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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
wahrscheinlich, dass sie auf einer partiellen Fortdauer der
Hypnose oder (bei der Terminsuggestion) auf einem Wieder-
eintritt des hypnotischen Zustandes beruhen.

9. Nach allen diesen Erscheinungen sind Schlaf und
Hypnose verwandte, nur in Folge der verschiedenen Ent-
stehungsweise sich unterscheidende Zustände. Gemeinsam
ist beiden eine Hemmung des Willens, die nur noch passive
Apperceptionen gestattet, sowie eine Disposition zu ge-
steigerter Erregbarkeit der Sinnescentren, die eine hallu-
cinatorische Assimilation der Sinneseindrücke bewirkt.
Unterscheidende Merkmale sind dagegen die vollständigere,
namentlich auch die motorischen Functionen ergreifende
Willenshemmung im Schlafe, und die einseitige, durch die
Suggestion bedingte und zugleich weitere Suggestionen be-
günstigende Richtung der passiven Aufmerksamkeit in der
Hypnose. Doch haben diese Unterschiede keine absolute
Bedeutung: so fällt beim Schlafwandeln auch im Traum die
äußere Willenshemmung hinweg, während diese im lethar-
gischen Anfangsstadium der Hypnose ähnlich wie im Schlafe
vorhanden ist.

Hiernach sind die psychophysischen Bedingungen von
Schlaf, Traum und Hypnose wahrscheinlich im wesentlichen
übereinstimmende. Da diese Bedingungen psychologisch als
eigenthümlich veränderte Dispositionen zu Empfindungs- und
Willensreactionen auftreten, so können sie, wie alle Dis-
positionen, physiologisch nur aus den vorauszusetzenden
Functionsänderungen bestimmter Centralgebiete erklärt wer-
den. Direct sind diese Functionsänderungen noch nicht er-
forscht. Doch lässt sich nach den psychologischen Symp-
tomen annehmen, dass sie sich aus einer Functionshemmung
der bei den Willens- und Aufmerksamkeitsvorgängen wirk-
samen Centralgebiete und aus einer Erregbarkeitssteigerung
der Sinnescentren zusammensetzen.

III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
wahrscheinlich, dass sie auf einer partiellen Fortdauer der
Hypnose oder (bei der Terminsuggestion) auf einem Wieder-
eintritt des hypnotischen Zustandes beruhen.

9. Nach allen diesen Erscheinungen sind Schlaf und
Hypnose verwandte, nur in Folge der verschiedenen Ent-
stehungsweise sich unterscheidende Zustände. Gemeinsam
ist beiden eine Hemmung des Willens, die nur noch passive
Apperceptionen gestattet, sowie eine Disposition zu ge-
steigerter Erregbarkeit der Sinnescentren, die eine hallu-
cinatorische Assimilation der Sinneseindrücke bewirkt.
Unterscheidende Merkmale sind dagegen die vollständigere,
namentlich auch die motorischen Functionen ergreifende
Willenshemmung im Schlafe, und die einseitige, durch die
Suggestion bedingte und zugleich weitere Suggestionen be-
günstigende Richtung der passiven Aufmerksamkeit in der
Hypnose. Doch haben diese Unterschiede keine absolute
Bedeutung: so fällt beim Schlafwandeln auch im Traum die
äußere Willenshemmung hinweg, während diese im lethar-
gischen Anfangsstadium der Hypnose ähnlich wie im Schlafe
vorhanden ist.

Hiernach sind die psychophysischen Bedingungen von
Schlaf, Traum und Hypnose wahrscheinlich im wesentlichen
übereinstimmende. Da diese Bedingungen psychologisch als
eigenthümlich veränderte Dispositionen zu Empfindungs- und
Willensreactionen auftreten, so können sie, wie alle Dis-
positionen, physiologisch nur aus den vorauszusetzenden
Functionsänderungen bestimmter Centralgebiete erklärt wer-
den. Direct sind diese Functionsänderungen noch nicht er-
forscht. Doch lässt sich nach den psychologischen Symp-
tomen annehmen, dass sie sich aus einer Functionshemmung
der bei den Willens- und Aufmerksamkeitsvorgängen wirk-
samen Centralgebiete und aus einer Erregbarkeitssteigerung
der Sinnescentren zusammensetzen.

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[322/0338] III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde. wahrscheinlich, dass sie auf einer partiellen Fortdauer der Hypnose oder (bei der Terminsuggestion) auf einem Wieder- eintritt des hypnotischen Zustandes beruhen. 9. Nach allen diesen Erscheinungen sind Schlaf und Hypnose verwandte, nur in Folge der verschiedenen Ent- stehungsweise sich unterscheidende Zustände. Gemeinsam ist beiden eine Hemmung des Willens, die nur noch passive Apperceptionen gestattet, sowie eine Disposition zu ge- steigerter Erregbarkeit der Sinnescentren, die eine hallu- cinatorische Assimilation der Sinneseindrücke bewirkt. Unterscheidende Merkmale sind dagegen die vollständigere, namentlich auch die motorischen Functionen ergreifende Willenshemmung im Schlafe, und die einseitige, durch die Suggestion bedingte und zugleich weitere Suggestionen be- günstigende Richtung der passiven Aufmerksamkeit in der Hypnose. Doch haben diese Unterschiede keine absolute Bedeutung: so fällt beim Schlafwandeln auch im Traum die äußere Willenshemmung hinweg, während diese im lethar- gischen Anfangsstadium der Hypnose ähnlich wie im Schlafe vorhanden ist. Hiernach sind die psychophysischen Bedingungen von Schlaf, Traum und Hypnose wahrscheinlich im wesentlichen übereinstimmende. Da diese Bedingungen psychologisch als eigenthümlich veränderte Dispositionen zu Empfindungs- und Willensreactionen auftreten, so können sie, wie alle Dis- positionen, physiologisch nur aus den vorauszusetzenden Functionsänderungen bestimmter Centralgebiete erklärt wer- den. Direct sind diese Functionsänderungen noch nicht er- forscht. Doch lässt sich nach den psychologischen Symp- tomen annehmen, dass sie sich aus einer Functionshemmung der bei den Willens- und Aufmerksamkeitsvorgängen wirk- samen Centralgebiete und aus einer Erregbarkeitssteigerung der Sinnescentren zusammensetzen.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/338>, abgerufen am 24.11.2024.