Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 15. Bewusstsein und Aufmerksamkeit.
das ohne jeden Kampf mit andern Motiven die Handlung der
Apperception anregt, die auch hier schließlich mit dem für
alle Willenshandlungen charakteristischen Gefühl der Thätig-
keit verbunden ist. Bei der activen Apperception dagegen
drängen sich während des vorbereitenden Gefühlsstadiums
stets noch andere psychische Inhalte mit ihren Gefühls-
effecten der Aufmerksamkeit auf, so dass hier die endlich
eintretende Apperception als eine Willkürhandlung und in
vielen Fällen, wenn nämlich der Kampf verschiedener sich
aufdrängender Inhalte selber ein klar bewusster wird, sogar
als eine Wahlhandlung erscheint. In diesen letzteren Fällen
ist denn auch die Existenz einer solchen schon von der
älteren Psychologie anerkannt worden, indem man bei ihnen
von "willkürlicher Aufmerksamkeit" redete. Aber erstens
trat hier der Wille genau so unvermittelt auf wie bei den
äußeren Willenshandlungen, da man den springenden Punkt
dieser Entwicklung, nämlich die Thatsache, dass die so
genannte "unwillkürliche Aufmerksamkeit" nur eine ein-
fachere Form innerer Willenshandlung sei, verkannte; und
zweitens wurden dabei ganz in der Weise der alten Ver-
mögenstheorie "Aufmerksamkeit" und "Wille" als verschie-
denartige, gelegentlich sich verbindende, gelegentlich aber
auch sich ausschließende psychische Kräfte einander gegen-
übergestellt, während doch beide offenbar Begriffsbildungen
sind, die sich auf die nämliche Classe psychischer Processe
beziehen. Nur umfassen die Apperceptions- oder Aufmerk-
samkeitsvorgänge diejenigen unter diesen Processen, die an
und für sich, sofern nämlich nicht weitere Vorgänge sich
anschließen, ohne äußere Wirkungen, bloß als so genannte
innere Handlungen, verlaufen.

10. An diese inneren Willenshandlungen, die wir als
Aufmerksamkeitsvorgänge bezeichnen, schließt sich noch
eine für die gesammte psychische Entwicklung äußerst

Wundt, Psychologie. 17

§ 15. Bewusstsein und Aufmerksamkeit.
das ohne jeden Kampf mit andern Motiven die Handlung der
Apperception anregt, die auch hier schließlich mit dem für
alle Willenshandlungen charakteristischen Gefühl der Thätig-
keit verbunden ist. Bei der activen Apperception dagegen
drängen sich während des vorbereitenden Gefühlsstadiums
stets noch andere psychische Inhalte mit ihren Gefühls-
effecten der Aufmerksamkeit auf, so dass hier die endlich
eintretende Apperception als eine Willkürhandlung und in
vielen Fällen, wenn nämlich der Kampf verschiedener sich
aufdrängender Inhalte selber ein klar bewusster wird, sogar
als eine Wahlhandlung erscheint. In diesen letzteren Fällen
ist denn auch die Existenz einer solchen schon von der
älteren Psychologie anerkannt worden, indem man bei ihnen
von »willkürlicher Aufmerksamkeit« redete. Aber erstens
trat hier der Wille genau so unvermittelt auf wie bei den
äußeren Willenshandlungen, da man den springenden Punkt
dieser Entwicklung, nämlich die Thatsache, dass die so
genannte »unwillkürliche Aufmerksamkeit« nur eine ein-
fachere Form innerer Willenshandlung sei, verkannte; und
zweitens wurden dabei ganz in der Weise der alten Ver-
mögenstheorie »Aufmerksamkeit« und »Wille« als verschie-
denartige, gelegentlich sich verbindende, gelegentlich aber
auch sich ausschließende psychische Kräfte einander gegen-
übergestellt, während doch beide offenbar Begriffsbildungen
sind, die sich auf die nämliche Classe psychischer Processe
beziehen. Nur umfassen die Apperceptions- oder Aufmerk-
samkeitsvorgänge diejenigen unter diesen Processen, die an
und für sich, sofern nämlich nicht weitere Vorgänge sich
anschließen, ohne äußere Wirkungen, bloß als so genannte
innere Handlungen, verlaufen.

10. An diese inneren Willenshandlungen, die wir als
Aufmerksamkeitsvorgänge bezeichnen, schließt sich noch
eine für die gesammte psychische Entwicklung äußerst

Wundt, Psychologie. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0273" n="257"/><fw place="top" type="header">§ 15. Bewusstsein und Aufmerksamkeit.</fw><lb/>
das ohne jeden Kampf mit andern Motiven die Handlung der<lb/>
Apperception anregt, die auch hier schließlich mit dem für<lb/>
alle Willenshandlungen charakteristischen Gefühl der Thätig-<lb/>
keit verbunden ist. Bei der activen Apperception dagegen<lb/>
drängen sich während des vorbereitenden Gefühlsstadiums<lb/>
stets noch andere psychische Inhalte mit ihren Gefühls-<lb/>
effecten der Aufmerksamkeit auf, so dass hier die endlich<lb/>
eintretende Apperception als eine Willkürhandlung und in<lb/>
vielen Fällen, wenn nämlich der Kampf verschiedener sich<lb/>
aufdrängender Inhalte selber ein klar bewusster wird, sogar<lb/>
als eine Wahlhandlung erscheint. In diesen letzteren Fällen<lb/>
ist denn auch die Existenz einer solchen schon von der<lb/>
älteren Psychologie anerkannt worden, indem man bei ihnen<lb/>
von »willkürlicher Aufmerksamkeit« redete. Aber erstens<lb/>
trat hier der Wille genau so unvermittelt auf wie bei den<lb/>
äußeren Willenshandlungen, da man den springenden Punkt<lb/>
dieser Entwicklung, nämlich die Thatsache, dass die so<lb/>
genannte »unwillkürliche Aufmerksamkeit« nur eine ein-<lb/>
fachere Form innerer Willenshandlung sei, verkannte; und<lb/>
zweitens wurden dabei ganz in der Weise der alten Ver-<lb/>
mögenstheorie »Aufmerksamkeit« und »Wille« als verschie-<lb/>
denartige, gelegentlich sich verbindende, gelegentlich aber<lb/>
auch sich ausschließende psychische Kräfte einander gegen-<lb/>
übergestellt, während doch beide offenbar Begriffsbildungen<lb/>
sind, die sich auf die nämliche Classe psychischer Processe<lb/>
beziehen. Nur umfassen die Apperceptions- oder Aufmerk-<lb/>
samkeitsvorgänge diejenigen unter diesen Processen, die an<lb/>
und für sich, sofern nämlich nicht weitere Vorgänge sich<lb/>
anschließen, ohne äußere Wirkungen, bloß als so genannte<lb/>
innere Handlungen, verlaufen.</p><lb/>
          <p>10. An diese inneren Willenshandlungen, die wir als<lb/>
Aufmerksamkeitsvorgänge bezeichnen, schließt sich noch<lb/>
eine für die gesammte psychische Entwicklung äußerst<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Wundt</hi>, Psychologie. 17</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0273] § 15. Bewusstsein und Aufmerksamkeit. das ohne jeden Kampf mit andern Motiven die Handlung der Apperception anregt, die auch hier schließlich mit dem für alle Willenshandlungen charakteristischen Gefühl der Thätig- keit verbunden ist. Bei der activen Apperception dagegen drängen sich während des vorbereitenden Gefühlsstadiums stets noch andere psychische Inhalte mit ihren Gefühls- effecten der Aufmerksamkeit auf, so dass hier die endlich eintretende Apperception als eine Willkürhandlung und in vielen Fällen, wenn nämlich der Kampf verschiedener sich aufdrängender Inhalte selber ein klar bewusster wird, sogar als eine Wahlhandlung erscheint. In diesen letzteren Fällen ist denn auch die Existenz einer solchen schon von der älteren Psychologie anerkannt worden, indem man bei ihnen von »willkürlicher Aufmerksamkeit« redete. Aber erstens trat hier der Wille genau so unvermittelt auf wie bei den äußeren Willenshandlungen, da man den springenden Punkt dieser Entwicklung, nämlich die Thatsache, dass die so genannte »unwillkürliche Aufmerksamkeit« nur eine ein- fachere Form innerer Willenshandlung sei, verkannte; und zweitens wurden dabei ganz in der Weise der alten Ver- mögenstheorie »Aufmerksamkeit« und »Wille« als verschie- denartige, gelegentlich sich verbindende, gelegentlich aber auch sich ausschließende psychische Kräfte einander gegen- übergestellt, während doch beide offenbar Begriffsbildungen sind, die sich auf die nämliche Classe psychischer Processe beziehen. Nur umfassen die Apperceptions- oder Aufmerk- samkeitsvorgänge diejenigen unter diesen Processen, die an und für sich, sofern nämlich nicht weitere Vorgänge sich anschließen, ohne äußere Wirkungen, bloß als so genannte innere Handlungen, verlaufen. 10. An diese inneren Willenshandlungen, die wir als Aufmerksamkeitsvorgänge bezeichnen, schließt sich noch eine für die gesammte psychische Entwicklung äußerst Wundt, Psychologie. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/273
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/273>, abgerufen am 11.05.2024.