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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 6. Die reinen Empfindungen.
jetzt streng geschiedenen Qualitätensysteme einander noch
näher stehen. Physiologisch spricht sich die ursprünglichere
Natur des allgemeinen Sinnes überdies darin aus, dass bei
ihm entweder gar keine oder nur sehr einfache Einrich-
tungen zur Uebertragung der Sinnesreize auf die Sinnes-
nerven vorhanden sind. Denn die Druck-, Temperatur-
und Schmerzreize können von Hautstellen aus, an denen
trotz sorgfältiger Nachforschung bis jetzt keine besondern
Endapparate nachgewiesen werden konnten, Empfindungen
auslösen. An den für Druckempfindungen empfindlichsten
Stellen gibt es allerdings besondere Aufnahmeapparate
(Tastkörper, Endkolben, Vater'sche Körper); aber die Be-
schaffenheit dieser Apparate macht es wahrscheinlich, dass
sie nur die mechanische Uebertragung der Druckreize auf
die Nervenendigungen begünstigen. Specielle Aufnahme-
apparate für Wärme-, Kälte- und Schmerzreize sind endlich
überhaupt nicht aufgefunden worden.

Dagegen treffen wir in den später entwickelten spe-
ciellen Sinnesorganen überall Einrichtungen, die nicht bloß
eine zweckmäßige Uebertragung der Reize auf die Sinnes-
nerven, sondern im allgemeinen auch physiologische
Transformationen
der Reizungsvorgänge vermitteln, die
für die Entstehung der eigenthümlichen Qualitäten der Em-
pfindungen unerlässlich sind. Doch bieten die speciellen
Sinne in dieser Beziehung wieder ein verschiedenes Ver-
halten dar.

Namentlich scheint es, dass in dem Gehörorgan die
Aufnahmeapparate nicht ganz die nämliche Bedeutung be-
sitzen, wie in dem Geruchs-, Geschmacks- und Gesichts-
organ. Auf seiner niedersten Entwicklungsstufe besteht
nämlich der Gehörapparat aus einem Bläschen, das mit
einem oder mit einigen kleinen Steinchen (Otolithen) gefüllt
ist, und in dessen Wänden ein Nervenbüschel sich ausbreitet.

§ 6. Die reinen Empfindungen.
jetzt streng geschiedenen Qualitätensysteme einander noch
näher stehen. Physiologisch spricht sich die ursprünglichere
Natur des allgemeinen Sinnes überdies darin aus, dass bei
ihm entweder gar keine oder nur sehr einfache Einrich-
tungen zur Uebertragung der Sinnesreize auf die Sinnes-
nerven vorhanden sind. Denn die Druck-, Temperatur-
und Schmerzreize können von Hautstellen aus, an denen
trotz sorgfältiger Nachforschung bis jetzt keine besondern
Endapparate nachgewiesen werden konnten, Empfindungen
auslösen. An den für Druckempfindungen empfindlichsten
Stellen gibt es allerdings besondere Aufnahmeapparate
(Tastkörper, Endkolben, Vater’sche Körper); aber die Be-
schaffenheit dieser Apparate macht es wahrscheinlich, dass
sie nur die mechanische Uebertragung der Druckreize auf
die Nervenendigungen begünstigen. Specielle Aufnahme-
apparate für Wärme-, Kälte- und Schmerzreize sind endlich
überhaupt nicht aufgefunden worden.

Dagegen treffen wir in den später entwickelten spe-
ciellen Sinnesorganen überall Einrichtungen, die nicht bloß
eine zweckmäßige Uebertragung der Reize auf die Sinnes-
nerven, sondern im allgemeinen auch physiologische
Transformationen
der Reizungsvorgänge vermitteln, die
für die Entstehung der eigenthümlichen Qualitäten der Em-
pfindungen unerlässlich sind. Doch bieten die speciellen
Sinne in dieser Beziehung wieder ein verschiedenes Ver-
halten dar.

Namentlich scheint es, dass in dem Gehörorgan die
Aufnahmeapparate nicht ganz die nämliche Bedeutung be-
sitzen, wie in dem Geruchs-, Geschmacks- und Gesichts-
organ. Auf seiner niedersten Entwicklungsstufe besteht
nämlich der Gehörapparat aus einem Bläschen, das mit
einem oder mit einigen kleinen Steinchen (Otolithen) gefüllt
ist, und in dessen Wänden ein Nervenbüschel sich ausbreitet.

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[47/0063] § 6. Die reinen Empfindungen. jetzt streng geschiedenen Qualitätensysteme einander noch näher stehen. Physiologisch spricht sich die ursprünglichere Natur des allgemeinen Sinnes überdies darin aus, dass bei ihm entweder gar keine oder nur sehr einfache Einrich- tungen zur Uebertragung der Sinnesreize auf die Sinnes- nerven vorhanden sind. Denn die Druck-, Temperatur- und Schmerzreize können von Hautstellen aus, an denen trotz sorgfältiger Nachforschung bis jetzt keine besondern Endapparate nachgewiesen werden konnten, Empfindungen auslösen. An den für Druckempfindungen empfindlichsten Stellen gibt es allerdings besondere Aufnahmeapparate (Tastkörper, Endkolben, Vater’sche Körper); aber die Be- schaffenheit dieser Apparate macht es wahrscheinlich, dass sie nur die mechanische Uebertragung der Druckreize auf die Nervenendigungen begünstigen. Specielle Aufnahme- apparate für Wärme-, Kälte- und Schmerzreize sind endlich überhaupt nicht aufgefunden worden. Dagegen treffen wir in den später entwickelten spe- ciellen Sinnesorganen überall Einrichtungen, die nicht bloß eine zweckmäßige Uebertragung der Reize auf die Sinnes- nerven, sondern im allgemeinen auch physiologische Transformationen der Reizungsvorgänge vermitteln, die für die Entstehung der eigenthümlichen Qualitäten der Em- pfindungen unerlässlich sind. Doch bieten die speciellen Sinne in dieser Beziehung wieder ein verschiedenes Ver- halten dar. Namentlich scheint es, dass in dem Gehörorgan die Aufnahmeapparate nicht ganz die nämliche Bedeutung be- sitzen, wie in dem Geruchs-, Geschmacks- und Gesichts- organ. Auf seiner niedersten Entwicklungsstufe besteht nämlich der Gehörapparat aus einem Bläschen, das mit einem oder mit einigen kleinen Steinchen (Otolithen) gefüllt ist, und in dessen Wänden ein Nervenbüschel sich ausbreitet.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/63>, abgerufen am 24.11.2024.