sowie der ihnen gemeinsame Schutztrieb dem Fortpflanzungs- trieb unterordnen.
Bei allen Instincten gehen die individuellen Triebhand- lungen von bestimmten theils äußeren theils inneren Empfin- dungsreizen aus. Die Handlungen selbst sind aber den Trieb- oder einfachen Willenshandlungen zuzurechnen, weil bestimmte Vorstellungen und Gefühle als einfache Motive ihnen vorausgehen und sie begleiten (S. 218). Die zusammen- gesetzte, auf angeborener Anlage beruhende Beschaffenheit der Handlungen lässt sich hierbei nur aus generell erwor- benen Eigenschaften des Nervensystems erklären, in Folge deren auf bestimmte Reize sofort und ohne individuelle Ein- übung bestimmte angeborene Reflexmechanismen ausgelöst werden. Die zweckmäßige Wirksamkeit dieser Mechanismen kann ebenfalls nur als ein Product genereller psycho-physi- scher Entwicklung betrachtet werden. Hierfür spricht über- dies die Thatsache, dass die Instincte nicht bloß mannig- fache individuelle Abänderungen, sondern auch eine gewisse Vervollkommung durch individuelle Uebung zulassen. So lernt der Vogel allmählich sein Nest vollkommener bauen. Die Biene passt ihren Bau veränderten Bedürfnissen an. Statt neue Colonien zu gründen, erweitert ein Bienenstock den vorhandenen Bau, wenn man ihm den erforderlichen Raum gibt. Selbst abnorme Gewohnheiten kann sich ein einzelner Bienen- oder Ameisenstock zulegen, der erstere z. B. die Gewohnheit benachbarte Stöcke auszurauben statt selbst den Blüthenhonig zu suchen, oder der letztere die merkwürdige Gewohnheit die Individuen anderer Ameisen- arten zu Sclaven zu machen, oder Blattläuse als nahrung- gebende Hausthiere zu züchten. Die nachweisbare Entsteh- ung, Befestigung und Vererbung solcher Gewohnheiten zeigt uns deutlich den Weg, auf dem überhaupt verwickelte In- stincte entstanden sein können. Niemals kommt ein solcher
IV. Die psychischen Entwicklungen.
sowie der ihnen gemeinsame Schutztrieb dem Fortpflanzungs- trieb unterordnen.
Bei allen Instincten gehen die individuellen Triebhand- lungen von bestimmten theils äußeren theils inneren Empfin- dungsreizen aus. Die Handlungen selbst sind aber den Trieb- oder einfachen Willenshandlungen zuzurechnen, weil bestimmte Vorstellungen und Gefühle als einfache Motive ihnen vorausgehen und sie begleiten (S. 218). Die zusammen- gesetzte, auf angeborener Anlage beruhende Beschaffenheit der Handlungen lässt sich hierbei nur aus generell erwor- benen Eigenschaften des Nervensystems erklären, in Folge deren auf bestimmte Reize sofort und ohne individuelle Ein- übung bestimmte angeborene Reflexmechanismen ausgelöst werden. Die zweckmäßige Wirksamkeit dieser Mechanismen kann ebenfalls nur als ein Product genereller psycho-physi- scher Entwicklung betrachtet werden. Hierfür spricht über- dies die Thatsache, dass die Instincte nicht bloß mannig- fache individuelle Abänderungen, sondern auch eine gewisse Vervollkommung durch individuelle Uebung zulassen. So lernt der Vogel allmählich sein Nest vollkommener bauen. Die Biene passt ihren Bau veränderten Bedürfnissen an. Statt neue Colonien zu gründen, erweitert ein Bienenstock den vorhandenen Bau, wenn man ihm den erforderlichen Raum gibt. Selbst abnorme Gewohnheiten kann sich ein einzelner Bienen- oder Ameisenstock zulegen, der erstere z. B. die Gewohnheit benachbarte Stöcke auszurauben statt selbst den Blüthenhonig zu suchen, oder der letztere die merkwürdige Gewohnheit die Individuen anderer Ameisen- arten zu Sclaven zu machen, oder Blattläuse als nahrung- gebende Hausthiere zu züchten. Die nachweisbare Entsteh- ung, Befestigung und Vererbung solcher Gewohnheiten zeigt uns deutlich den Weg, auf dem überhaupt verwickelte In- stincte entstanden sein können. Niemals kommt ein solcher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0344"n="328"/><fwplace="top"type="header">IV. Die psychischen Entwicklungen.</fw><lb/>
sowie der ihnen gemeinsame Schutztrieb dem Fortpflanzungs-<lb/>
trieb unterordnen.</p><lb/><p>Bei allen Instincten gehen die individuellen Triebhand-<lb/>
lungen von bestimmten theils äußeren theils inneren Empfin-<lb/>
dungsreizen aus. Die Handlungen selbst sind aber den<lb/>
Trieb- oder einfachen Willenshandlungen zuzurechnen, weil<lb/>
bestimmte Vorstellungen und Gefühle als einfache Motive<lb/>
ihnen vorausgehen und sie begleiten (S. 218). Die zusammen-<lb/>
gesetzte, auf angeborener Anlage beruhende Beschaffenheit<lb/>
der Handlungen lässt sich hierbei nur aus generell erwor-<lb/>
benen Eigenschaften des Nervensystems erklären, in Folge<lb/>
deren auf bestimmte Reize sofort und ohne individuelle Ein-<lb/>
übung bestimmte angeborene Reflexmechanismen ausgelöst<lb/>
werden. Die zweckmäßige Wirksamkeit dieser Mechanismen<lb/>
kann ebenfalls nur als ein Product <hirendition="#g">genereller</hi> psycho-physi-<lb/>
scher Entwicklung betrachtet werden. Hierfür spricht über-<lb/>
dies die Thatsache, dass die Instincte nicht bloß mannig-<lb/>
fache individuelle Abänderungen, sondern auch eine gewisse<lb/>
Vervollkommung durch individuelle Uebung zulassen. So<lb/>
lernt der Vogel allmählich sein Nest vollkommener bauen.<lb/>
Die Biene passt ihren Bau veränderten Bedürfnissen an.<lb/>
Statt neue Colonien zu gründen, erweitert ein Bienenstock<lb/>
den vorhandenen Bau, wenn man ihm den erforderlichen<lb/>
Raum gibt. Selbst abnorme Gewohnheiten kann sich ein<lb/>
einzelner Bienen- oder Ameisenstock zulegen, der erstere<lb/>
z. B. die Gewohnheit benachbarte Stöcke auszurauben statt<lb/>
selbst den Blüthenhonig zu suchen, oder der letztere die<lb/>
merkwürdige Gewohnheit die Individuen anderer Ameisen-<lb/>
arten zu Sclaven zu machen, oder Blattläuse als nahrung-<lb/>
gebende Hausthiere zu züchten. Die nachweisbare Entsteh-<lb/>
ung, Befestigung und Vererbung solcher Gewohnheiten zeigt<lb/>
uns deutlich den Weg, auf dem überhaupt verwickelte In-<lb/>
stincte entstanden sein können. Niemals kommt ein solcher<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[328/0344]
IV. Die psychischen Entwicklungen.
sowie der ihnen gemeinsame Schutztrieb dem Fortpflanzungs-
trieb unterordnen.
Bei allen Instincten gehen die individuellen Triebhand-
lungen von bestimmten theils äußeren theils inneren Empfin-
dungsreizen aus. Die Handlungen selbst sind aber den
Trieb- oder einfachen Willenshandlungen zuzurechnen, weil
bestimmte Vorstellungen und Gefühle als einfache Motive
ihnen vorausgehen und sie begleiten (S. 218). Die zusammen-
gesetzte, auf angeborener Anlage beruhende Beschaffenheit
der Handlungen lässt sich hierbei nur aus generell erwor-
benen Eigenschaften des Nervensystems erklären, in Folge
deren auf bestimmte Reize sofort und ohne individuelle Ein-
übung bestimmte angeborene Reflexmechanismen ausgelöst
werden. Die zweckmäßige Wirksamkeit dieser Mechanismen
kann ebenfalls nur als ein Product genereller psycho-physi-
scher Entwicklung betrachtet werden. Hierfür spricht über-
dies die Thatsache, dass die Instincte nicht bloß mannig-
fache individuelle Abänderungen, sondern auch eine gewisse
Vervollkommung durch individuelle Uebung zulassen. So
lernt der Vogel allmählich sein Nest vollkommener bauen.
Die Biene passt ihren Bau veränderten Bedürfnissen an.
Statt neue Colonien zu gründen, erweitert ein Bienenstock
den vorhandenen Bau, wenn man ihm den erforderlichen
Raum gibt. Selbst abnorme Gewohnheiten kann sich ein
einzelner Bienen- oder Ameisenstock zulegen, der erstere
z. B. die Gewohnheit benachbarte Stöcke auszurauben statt
selbst den Blüthenhonig zu suchen, oder der letztere die
merkwürdige Gewohnheit die Individuen anderer Ameisen-
arten zu Sclaven zu machen, oder Blattläuse als nahrung-
gebende Hausthiere zu züchten. Die nachweisbare Entsteh-
ung, Befestigung und Vererbung solcher Gewohnheiten zeigt
uns deutlich den Weg, auf dem überhaupt verwickelte In-
stincte entstanden sein können. Niemals kommt ein solcher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/344>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.