daher in Folge der Abstraction von dem erkennenden Sub- ject als mittelbare, hier aber als unmittelbare und ursprüngliche Erfahrung betrachtet wird.
Mit der Erkenntniss dieses Verhältnisses tritt von selbst an die Stelle des Substantialitätsbegriffs der Actua- litätsbegriff als der für die Auffassung der psychischen Vorgänge maßgebende. Da die psychologische Betrachtung die Ergänzung der naturwissenschaftlichen ist, insofern jene die unmittelbare Wirklichkeit der Erfahrung zu ihrem Inhalte hat, so liegt darin von selbst eingeschlossen, dass in ihr hypothetische Hülfsbegriffe, wie sie in der Naturwissenschaft durch den Begriff eines von dem Subjecte unabhängigen Gegenstandes nothwendig werden, keine Stelle finden können. In diesem Sinne ist der Actualitätsbegriff der Seele kein Begriff, der, wie derjenige der Materie, hypothetischer Be- stimmungsstücke bedarf, um ihn seinem näheren Inhalte nach zu definiren, sondern er schließt im Gegentheil solche hypothetische Elemente von vornherein aus, indem er als das Wesen der Seele die unmittelbare Wirklichkeit der Vorgänge selbst bezeichnet. Da aber ein wichtiger Bestandtheil dieser Vorgänge, nämlich die Gesammtheit der Vorstellungsobjecte, zugleich den Inhalt der naturwissen- schaftlichen Betrachtungsweise ausmacht, so ist damit auch ausgesprochen, dass Substantialität und Actualität Begriffe sind, die sich auf eine und dieselbe allgemeine Erfahrung beziehen, welche nur bei jedem von ihnen unter einem we- sentlich andern Gesichtspunkte betrachtet wird. Abstrahiren wir bei der Betrachtung der Erfahrungswelt von dem erken- nenden Subject, so erscheint sie uns als eine Mannigfaltigkeit in Wechselwirkung stehender Substanzen; betrachten wir sie umgekehrt als den gesammten, das Subject selbst einschlies- senden Inhalt der Erfahrung dieses Subjectes, so erscheint sie uns als eine Mannigfaltigkeit unter sich verbundener
V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze.
daher in Folge der Abstraction von dem erkennenden Sub- ject als mittelbare, hier aber als unmittelbare und ursprüngliche Erfahrung betrachtet wird.
Mit der Erkenntniss dieses Verhältnisses tritt von selbst an die Stelle des Substantialitätsbegriffs der Actua- litätsbegriff als der für die Auffassung der psychischen Vorgänge maßgebende. Da die psychologische Betrachtung die Ergänzung der naturwissenschaftlichen ist, insofern jene die unmittelbare Wirklichkeit der Erfahrung zu ihrem Inhalte hat, so liegt darin von selbst eingeschlossen, dass in ihr hypothetische Hülfsbegriffe, wie sie in der Naturwissenschaft durch den Begriff eines von dem Subjecte unabhängigen Gegenstandes nothwendig werden, keine Stelle finden können. In diesem Sinne ist der Actualitätsbegriff der Seele kein Begriff, der, wie derjenige der Materie, hypothetischer Be- stimmungsstücke bedarf, um ihn seinem näheren Inhalte nach zu definiren, sondern er schließt im Gegentheil solche hypothetische Elemente von vornherein aus, indem er als das Wesen der Seele die unmittelbare Wirklichkeit der Vorgänge selbst bezeichnet. Da aber ein wichtiger Bestandtheil dieser Vorgänge, nämlich die Gesammtheit der Vorstellungsobjecte, zugleich den Inhalt der naturwissen- schaftlichen Betrachtungsweise ausmacht, so ist damit auch ausgesprochen, dass Substantialität und Actualität Begriffe sind, die sich auf eine und dieselbe allgemeine Erfahrung beziehen, welche nur bei jedem von ihnen unter einem we- sentlich andern Gesichtspunkte betrachtet wird. Abstrahiren wir bei der Betrachtung der Erfahrungswelt von dem erken- nenden Subject, so erscheint sie uns als eine Mannigfaltigkeit in Wechselwirkung stehender Substanzen; betrachten wir sie umgekehrt als den gesammten, das Subject selbst einschlies- senden Inhalt der Erfahrung dieses Subjectes, so erscheint sie uns als eine Mannigfaltigkeit unter sich verbundener
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0384"n="368"/><fwplace="top"type="header">V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze.</fw><lb/>
daher in Folge der Abstraction von dem erkennenden Sub-<lb/>
ject als <hirendition="#g">mittelbare</hi>, hier aber als <hirendition="#g">unmittelbare und<lb/>
ursprüngliche Erfahrung</hi> betrachtet wird.</p><lb/><p>Mit der Erkenntniss dieses Verhältnisses tritt von selbst<lb/>
an die Stelle des <hirendition="#g">Substantialitätsbegriffs</hi> der <hirendition="#g">Actua-<lb/>
litätsbegriff</hi> als der für die Auffassung der psychischen<lb/>
Vorgänge maßgebende. Da die psychologische Betrachtung<lb/>
die Ergänzung der naturwissenschaftlichen ist, insofern jene<lb/>
die unmittelbare Wirklichkeit der Erfahrung zu ihrem Inhalte<lb/>
hat, so liegt darin von selbst eingeschlossen, dass in ihr<lb/>
hypothetische Hülfsbegriffe, wie sie in der Naturwissenschaft<lb/>
durch den Begriff eines von dem Subjecte unabhängigen<lb/>
Gegenstandes nothwendig werden, keine Stelle finden können.<lb/>
In diesem Sinne ist der Actualitätsbegriff der Seele kein<lb/>
Begriff, der, wie derjenige der Materie, hypothetischer Be-<lb/>
stimmungsstücke bedarf, um ihn seinem näheren Inhalte<lb/>
nach zu definiren, sondern er schließt im Gegentheil solche<lb/>
hypothetische Elemente von vornherein aus, indem er<lb/>
als das Wesen der Seele die unmittelbare Wirklichkeit<lb/>
der Vorgänge selbst bezeichnet. Da aber ein wichtiger<lb/>
Bestandtheil dieser Vorgänge, nämlich die Gesammtheit der<lb/>
Vorstellungsobjecte, zugleich den Inhalt der naturwissen-<lb/>
schaftlichen Betrachtungsweise ausmacht, so ist damit auch<lb/>
ausgesprochen, dass Substantialität und Actualität Begriffe<lb/>
sind, die sich auf eine und dieselbe allgemeine Erfahrung<lb/>
beziehen, welche nur bei jedem von ihnen unter einem we-<lb/>
sentlich andern Gesichtspunkte betrachtet wird. Abstrahiren<lb/>
wir bei der Betrachtung der Erfahrungswelt von dem erken-<lb/>
nenden Subject, so erscheint sie uns als eine Mannigfaltigkeit<lb/>
in Wechselwirkung stehender Substanzen; betrachten wir sie<lb/>
umgekehrt als den gesammten, das Subject selbst einschlies-<lb/>
senden Inhalt der Erfahrung dieses Subjectes, so erscheint<lb/>
sie uns als eine Mannigfaltigkeit unter sich verbundener<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[368/0384]
V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze.
daher in Folge der Abstraction von dem erkennenden Sub-
ject als mittelbare, hier aber als unmittelbare und
ursprüngliche Erfahrung betrachtet wird.
Mit der Erkenntniss dieses Verhältnisses tritt von selbst
an die Stelle des Substantialitätsbegriffs der Actua-
litätsbegriff als der für die Auffassung der psychischen
Vorgänge maßgebende. Da die psychologische Betrachtung
die Ergänzung der naturwissenschaftlichen ist, insofern jene
die unmittelbare Wirklichkeit der Erfahrung zu ihrem Inhalte
hat, so liegt darin von selbst eingeschlossen, dass in ihr
hypothetische Hülfsbegriffe, wie sie in der Naturwissenschaft
durch den Begriff eines von dem Subjecte unabhängigen
Gegenstandes nothwendig werden, keine Stelle finden können.
In diesem Sinne ist der Actualitätsbegriff der Seele kein
Begriff, der, wie derjenige der Materie, hypothetischer Be-
stimmungsstücke bedarf, um ihn seinem näheren Inhalte
nach zu definiren, sondern er schließt im Gegentheil solche
hypothetische Elemente von vornherein aus, indem er
als das Wesen der Seele die unmittelbare Wirklichkeit
der Vorgänge selbst bezeichnet. Da aber ein wichtiger
Bestandtheil dieser Vorgänge, nämlich die Gesammtheit der
Vorstellungsobjecte, zugleich den Inhalt der naturwissen-
schaftlichen Betrachtungsweise ausmacht, so ist damit auch
ausgesprochen, dass Substantialität und Actualität Begriffe
sind, die sich auf eine und dieselbe allgemeine Erfahrung
beziehen, welche nur bei jedem von ihnen unter einem we-
sentlich andern Gesichtspunkte betrachtet wird. Abstrahiren
wir bei der Betrachtung der Erfahrungswelt von dem erken-
nenden Subject, so erscheint sie uns als eine Mannigfaltigkeit
in Wechselwirkung stehender Substanzen; betrachten wir sie
umgekehrt als den gesammten, das Subject selbst einschlies-
senden Inhalt der Erfahrung dieses Subjectes, so erscheint
sie uns als eine Mannigfaltigkeit unter sich verbundener
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/384>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.