Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.Einleitung. Bedingungen, die dem theoretischen Erkennen wie dem prak-tischen Handeln zu Grunde liegen, die subjectiven und die objectiven, gleichmäßig berücksichtigt und in ihrem Wechsel- verhältniss zu bestimmen sucht, so ist sie unter allen em- pirischen Disciplinen diejenige, deren Ergebnisse zunächst der Untersuchung der allgemeinen Probleme der Erkenntniss theorie wie der Ethik, der beiden grundlegenden Gebiete der Philosophie, zu statten kommen. Wie die Psychologie gegenüber der Naturwissenschaft die ergänzende, gegen- über den Geisteswissenschaften die grundlegende, so ist sie daher gegenüber der Philosophie die vorbereitende empirische Wissenschaft. 10a. Obgleich in der neueren Psychologie die Anschauung Einleitung. Bedingungen, die dem theoretischen Erkennen wie dem prak-tischen Handeln zu Grunde liegen, die subjectiven und die objectiven, gleichmäßig berücksichtigt und in ihrem Wechsel- verhältniss zu bestimmen sucht, so ist sie unter allen em- pirischen Disciplinen diejenige, deren Ergebnisse zunächst der Untersuchung der allgemeinen Probleme der Erkenntniss theorie wie der Ethik, der beiden grundlegenden Gebiete der Philosophie, zu statten kommen. Wie die Psychologie gegenüber der Naturwissenschaft die ergänzende, gegen- über den Geisteswissenschaften die grundlegende, so ist sie daher gegenüber der Philosophie die vorbereitende empirische Wissenschaft. 10a. Obgleich in der neueren Psychologie die Anschauung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0036" n="20"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> Bedingungen, die dem theoretischen Erkennen wie dem prak-<lb/> tischen Handeln zu Grunde liegen, die subjectiven und die<lb/> objectiven, gleichmäßig berücksichtigt und in ihrem Wechsel-<lb/> verhältniss zu bestimmen sucht, so ist sie unter allen em-<lb/> pirischen Disciplinen diejenige, deren Ergebnisse zunächst der<lb/> Untersuchung der allgemeinen Probleme der <hi rendition="#g">Erkenntniss<lb/> theorie</hi> wie der <hi rendition="#g">Ethik</hi>, der beiden grundlegenden Gebiete<lb/> der <hi rendition="#g">Philosophie</hi>, zu statten kommen. Wie die Psychologie<lb/> gegenüber der Naturwissenschaft die <hi rendition="#g">ergänzende</hi>, gegen-<lb/> über den Geisteswissenschaften die <hi rendition="#g">grundlegende</hi>, so ist<lb/> sie daher gegenüber der Philosophie die <hi rendition="#g">vorbereitende<lb/> empirische Wissenschaft</hi>.</p><lb/> <p>10a. Obgleich in der neueren Psychologie die Anschauung<lb/> mehr und mehr zur Anerkennung gelangt, dass es nicht sowohl<lb/> die Verschiedenheit der Erfahrungsobjecte als die des Stand-<lb/> punktes der Bearbeitung der Erfahrung ist, wodurch sich die<lb/> Psychologie von der Naturwissenschaft unterscheidet, so wird<lb/> doch die klare Erkenntniss der wesentlichen Eigenthümlichkeiten<lb/> jenes für die wissenschaftlichen Aufgaben der Psychologie maß-<lb/> gebenden Standpunktes noch immer durch die Nachwirkungen<lb/> älterer metaphysischer und naturphilosophischer Richtungen be-<lb/> einträchtigt. Statt davon auszugehen, dass die naturwissenschaft-<lb/> liche Bearbeitung der Erfahrung erst auf Grund einer Abstraction<lb/> von den in diese eingehenden subjectiven Factoren zu Stande<lb/> kommt, schreibt man nämlich zuweilen der Naturwissenschaft die<lb/> allgemeinere Aufgabe zu, den Inhalt <hi rendition="#g">aller</hi> Erfahrung in all-<lb/> gemeingültiger Weise festzustellen. Geschieht dies, so wird dann<lb/> nothwendig auch die Psychologie zu einer nicht der Naturwissen-<lb/> schaft coordinirten, sondern ihr untergeordneten Disciplin. Sie<lb/> hat dann nicht mehr die von der Naturwissenschaft geübte Ab-<lb/> straction wieder aufzuheben und auf diese Weise erst gemeinsam<lb/> mit dieser eine Gesammtauffassung der Erfahrung zu gewinnen,<lb/> sondern sie hat den von der Naturwissenschaft aufgestellten Begriff<lb/> des »Subjectes« zu benutzen, um über die Einflüsse dieses Sub-<lb/> jectes auf die Erfahrungsinhalte Rechenschaft zu geben. Statt<lb/> anzuerkennen, dass eine zureichende Begriffsbestimmung des<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0036]
Einleitung.
Bedingungen, die dem theoretischen Erkennen wie dem prak-
tischen Handeln zu Grunde liegen, die subjectiven und die
objectiven, gleichmäßig berücksichtigt und in ihrem Wechsel-
verhältniss zu bestimmen sucht, so ist sie unter allen em-
pirischen Disciplinen diejenige, deren Ergebnisse zunächst der
Untersuchung der allgemeinen Probleme der Erkenntniss
theorie wie der Ethik, der beiden grundlegenden Gebiete
der Philosophie, zu statten kommen. Wie die Psychologie
gegenüber der Naturwissenschaft die ergänzende, gegen-
über den Geisteswissenschaften die grundlegende, so ist
sie daher gegenüber der Philosophie die vorbereitende
empirische Wissenschaft.
10a. Obgleich in der neueren Psychologie die Anschauung
mehr und mehr zur Anerkennung gelangt, dass es nicht sowohl
die Verschiedenheit der Erfahrungsobjecte als die des Stand-
punktes der Bearbeitung der Erfahrung ist, wodurch sich die
Psychologie von der Naturwissenschaft unterscheidet, so wird
doch die klare Erkenntniss der wesentlichen Eigenthümlichkeiten
jenes für die wissenschaftlichen Aufgaben der Psychologie maß-
gebenden Standpunktes noch immer durch die Nachwirkungen
älterer metaphysischer und naturphilosophischer Richtungen be-
einträchtigt. Statt davon auszugehen, dass die naturwissenschaft-
liche Bearbeitung der Erfahrung erst auf Grund einer Abstraction
von den in diese eingehenden subjectiven Factoren zu Stande
kommt, schreibt man nämlich zuweilen der Naturwissenschaft die
allgemeinere Aufgabe zu, den Inhalt aller Erfahrung in all-
gemeingültiger Weise festzustellen. Geschieht dies, so wird dann
nothwendig auch die Psychologie zu einer nicht der Naturwissen-
schaft coordinirten, sondern ihr untergeordneten Disciplin. Sie
hat dann nicht mehr die von der Naturwissenschaft geübte Ab-
straction wieder aufzuheben und auf diese Weise erst gemeinsam
mit dieser eine Gesammtauffassung der Erfahrung zu gewinnen,
sondern sie hat den von der Naturwissenschaft aufgestellten Begriff
des »Subjectes« zu benutzen, um über die Einflüsse dieses Sub-
jectes auf die Erfahrungsinhalte Rechenschaft zu geben. Statt
anzuerkennen, dass eine zureichende Begriffsbestimmung des
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