einzelnes Wollen; und von diesem wiederum wissen wir nur etwas, insofern es ein unmittelbar wahrzunehmender Vorgang ist, nicht ein unbewusster oder, was für die Psychologie auf dasselbe hinauskommt, ein materieller Vorgang, der nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern nur auf Grund metaphysischer Voraus- setzungen hypothetisch angenommen wird. Solche metaphysische Annahmen sind hier augenscheinlich nur Lückenbüßer einer mangelhaften oder völlig fehlenden psychologischen Beobachtung. Wer von dem ganzen Willensvorgang nur das Ende, die äußere Handlung, beachtet, der kann aber natürlich leicht auf den Ge- danken verfallen, die nächste Ursache des Wollens sei irgend ein unbewusstes immaterielles oder materielles Agens.
11. Da die exacte Beobachtung der Willensvorgänge aus den oben angeführten Gründen bei den von selbst im Laufe des Lebens vorkommenden Willensacten unmöglich ist, so besteht auch hier der einzige Weg zu einer gründlichen psychologischen Untersuchung in der experimentellen Beobachtung. Nun können wir freilich nicht Willenshand- lungen jeder beliebigen Art nach Willkür erzeugen, sondern wir müssen uns auf die Beobachtung gewisser leicht der Beeinflussung durch äußere Hülfsmittel zugänglicher und mit äußeren Handlungen abschließender Willensvorgänge be- schränken. Die Versuche, die diesem Zweck dienen, sind die sogenannten Reactionsversuche. Sie bestehen im wesentlichen darin, dass ein einfacherer oder zusammen- gesetzterer Willensvorgang durch einen äußeren Sinnesreiz angeregt und nach Ablauf bestimmter, zum Theil als Motive benutzter psychischer Vorgänge durch eine Bewegungsreac- tion beendet wird.
Neben der hier hervorgehobenen haben die Reactions- versuche noch eine zweite, allgemeinere Bedeutung. Sie bieten nämlich die Hülfsmittel dar, um die Geschwindig- keit gewisser psychischer und psycho-physischer Vorgänge zu messen. In der That werden solche Messungen bei
§ 14. Die Willensvorgänge.
einzelnes Wollen; und von diesem wiederum wissen wir nur etwas, insofern es ein unmittelbar wahrzunehmender Vorgang ist, nicht ein unbewusster oder, was für die Psychologie auf dasselbe hinauskommt, ein materieller Vorgang, der nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern nur auf Grund metaphysischer Voraus- setzungen hypothetisch angenommen wird. Solche metaphysische Annahmen sind hier augenscheinlich nur Lückenbüßer einer mangelhaften oder völlig fehlenden psychologischen Beobachtung. Wer von dem ganzen Willensvorgang nur das Ende, die äußere Handlung, beachtet, der kann aber natürlich leicht auf den Ge- danken verfallen, die nächste Ursache des Wollens sei irgend ein unbewusstes immaterielles oder materielles Agens.
11. Da die exacte Beobachtung der Willensvorgänge aus den oben angeführten Gründen bei den von selbst im Laufe des Lebens vorkommenden Willensacten unmöglich ist, so besteht auch hier der einzige Weg zu einer gründlichen psychologischen Untersuchung in der experimentellen Beobachtung. Nun können wir freilich nicht Willenshand- lungen jeder beliebigen Art nach Willkür erzeugen, sondern wir müssen uns auf die Beobachtung gewisser leicht der Beeinflussung durch äußere Hülfsmittel zugänglicher und mit äußeren Handlungen abschließender Willensvorgänge be- schränken. Die Versuche, die diesem Zweck dienen, sind die sogenannten Reactionsversuche. Sie bestehen im wesentlichen darin, dass ein einfacherer oder zusammen- gesetzterer Willensvorgang durch einen äußeren Sinnesreiz angeregt und nach Ablauf bestimmter, zum Theil als Motive benutzter psychischer Vorgänge durch eine Bewegungsreac- tion beendet wird.
Neben der hier hervorgehobenen haben die Reactions- versuche noch eine zweite, allgemeinere Bedeutung. Sie bieten nämlich die Hülfsmittel dar, um die Geschwindig- keit gewisser psychischer und psycho-physischer Vorgänge zu messen. In der That werden solche Messungen bei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0247"n="231"/><fwplace="top"type="header">§ 14. Die Willensvorgänge.</fw><lb/>
einzelnes Wollen; und von diesem wiederum wissen wir nur<lb/>
etwas, insofern es ein unmittelbar wahrzunehmender Vorgang ist,<lb/>
nicht ein unbewusster oder, was für die Psychologie auf dasselbe<lb/>
hinauskommt, ein materieller Vorgang, der nicht unmittelbar<lb/>
wahrgenommen, sondern nur auf Grund metaphysischer Voraus-<lb/>
setzungen hypothetisch angenommen wird. Solche metaphysische<lb/>
Annahmen sind hier augenscheinlich nur Lückenbüßer einer<lb/>
mangelhaften oder völlig fehlenden psychologischen Beobachtung.<lb/>
Wer von dem ganzen Willensvorgang nur das Ende, die äußere<lb/>
Handlung, beachtet, der kann aber natürlich leicht auf den Ge-<lb/>
danken verfallen, die nächste Ursache des Wollens sei irgend ein<lb/>
unbewusstes immaterielles oder materielles Agens.</p><lb/><p>11. Da die exacte Beobachtung der Willensvorgänge aus<lb/>
den oben angeführten Gründen bei den von selbst im Laufe<lb/>
des Lebens vorkommenden Willensacten unmöglich ist, so<lb/>
besteht auch hier der einzige Weg zu einer gründlichen<lb/>
psychologischen Untersuchung in der <hirendition="#g">experimentellen</hi><lb/>
Beobachtung. Nun können wir freilich nicht Willenshand-<lb/>
lungen jeder beliebigen Art nach Willkür erzeugen, sondern<lb/>
wir müssen uns auf die Beobachtung gewisser leicht der<lb/>
Beeinflussung durch äußere Hülfsmittel zugänglicher und mit<lb/>
äußeren Handlungen abschließender Willensvorgänge be-<lb/>
schränken. Die Versuche, die diesem Zweck dienen, sind<lb/>
die sogenannten <hirendition="#g">Reactionsversuche</hi>. Sie bestehen im<lb/>
wesentlichen darin, dass ein einfacherer oder zusammen-<lb/>
gesetzterer Willensvorgang durch einen äußeren Sinnesreiz<lb/>
angeregt und nach Ablauf bestimmter, zum Theil als Motive<lb/>
benutzter psychischer Vorgänge durch eine Bewegungsreac-<lb/>
tion beendet wird.</p><lb/><p>Neben der hier hervorgehobenen haben die Reactions-<lb/>
versuche noch eine zweite, allgemeinere Bedeutung. Sie<lb/>
bieten nämlich die Hülfsmittel dar, um die <hirendition="#g">Geschwindig-<lb/>
keit</hi> gewisser psychischer und psycho-physischer Vorgänge<lb/>
zu messen. In der That werden solche Messungen bei<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[231/0247]
§ 14. Die Willensvorgänge.
einzelnes Wollen; und von diesem wiederum wissen wir nur
etwas, insofern es ein unmittelbar wahrzunehmender Vorgang ist,
nicht ein unbewusster oder, was für die Psychologie auf dasselbe
hinauskommt, ein materieller Vorgang, der nicht unmittelbar
wahrgenommen, sondern nur auf Grund metaphysischer Voraus-
setzungen hypothetisch angenommen wird. Solche metaphysische
Annahmen sind hier augenscheinlich nur Lückenbüßer einer
mangelhaften oder völlig fehlenden psychologischen Beobachtung.
Wer von dem ganzen Willensvorgang nur das Ende, die äußere
Handlung, beachtet, der kann aber natürlich leicht auf den Ge-
danken verfallen, die nächste Ursache des Wollens sei irgend ein
unbewusstes immaterielles oder materielles Agens.
11. Da die exacte Beobachtung der Willensvorgänge aus
den oben angeführten Gründen bei den von selbst im Laufe
des Lebens vorkommenden Willensacten unmöglich ist, so
besteht auch hier der einzige Weg zu einer gründlichen
psychologischen Untersuchung in der experimentellen
Beobachtung. Nun können wir freilich nicht Willenshand-
lungen jeder beliebigen Art nach Willkür erzeugen, sondern
wir müssen uns auf die Beobachtung gewisser leicht der
Beeinflussung durch äußere Hülfsmittel zugänglicher und mit
äußeren Handlungen abschließender Willensvorgänge be-
schränken. Die Versuche, die diesem Zweck dienen, sind
die sogenannten Reactionsversuche. Sie bestehen im
wesentlichen darin, dass ein einfacherer oder zusammen-
gesetzterer Willensvorgang durch einen äußeren Sinnesreiz
angeregt und nach Ablauf bestimmter, zum Theil als Motive
benutzter psychischer Vorgänge durch eine Bewegungsreac-
tion beendet wird.
Neben der hier hervorgehobenen haben die Reactions-
versuche noch eine zweite, allgemeinere Bedeutung. Sie
bieten nämlich die Hülfsmittel dar, um die Geschwindig-
keit gewisser psychischer und psycho-physischer Vorgänge
zu messen. In der That werden solche Messungen bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/247>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.