Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 16. Die Associationen.
dasselbe offenbar jenen Gefühlen zuzurechnen, welche von
den dunkleren im Bewusstsein anwesenden Vorstellungen aus-
gehen. Der psychologische Unterschied von einer gewöhn-
lichen simultanen Assimilation muss also wohl darin gesehen
werden, dass in dem Moment, wo sich bei der Apperception
des Eindrucks der Assimilationprocess vollzieht, zugleich
irgend welche Bestandtheile der ursprünglichen Vorstellung,
die nicht an der Assimilation theilnehmen, in den dunkleren
Regionen des Bewusstseins auftauchen, wobei nun zugleich
ihre Beziehung zu den Elementen der appercipirten Vor-
stellung in jenem Gefühl zum Ausdruck kommt. Solche
nicht assimilirte Bestandtheile können theils Elemente des
früheren Eindrucks sein, die von bestimmten Elementen des
neuen so verschieden sind, dass sie der Assimilation wider-
streben, theils und besonders können sie in Complicationen
bestehen, die früher deutlich vorhanden waren, jetzt aber
zunächst unbeachtet bleiben. Aus dieser Mitwirkung der
Complicationen erklärt es sich, dass bei Gesichtsobjecten
die Namen der Gegenstände, z. B. bei Personen die Eigen-
namen, gelegentlich aber auch andere akustische Merkmale,
wie der Klang der Stimme, außerordentlich wirksame Hülfs-
mittel der Wiedererkennung sind. Sie brauchen aber, um
diese Hülfe zu leisten, nicht nothwendig als klare Vorstel-
lungen im Bewusstsein zu sein. Wenn wir den Namen eines
Menschen gehört haben, so kann das die Wiedererkennung
bei der Wiederbegegnung fördern, ohne dass wir uns des
Namens sofort deutlich erinnern.

15a. Auch experimentell lässt sich dieser Einfluss der Com-
plicationen nachweisen. Wenn man eine Anzahl sonst gleicher
Scheiben, die zwischen Weiß und Schwarz verschiedene Stufen
von Grau zeigen, einmal dem Auge darbietet, so lässt sich, so
lange man nicht mehr als fünf Stufen im ganzen wählt (zwischen
Weiß und Schwarz noch drei Abstufungen von Grau), jede ein-

§ 16. Die Associationen.
dasselbe offenbar jenen Gefühlen zuzurechnen, welche von
den dunkleren im Bewusstsein anwesenden Vorstellungen aus-
gehen. Der psychologische Unterschied von einer gewöhn-
lichen simultanen Assimilation muss also wohl darin gesehen
werden, dass in dem Moment, wo sich bei der Apperception
des Eindrucks der Assimilationprocess vollzieht, zugleich
irgend welche Bestandtheile der ursprünglichen Vorstellung,
die nicht an der Assimilation theilnehmen, in den dunkleren
Regionen des Bewusstseins auftauchen, wobei nun zugleich
ihre Beziehung zu den Elementen der appercipirten Vor-
stellung in jenem Gefühl zum Ausdruck kommt. Solche
nicht assimilirte Bestandtheile können theils Elemente des
früheren Eindrucks sein, die von bestimmten Elementen des
neuen so verschieden sind, dass sie der Assimilation wider-
streben, theils und besonders können sie in Complicationen
bestehen, die früher deutlich vorhanden waren, jetzt aber
zunächst unbeachtet bleiben. Aus dieser Mitwirkung der
Complicationen erklärt es sich, dass bei Gesichtsobjecten
die Namen der Gegenstände, z. B. bei Personen die Eigen-
namen, gelegentlich aber auch andere akustische Merkmale,
wie der Klang der Stimme, außerordentlich wirksame Hülfs-
mittel der Wiedererkennung sind. Sie brauchen aber, um
diese Hülfe zu leisten, nicht nothwendig als klare Vorstel-
lungen im Bewusstsein zu sein. Wenn wir den Namen eines
Menschen gehört haben, so kann das die Wiedererkennung
bei der Wiederbegegnung fördern, ohne dass wir uns des
Namens sofort deutlich erinnern.

15a. Auch experimentell lässt sich dieser Einfluss der Com-
plicationen nachweisen. Wenn man eine Anzahl sonst gleicher
Scheiben, die zwischen Weiß und Schwarz verschiedene Stufen
von Grau zeigen, einmal dem Auge darbietet, so lässt sich, so
lange man nicht mehr als fünf Stufen im ganzen wählt (zwischen
Weiß und Schwarz noch drei Abstufungen von Grau), jede ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0295" n="279"/><fw place="top" type="header">§ 16. Die Associationen.</fw><lb/>
dasselbe offenbar jenen Gefühlen zuzurechnen, welche von<lb/>
den dunkleren im Bewusstsein anwesenden Vorstellungen aus-<lb/>
gehen. Der psychologische Unterschied von einer gewöhn-<lb/>
lichen simultanen Assimilation muss also wohl darin gesehen<lb/>
werden, dass in dem Moment, wo sich bei der Apperception<lb/>
des Eindrucks der Assimilationprocess vollzieht, zugleich<lb/>
irgend welche Bestandtheile der ursprünglichen Vorstellung,<lb/>
die nicht an der Assimilation theilnehmen, in den dunkleren<lb/>
Regionen des Bewusstseins auftauchen, wobei nun zugleich<lb/>
ihre Beziehung zu den Elementen der appercipirten Vor-<lb/>
stellung in jenem Gefühl zum Ausdruck kommt. Solche<lb/>
nicht assimilirte Bestandtheile können theils Elemente des<lb/>
früheren Eindrucks sein, die von bestimmten Elementen des<lb/>
neuen so verschieden sind, dass sie der Assimilation wider-<lb/>
streben, theils und besonders können sie in Complicationen<lb/>
bestehen, die früher deutlich vorhanden waren, jetzt aber<lb/>
zunächst unbeachtet bleiben. Aus dieser Mitwirkung der<lb/>
Complicationen erklärt es sich, dass bei Gesichtsobjecten<lb/>
die Namen der Gegenstände, z. B. bei Personen die Eigen-<lb/>
namen, gelegentlich aber auch andere akustische Merkmale,<lb/>
wie der Klang der Stimme, außerordentlich wirksame Hülfs-<lb/>
mittel der Wiedererkennung sind. Sie brauchen aber, um<lb/>
diese Hülfe zu leisten, nicht nothwendig als klare Vorstel-<lb/>
lungen im Bewusstsein zu sein. Wenn wir den Namen eines<lb/>
Menschen gehört haben, so kann das die Wiedererkennung<lb/>
bei der Wiederbegegnung fördern, ohne dass wir uns des<lb/>
Namens sofort deutlich erinnern.</p><lb/>
              <p>15a. Auch experimentell lässt sich dieser Einfluss der Com-<lb/>
plicationen nachweisen. Wenn man eine Anzahl sonst gleicher<lb/>
Scheiben, die zwischen Weiß und Schwarz verschiedene Stufen<lb/>
von Grau zeigen, einmal dem Auge darbietet, so lässt sich, so<lb/>
lange man nicht mehr als <hi rendition="#g">fünf</hi> Stufen im ganzen wählt (zwischen<lb/>
Weiß und Schwarz noch drei Abstufungen von Grau), jede ein-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0295] § 16. Die Associationen. dasselbe offenbar jenen Gefühlen zuzurechnen, welche von den dunkleren im Bewusstsein anwesenden Vorstellungen aus- gehen. Der psychologische Unterschied von einer gewöhn- lichen simultanen Assimilation muss also wohl darin gesehen werden, dass in dem Moment, wo sich bei der Apperception des Eindrucks der Assimilationprocess vollzieht, zugleich irgend welche Bestandtheile der ursprünglichen Vorstellung, die nicht an der Assimilation theilnehmen, in den dunkleren Regionen des Bewusstseins auftauchen, wobei nun zugleich ihre Beziehung zu den Elementen der appercipirten Vor- stellung in jenem Gefühl zum Ausdruck kommt. Solche nicht assimilirte Bestandtheile können theils Elemente des früheren Eindrucks sein, die von bestimmten Elementen des neuen so verschieden sind, dass sie der Assimilation wider- streben, theils und besonders können sie in Complicationen bestehen, die früher deutlich vorhanden waren, jetzt aber zunächst unbeachtet bleiben. Aus dieser Mitwirkung der Complicationen erklärt es sich, dass bei Gesichtsobjecten die Namen der Gegenstände, z. B. bei Personen die Eigen- namen, gelegentlich aber auch andere akustische Merkmale, wie der Klang der Stimme, außerordentlich wirksame Hülfs- mittel der Wiedererkennung sind. Sie brauchen aber, um diese Hülfe zu leisten, nicht nothwendig als klare Vorstel- lungen im Bewusstsein zu sein. Wenn wir den Namen eines Menschen gehört haben, so kann das die Wiedererkennung bei der Wiederbegegnung fördern, ohne dass wir uns des Namens sofort deutlich erinnern. 15a. Auch experimentell lässt sich dieser Einfluss der Com- plicationen nachweisen. Wenn man eine Anzahl sonst gleicher Scheiben, die zwischen Weiß und Schwarz verschiedene Stufen von Grau zeigen, einmal dem Auge darbietet, so lässt sich, so lange man nicht mehr als fünf Stufen im ganzen wählt (zwischen Weiß und Schwarz noch drei Abstufungen von Grau), jede ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/295
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/295>, abgerufen am 12.05.2024.