Associationstheorie auf niedere und, wie man annimmt, ein- fache Formen intellectueller Processe die Gesammtheit der psychischen Vorgänge zurückzuführen sucht. An dieser Ein- seitigkeit scheitern zugleich beide, da es nicht nur keiner von ihnen gelungen ist, die Gefühls- und Willensvorgänge aus den von ihnen angenommenen Grundgesetzen zu erklären, sondern da diese nicht einmal für die vollständige Inter- pretation der intellectuellen Vorgänge selbst ausreichen.
8. Die Verbindung der Psychologie des inneren Sinnes mit der intellectualistischen Anschauung hat endlich noch zu einer eigenthümlichen Voraussetzung geführt, die vielfach für die psychologische Auffassung verhängnissvoll geworden ist, und die wir kurz als die falsche intellectualisti- sche Verdinglichung der Vorstellungen bezeichnen können. Indem man nämlich nicht nur eine Analogie der Objecte des sogenannten inneren Sinnes und der Objecte der äußeren Sinne annahm, sondern auch die ersteren als die Bilder der letzteren betrachtete, wurde man veranlasst, die Eigenschaften, die die Naturwissenschaft den äußeren Natur- gegenständen zuschreibt, auf die unmittelbaren Gegenstände des "inneren Sinnes", die Vorstellungen, zu übertragen. Man nahm daher im allgemeinen an, die Vorstellungen selbst seien, gerade so wie die äußeren Objecte, auf die sie von uns bezogen werden, Gegenstände, die aus dem Bewusstsein verschwinden und wieder in dasselbe eintreten, und die auch wohl, je nachdem der innere Sinn durch die äußeren Sinne erregt wird oder nicht, und je nach der Aufmerksamkeit, die wir ihnen zuwenden, stärker und deutlicher oder schwächer und undeutlicher wahrgenommen werden können, aber doch im ganzen in ihrer qualitativen Beschaffenheit unverändert bleiben.
9. In allen diesen Beziehungen steht die volunta- ristische Psychologie im Gegensatze zum Intellectualismus.
Einleitung.
Associationstheorie auf niedere und, wie man annimmt, ein- fache Formen intellectueller Processe die Gesammtheit der psychischen Vorgänge zurückzuführen sucht. An dieser Ein- seitigkeit scheitern zugleich beide, da es nicht nur keiner von ihnen gelungen ist, die Gefühls- und Willensvorgänge aus den von ihnen angenommenen Grundgesetzen zu erklären, sondern da diese nicht einmal für die vollständige Inter- pretation der intellectuellen Vorgänge selbst ausreichen.
8. Die Verbindung der Psychologie des inneren Sinnes mit der intellectualistischen Anschauung hat endlich noch zu einer eigenthümlichen Voraussetzung geführt, die vielfach für die psychologische Auffassung verhängnissvoll geworden ist, und die wir kurz als die falsche intellectualisti- sche Verdinglichung der Vorstellungen bezeichnen können. Indem man nämlich nicht nur eine Analogie der Objecte des sogenannten inneren Sinnes und der Objecte der äußeren Sinne annahm, sondern auch die ersteren als die Bilder der letzteren betrachtete, wurde man veranlasst, die Eigenschaften, die die Naturwissenschaft den äußeren Natur- gegenständen zuschreibt, auf die unmittelbaren Gegenstände des »inneren Sinnes«, die Vorstellungen, zu übertragen. Man nahm daher im allgemeinen an, die Vorstellungen selbst seien, gerade so wie die äußeren Objecte, auf die sie von uns bezogen werden, Gegenstände, die aus dem Bewusstsein verschwinden und wieder in dasselbe eintreten, und die auch wohl, je nachdem der innere Sinn durch die äußeren Sinne erregt wird oder nicht, und je nach der Aufmerksamkeit, die wir ihnen zuwenden, stärker und deutlicher oder schwächer und undeutlicher wahrgenommen werden können, aber doch im ganzen in ihrer qualitativen Beschaffenheit unverändert bleiben.
9. In allen diesen Beziehungen steht die volunta- ristische Psychologie im Gegensatze zum Intellectualismus.
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Einleitung.
Associationstheorie auf niedere und, wie man annimmt, ein-
fache Formen intellectueller Processe die Gesammtheit der
psychischen Vorgänge zurückzuführen sucht. An dieser Ein-
seitigkeit scheitern zugleich beide, da es nicht nur keiner
von ihnen gelungen ist, die Gefühls- und Willensvorgänge
aus den von ihnen angenommenen Grundgesetzen zu erklären,
sondern da diese nicht einmal für die vollständige Inter-
pretation der intellectuellen Vorgänge selbst ausreichen.
8. Die Verbindung der Psychologie des inneren Sinnes
mit der intellectualistischen Anschauung hat endlich noch zu
einer eigenthümlichen Voraussetzung geführt, die vielfach
für die psychologische Auffassung verhängnissvoll geworden
ist, und die wir kurz als die falsche intellectualisti-
sche Verdinglichung der Vorstellungen bezeichnen
können. Indem man nämlich nicht nur eine Analogie der
Objecte des sogenannten inneren Sinnes und der Objecte der
äußeren Sinne annahm, sondern auch die ersteren als die
Bilder der letzteren betrachtete, wurde man veranlasst, die
Eigenschaften, die die Naturwissenschaft den äußeren Natur-
gegenständen zuschreibt, auf die unmittelbaren Gegenstände
des »inneren Sinnes«, die Vorstellungen, zu übertragen. Man
nahm daher im allgemeinen an, die Vorstellungen selbst
seien, gerade so wie die äußeren Objecte, auf die sie von
uns bezogen werden, Gegenstände, die aus dem Bewusstsein
verschwinden und wieder in dasselbe eintreten, und die auch
wohl, je nachdem der innere Sinn durch die äußeren Sinne
erregt wird oder nicht, und je nach der Aufmerksamkeit, die
wir ihnen zuwenden, stärker und deutlicher oder schwächer
und undeutlicher wahrgenommen werden können, aber doch
im ganzen in ihrer qualitativen Beschaffenheit unverändert
bleiben.
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/32>, abgerufen am 27.07.2024.
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