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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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I. Die psychischen Elemente.
wesentlich unterstützt. Zugleich hängt es mit diesem Verhältniss
der Abstufung zwischen Unterschieden und der Abstufung zwi-
schen Gegensätzen zusammen, dass die Gefühle sehr viel variablere
Elemente unserer unmittelbaren Erfahrung sind. Auf dieser
wechselnden Beschaffenheit, die es kaum gestattet einen Gefühls-
zustand in unveränderter Qualität oder Stärke festzuhalten, be-
ruhen dann aber auch die größeren Schwierigkeiten, denen die
exacte Untersuchung der Gefühle begegnet.

Da die Empfindungen jedem unmittelbaren Erfahrungsinhalte
zukommen, die Gefühle aber vermöge ihrer Oscillationen durch
eine Indifferenzzone in gewissen Grenzfällen verschwinden können,
so ist es begreiflich, dass wir zwar bei den Empfindungen von
den begleitenden Gefühlen, niemals aber umgekehrt bei diesen
von jenen abstrahiren können. Hierdurch entsteht dann leicht
entweder die falsche Auffassung, die Empfindungen seien die
Ursachen der Gefühle, oder die andere, die Gefühle seien eine
besondere Species der Empfindungen. Die erste dieser Meinungen
ist deshalb unzulässig, weil die Gefühlselemente niemals aus den
Empfindungen als solchen, sondern nur aus dem Verhalten des
Subjects abzuleiten sind, daher auch unter verschiedenen sub-
jectiven Bedingungen eine und dieselbe Empfindung von ver-
schiedenen Gefühlen begleitet sein kann. Die zweite Meinung
ist unhaltbar, weil theils die unmittelbare Beziehung der Em-
pfindungen auf den objectiven Erfahrungsinhalt, der Gefühle auf
das Subject, theils die Eigenschaften der Abstufung zwischen
größten Unterschieden und zwischen größten Gegensätzen beide
wesentlich unterscheiden. Demnach sind, vermöge der zu jeder
psychologischen Erfahrung gehörigen objectiven und subjectiven
Factoren, Empfindungen und Gefühle als reale und gleich wesent-
liche Elemente des psychischen Geschehens anzusehen, die aber
in durchgängigen Beziehungen zu einander stehen. Da sich zu-
gleich in diesen Wechselbeziehungen die Empfindungselemente
als die constanteren erweisen, die allein unter Mithülfe der Be-
ziehung auf ein äußeres Object durch Abstraction isolirt werden
können, so muss bei der Untersuchung der Eigenschaften beider
nothwendig von den Empfindungen ausgegangen werden. Ein-
fache Empfindungen, bei deren Betrachtung von den begleitenden
Gefühlselementen abstrahirt wird, bezeichnet man nun als reine
Empfindungen
. Es ist einleuchtend, dass niemals in ähnlichem

I. Die psychischen Elemente.
wesentlich unterstützt. Zugleich hängt es mit diesem Verhältniss
der Abstufung zwischen Unterschieden und der Abstufung zwi-
schen Gegensätzen zusammen, dass die Gefühle sehr viel variablere
Elemente unserer unmittelbaren Erfahrung sind. Auf dieser
wechselnden Beschaffenheit, die es kaum gestattet einen Gefühls-
zustand in unveränderter Qualität oder Stärke festzuhalten, be-
ruhen dann aber auch die größeren Schwierigkeiten, denen die
exacte Untersuchung der Gefühle begegnet.

Da die Empfindungen jedem unmittelbaren Erfahrungsinhalte
zukommen, die Gefühle aber vermöge ihrer Oscillationen durch
eine Indifferenzzone in gewissen Grenzfällen verschwinden können,
so ist es begreiflich, dass wir zwar bei den Empfindungen von
den begleitenden Gefühlen, niemals aber umgekehrt bei diesen
von jenen abstrahiren können. Hierdurch entsteht dann leicht
entweder die falsche Auffassung, die Empfindungen seien die
Ursachen der Gefühle, oder die andere, die Gefühle seien eine
besondere Species der Empfindungen. Die erste dieser Meinungen
ist deshalb unzulässig, weil die Gefühlselemente niemals aus den
Empfindungen als solchen, sondern nur aus dem Verhalten des
Subjects abzuleiten sind, daher auch unter verschiedenen sub-
jectiven Bedingungen eine und dieselbe Empfindung von ver-
schiedenen Gefühlen begleitet sein kann. Die zweite Meinung
ist unhaltbar, weil theils die unmittelbare Beziehung der Em-
pfindungen auf den objectiven Erfahrungsinhalt, der Gefühle auf
das Subject, theils die Eigenschaften der Abstufung zwischen
größten Unterschieden und zwischen größten Gegensätzen beide
wesentlich unterscheiden. Demnach sind, vermöge der zu jeder
psychologischen Erfahrung gehörigen objectiven und subjectiven
Factoren, Empfindungen und Gefühle als reale und gleich wesent-
liche Elemente des psychischen Geschehens anzusehen, die aber
in durchgängigen Beziehungen zu einander stehen. Da sich zu-
gleich in diesen Wechselbeziehungen die Empfindungselemente
als die constanteren erweisen, die allein unter Mithülfe der Be-
ziehung auf ein äußeres Object durch Abstraction isolirt werden
können, so muss bei der Untersuchung der Eigenschaften beider
nothwendig von den Empfindungen ausgegangen werden. Ein-
fache Empfindungen, bei deren Betrachtung von den begleitenden
Gefühlselementen abstrahirt wird, bezeichnet man nun als reine
Empfindungen
. Es ist einleuchtend, dass niemals in ähnlichem

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[44/0060] I. Die psychischen Elemente. wesentlich unterstützt. Zugleich hängt es mit diesem Verhältniss der Abstufung zwischen Unterschieden und der Abstufung zwi- schen Gegensätzen zusammen, dass die Gefühle sehr viel variablere Elemente unserer unmittelbaren Erfahrung sind. Auf dieser wechselnden Beschaffenheit, die es kaum gestattet einen Gefühls- zustand in unveränderter Qualität oder Stärke festzuhalten, be- ruhen dann aber auch die größeren Schwierigkeiten, denen die exacte Untersuchung der Gefühle begegnet. Da die Empfindungen jedem unmittelbaren Erfahrungsinhalte zukommen, die Gefühle aber vermöge ihrer Oscillationen durch eine Indifferenzzone in gewissen Grenzfällen verschwinden können, so ist es begreiflich, dass wir zwar bei den Empfindungen von den begleitenden Gefühlen, niemals aber umgekehrt bei diesen von jenen abstrahiren können. Hierdurch entsteht dann leicht entweder die falsche Auffassung, die Empfindungen seien die Ursachen der Gefühle, oder die andere, die Gefühle seien eine besondere Species der Empfindungen. Die erste dieser Meinungen ist deshalb unzulässig, weil die Gefühlselemente niemals aus den Empfindungen als solchen, sondern nur aus dem Verhalten des Subjects abzuleiten sind, daher auch unter verschiedenen sub- jectiven Bedingungen eine und dieselbe Empfindung von ver- schiedenen Gefühlen begleitet sein kann. Die zweite Meinung ist unhaltbar, weil theils die unmittelbare Beziehung der Em- pfindungen auf den objectiven Erfahrungsinhalt, der Gefühle auf das Subject, theils die Eigenschaften der Abstufung zwischen größten Unterschieden und zwischen größten Gegensätzen beide wesentlich unterscheiden. Demnach sind, vermöge der zu jeder psychologischen Erfahrung gehörigen objectiven und subjectiven Factoren, Empfindungen und Gefühle als reale und gleich wesent- liche Elemente des psychischen Geschehens anzusehen, die aber in durchgängigen Beziehungen zu einander stehen. Da sich zu- gleich in diesen Wechselbeziehungen die Empfindungselemente als die constanteren erweisen, die allein unter Mithülfe der Be- ziehung auf ein äußeres Object durch Abstraction isolirt werden können, so muss bei der Untersuchung der Eigenschaften beider nothwendig von den Empfindungen ausgegangen werden. Ein- fache Empfindungen, bei deren Betrachtung von den begleitenden Gefühlselementen abstrahirt wird, bezeichnet man nun als reine Empfindungen. Es ist einleuchtend, dass niemals in ähnlichem

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/60>, abgerufen am 24.11.2024.