1. Da sich jedes psychische Gebilde aus einer Vielheit elementarer Processe zusammensetzt, die weder sämmtlich genau im selben Moment zu beginnen noch aufzuhören pflegen, so reicht der Zusammenhang, der die Elemente zu einem Ganzen verbindet, im allgemeinen stets über dieses hinaus, so dass verschiedene gleichzeitige wie succesive Ge- bilde wieder, wenn auch loser, unter einander verbunden werden. Diesen Zusammenhang der psychischen Gebilde nennen wir das Bewusstsein.
Der Begriff des Bewusstseins bezeichnet demnach nichts, was neben den psychischen Vorgängen vorhanden wäre. Aber er bezieht sich auch keineswegs bloß auf die Summe derselben ohne jede Rücksicht darauf, wie sie sich zu ein- ander verhalten; sondern seine Bedeutung ist die, dass er jene allgemeine Verbindung der psychischen Vorgänge aus- drückt, aus der sich die einzelnen Gebilde als engere Ver- bindungen herausheben. Einen Zustand, in welchem dieser Zusammenhang unterbrochen ist, wie den des tiefen Schlafes, der Ohnmacht, nennen wir daher bewusstlos; und wir reden von "Störungen des Bewusstseins", sobald abnorme Veränderungen in der Verbindung der psychischen Gebilde auftreten, wobei diese selbst keinerlei Veränderungen dar- zubieten brauchen.
III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
§ 15. Bewusstsein und Aufmerksamkeit.
1. Da sich jedes psychische Gebilde aus einer Vielheit elementarer Processe zusammensetzt, die weder sämmtlich genau im selben Moment zu beginnen noch aufzuhören pflegen, so reicht der Zusammenhang, der die Elemente zu einem Ganzen verbindet, im allgemeinen stets über dieses hinaus, so dass verschiedene gleichzeitige wie succesive Ge- bilde wieder, wenn auch loser, unter einander verbunden werden. Diesen Zusammenhang der psychischen Gebilde nennen wir das Bewusstsein.
Der Begriff des Bewusstseins bezeichnet demnach nichts, was neben den psychischen Vorgängen vorhanden wäre. Aber er bezieht sich auch keineswegs bloß auf die Summe derselben ohne jede Rücksicht darauf, wie sie sich zu ein- ander verhalten; sondern seine Bedeutung ist die, dass er jene allgemeine Verbindung der psychischen Vorgänge aus- drückt, aus der sich die einzelnen Gebilde als engere Ver- bindungen herausheben. Einen Zustand, in welchem dieser Zusammenhang unterbrochen ist, wie den des tiefen Schlafes, der Ohnmacht, nennen wir daher bewusstlos; und wir reden von »Störungen des Bewusstseins«, sobald abnorme Veränderungen in der Verbindung der psychischen Gebilde auftreten, wobei diese selbst keinerlei Veränderungen dar- zubieten brauchen.
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[[238]/0254]
III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
§ 15. Bewusstsein und Aufmerksamkeit.
1. Da sich jedes psychische Gebilde aus einer Vielheit
elementarer Processe zusammensetzt, die weder sämmtlich
genau im selben Moment zu beginnen noch aufzuhören
pflegen, so reicht der Zusammenhang, der die Elemente zu
einem Ganzen verbindet, im allgemeinen stets über dieses
hinaus, so dass verschiedene gleichzeitige wie succesive Ge-
bilde wieder, wenn auch loser, unter einander verbunden
werden. Diesen Zusammenhang der psychischen Gebilde
nennen wir das Bewusstsein.
Der Begriff des Bewusstseins bezeichnet demnach nichts,
was neben den psychischen Vorgängen vorhanden wäre.
Aber er bezieht sich auch keineswegs bloß auf die Summe
derselben ohne jede Rücksicht darauf, wie sie sich zu ein-
ander verhalten; sondern seine Bedeutung ist die, dass er
jene allgemeine Verbindung der psychischen Vorgänge aus-
drückt, aus der sich die einzelnen Gebilde als engere Ver-
bindungen herausheben. Einen Zustand, in welchem dieser
Zusammenhang unterbrochen ist, wie den des tiefen Schlafes,
der Ohnmacht, nennen wir daher bewusstlos; und wir
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Veränderungen in der Verbindung der psychischen Gebilde
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. [238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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