Eindruck in der That zwei Kugeln entspricht. Die auf diese Weise in zahlreichen früheren Fällen entstandenen Wahr- nehmungen wirken aber assimilirend auf den neuen Eindruck.
9. Eine ungemein wichtige Rolle spielt der Assimilations- process bei den Wahrnehmungen des Gesichtssinns, wo er besonders bei den Vorstellungen der Größe, der Ent- fernung und der körperlichen Beschaffenheit der Gesichts- objecte mitwirkt und in letzterer Beziehung die bei dem binocularen Sehen entstehenden unmittelbaren Motive der Tiefenwahrnehmung wesentlich vervollständigt. So erklären sich die Correlationen, in denen Entfernungs- und Größen- vorstellung der Objecte zu einander stehen, wie z. B. die scheinbaren Größenunterschiede von Sonne und Mond am Horizont und im Zenith, als Assimilationswirkungen. Ebenso beruhen hierauf die Einflüsse der zeichnerischen und der malerischen Perspective. Ein in einer Ebene gezeichnetes oder gemaltes Bild kann uns nur dadurch körperlich er- scheinen, dass der Eindruck Elemente früherer körperlicher Vorstellungen erweckt, die den neuen Eindruck assimiliren. Am auffallendsten zeigt sich dieser Assimilationseinfluss bei unschattirten zweideutigen Zeichnungen, die ebensowohl erhaben wie vertieft gesehen werden können. Zugleich lehrt aber hierbei die Beobachtung, dass ein solcher Wech- sel des Reliefs keineswegs ein zufälliger ist, der von dem Belieben der so genannten "Einbildungskraft" abhängt, sondern dass es stets Elemente des unmittelbaren Eindrucks gibt, die in vollkommen eindeutiger Weise den Assi- milationsprocess bestimmen. Als solche Elemente sind vor allem die Empfindungen wirksam, die an die Stellungen und Bewegungen des Auges geknüpft sind. So sehen wir z. B. eine lineare Zeichnung, die ebensowohl ein körper- liches wie ein hohles Prisma bedeuten kann, abwechselnd erhaben und vertieft, je nachdem wir das eine Mal Theile
III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
Eindruck in der That zwei Kugeln entspricht. Die auf diese Weise in zahlreichen früheren Fällen entstandenen Wahr- nehmungen wirken aber assimilirend auf den neuen Eindruck.
9. Eine ungemein wichtige Rolle spielt der Assimilations- process bei den Wahrnehmungen des Gesichtssinns, wo er besonders bei den Vorstellungen der Größe, der Ent- fernung und der körperlichen Beschaffenheit der Gesichts- objecte mitwirkt und in letzterer Beziehung die bei dem binocularen Sehen entstehenden unmittelbaren Motive der Tiefenwahrnehmung wesentlich vervollständigt. So erklären sich die Correlationen, in denen Entfernungs- und Größen- vorstellung der Objecte zu einander stehen, wie z. B. die scheinbaren Größenunterschiede von Sonne und Mond am Horizont und im Zenith, als Assimilationswirkungen. Ebenso beruhen hierauf die Einflüsse der zeichnerischen und der malerischen Perspective. Ein in einer Ebene gezeichnetes oder gemaltes Bild kann uns nur dadurch körperlich er- scheinen, dass der Eindruck Elemente früherer körperlicher Vorstellungen erweckt, die den neuen Eindruck assimiliren. Am auffallendsten zeigt sich dieser Assimilationseinfluss bei unschattirten zweideutigen Zeichnungen, die ebensowohl erhaben wie vertieft gesehen werden können. Zugleich lehrt aber hierbei die Beobachtung, dass ein solcher Wech- sel des Reliefs keineswegs ein zufälliger ist, der von dem Belieben der so genannten »Einbildungskraft« abhängt, sondern dass es stets Elemente des unmittelbaren Eindrucks gibt, die in vollkommen eindeutiger Weise den Assi- milationsprocess bestimmen. Als solche Elemente sind vor allem die Empfindungen wirksam, die an die Stellungen und Bewegungen des Auges geknüpft sind. So sehen wir z. B. eine lineare Zeichnung, die ebensowohl ein körper- liches wie ein hohles Prisma bedeuten kann, abwechselnd erhaben und vertieft, je nachdem wir das eine Mal Theile
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III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
Eindruck in der That zwei Kugeln entspricht. Die auf diese
Weise in zahlreichen früheren Fällen entstandenen Wahr-
nehmungen wirken aber assimilirend auf den neuen Eindruck.
9. Eine ungemein wichtige Rolle spielt der Assimilations-
process bei den Wahrnehmungen des Gesichtssinns, wo
er besonders bei den Vorstellungen der Größe, der Ent-
fernung und der körperlichen Beschaffenheit der Gesichts-
objecte mitwirkt und in letzterer Beziehung die bei dem
binocularen Sehen entstehenden unmittelbaren Motive der
Tiefenwahrnehmung wesentlich vervollständigt. So erklären
sich die Correlationen, in denen Entfernungs- und Größen-
vorstellung der Objecte zu einander stehen, wie z. B. die
scheinbaren Größenunterschiede von Sonne und Mond am
Horizont und im Zenith, als Assimilationswirkungen. Ebenso
beruhen hierauf die Einflüsse der zeichnerischen und der
malerischen Perspective. Ein in einer Ebene gezeichnetes
oder gemaltes Bild kann uns nur dadurch körperlich er-
scheinen, dass der Eindruck Elemente früherer körperlicher
Vorstellungen erweckt, die den neuen Eindruck assimiliren.
Am auffallendsten zeigt sich dieser Assimilationseinfluss bei
unschattirten zweideutigen Zeichnungen, die ebensowohl
erhaben wie vertieft gesehen werden können. Zugleich
lehrt aber hierbei die Beobachtung, dass ein solcher Wech-
sel des Reliefs keineswegs ein zufälliger ist, der von dem
Belieben der so genannten »Einbildungskraft« abhängt,
sondern dass es stets Elemente des unmittelbaren Eindrucks
gibt, die in vollkommen eindeutiger Weise den Assi-
milationsprocess bestimmen. Als solche Elemente sind vor
allem die Empfindungen wirksam, die an die Stellungen
und Bewegungen des Auges geknüpft sind. So sehen wir
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/286>, abgerufen am 22.11.2024.
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