien a b, a c .... vor sich gehenden, d. h. der ursprünglichen Kugelwelle angehörigen, wieder auf. Denn irgend einer Wellenrichtung x z ent- spricht eine symmetrisch gelegene y z, und x z und y z zusammen vermögen den Punkt z nur in eine Bewegung in der Richtung z c zu versetzen. Aehnlich heben aber für jeden andern Punkt die nicht in den Richtungen a b, a c ... geschehenden Bewegungen sich auf, so dass bei der ungestörten Fortpflanzung der Welle diese secundären Wellen sämmtlich verschwinden und nur die ursprüngliche übrig bleibt. Anders verhält sich die Sache, wenn die Fortpflanzung der Welle durch eine Wand wie v w gestört wird. In diesem Fall werden die von den einzelnen Wellen eines Strahls w b ausgehenden Kugelwellen zwar nicht in den unterhalb w b gelegenen Raum sich fortpflanzen können, indem sie hier wieder durch Interferenz zum Verschwinden kommen, wohl aber in den oberhalb w b gelegenen Raum, wo die Wand v w diejenigen Strahlen abhält, durch welche die hier seitlich sich ausbreitenden Wellen verschwinden würden. Bringt man unmit- telbar unter der Wand v w eine zweite dunkle Wand w' v an, so wird nun selbstverständlich das Licht nach beiden Seiten gebeugt. Die in jeder Welle des Lichts, welches einmal durch die Oeffnung w w' gegangen ist, neu entstehenden Wellen heben sämmtlich durch Interferenz sich auf. Nur die Oeffnung w w' lässt nicht bloss die von a kommenden und auf sie treffenden Strahlen durch, sondern es verhält sich ausserdem jeder Punkt dieser Oeffnung wie der Mittel- punkt eines neuen Wellensystems. Stellt man daher einen Schirm s s' der Oeffnung w w' gegenüber auf, so wird rings um die mittlere di- rect bestrahlte helle Stelle b d die Helligkeit nicht überall eine gleich-
Beugung der Lichtwellen.
Licht ausstrahlt, und schneidet man die Strahlen oberhalb a b mittelst der undurchsichtigen Wand v w ab, so breiten sich nicht bloss die von a geradlinig fortgepflanzten Strahlen a b, a c, a d .... aus, sondern es gehen auch von dem Rande w seitliche Strahlen w m, w n weiter. Diese letzteren Strahlen, die sich so verhalten, als wenn sie von der Grenze w der Wand v w herkämen, sind die gebeugten Strahlen.
Von der Ursache dieser Erscheinung kann man sich auf folgende Weise Rechenschaft geben. In jedem zur Wellenfortpflanzung geeig- neten Medium ist jede einzelne Welle Ausgangspunkt einer neuen, nach allen Richtungen fortschreitenden Welle. Geht z. B. in Fig. 154 von a eine Kugelwelle aus, so müssen, da nach den allgemeinen Principien der Wellenlehre jede Gleichgewichtsstörung eine Welle erregt, von jeder einzelnen Oscillation x oder y dieser Kugelwelle neue Kugel- wellen ausgehen. Jede Welle besteht daher streng genommen aus einem System interferirender Wellen, indem jeder Punkt der Welle Ausgangspunkt einer neuen Welle ist. Durch diese Interferenz heben sich aber alle Bewegungen mit Ausnahme der in den Radien a b, a c .... vor sich gehenden, d. h. der ursprünglichen Kugelwelle angehörigen, wieder auf. Denn irgend einer Wellenrichtung x z ent- spricht eine symmetrisch gelegene y z, und x z und y z zusammen vermögen den Punkt z nur in eine Bewegung in der Richtung z c zu versetzen. Aehnlich heben aber für jeden andern Punkt die nicht in den Richtungen a b, a c … geschehenden Bewegungen sich auf, so dass bei der ungestörten Fortpflanzung der Welle diese secundären Wellen sämmtlich verschwinden und nur die ursprüngliche übrig bleibt. Anders verhält sich die Sache, wenn die Fortpflanzung der Welle durch eine Wand wie v w gestört wird. In diesem Fall werden die von den einzelnen Wellen eines Strahls w b ausgehenden Kugelwellen zwar nicht in den unterhalb w b gelegenen Raum sich fortpflanzen können, indem sie hier wieder durch Interferenz zum Verschwinden kommen, wohl aber in den oberhalb w b gelegenen Raum, wo die Wand v w diejenigen Strahlen abhält, durch welche die hier seitlich sich ausbreitenden Wellen verschwinden würden. Bringt man unmit- telbar unter der Wand v w eine zweite dunkle Wand w' v an, so wird nun selbstverständlich das Licht nach beiden Seiten gebeugt. Die in jeder Welle des Lichts, welches einmal durch die Oeffnung w w' gegangen ist, neu entstehenden Wellen heben sämmtlich durch Interferenz sich auf. Nur die Oeffnung w w' lässt nicht bloss die von a kommenden und auf sie treffenden Strahlen durch, sondern es verhält sich ausserdem jeder Punkt dieser Oeffnung wie der Mittel- punkt eines neuen Wellensystems. Stellt man daher einen Schirm s s' der Oeffnung w w' gegenüber auf, so wird rings um die mittlere di- rect bestrahlte helle Stelle b d die Helligkeit nicht überall eine gleich-
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[315/0337]
Beugung der Lichtwellen.
Licht ausstrahlt, und schneidet man die Strahlen oberhalb a b mittelst
der undurchsichtigen Wand v w ab, so breiten sich nicht bloss die
von a geradlinig fortgepflanzten Strahlen a b, a c, a d .... aus,
sondern es gehen auch von dem Rande w seitliche Strahlen w m, w n
weiter. Diese letzteren Strahlen, die sich so verhalten, als wenn sie
von der Grenze w der Wand v w herkämen, sind die gebeugten
Strahlen.
Von der Ursache dieser Erscheinung kann man sich auf folgende
Weise Rechenschaft geben. In jedem zur Wellenfortpflanzung geeig-
neten Medium ist jede einzelne Welle Ausgangspunkt einer neuen, nach
allen Richtungen fortschreitenden Welle. Geht z. B. in Fig. 154 von
a eine Kugelwelle aus, so müssen, da nach den allgemeinen Principien
der Wellenlehre jede Gleichgewichtsstörung eine Welle erregt, von
jeder einzelnen Oscillation x oder y dieser Kugelwelle neue Kugel-
wellen ausgehen. Jede Welle besteht daher streng genommen aus
einem System interferirender Wellen, indem jeder Punkt der Welle
Ausgangspunkt einer neuen Welle ist. Durch diese Interferenz heben
sich aber alle Bewegungen mit Ausnahme der in den Radien a b,
a c .... vor sich gehenden, d. h. der ursprünglichen Kugelwelle
angehörigen, wieder auf. Denn irgend einer Wellenrichtung x z ent-
spricht eine symmetrisch gelegene y z, und x z und y z zusammen
vermögen den Punkt z nur in eine Bewegung in der Richtung z c zu
versetzen. Aehnlich heben aber für jeden andern Punkt die nicht in
den Richtungen a b, a c … geschehenden Bewegungen sich auf, so
dass bei der ungestörten Fortpflanzung der Welle diese secundären
Wellen sämmtlich verschwinden und nur die ursprüngliche übrig bleibt.
Anders verhält sich die Sache, wenn die Fortpflanzung der Welle
durch eine Wand wie v w gestört wird. In diesem Fall werden die
von den einzelnen Wellen eines Strahls w b ausgehenden Kugelwellen
zwar nicht in den unterhalb w b gelegenen Raum sich fortpflanzen
können, indem sie hier wieder durch Interferenz zum Verschwinden
kommen, wohl aber in den oberhalb w b gelegenen Raum, wo die
Wand v w diejenigen Strahlen abhält, durch welche die hier seitlich
sich ausbreitenden Wellen verschwinden würden. Bringt man unmit-
telbar unter der Wand v w eine zweite dunkle Wand w' v an, so
wird nun selbstverständlich das Licht nach beiden Seiten gebeugt.
Die in jeder Welle des Lichts, welches einmal durch die Oeffnung
w w' gegangen ist, neu entstehenden Wellen heben sämmtlich durch
Interferenz sich auf. Nur die Oeffnung w w' lässt nicht bloss die
von a kommenden und auf sie treffenden Strahlen durch, sondern es
verhält sich ausserdem jeder Punkt dieser Oeffnung wie der Mittel-
punkt eines neuen Wellensystems. Stellt man daher einen Schirm s s'
der Oeffnung w w' gegenüber auf, so wird rings um die mittlere di-
rect bestrahlte helle Stelle b d die Helligkeit nicht überall eine gleich-
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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/337>, abgerufen am 22.12.2024.
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