Natürlich sind auch hinsichtlich der psychologischen Ent- stehung der Zeitvorstellungen die ähnlichen Gegensätze nati- vistischer und genetischer Anschauungen vertreten, die uns bei den räumlichen Vorstellungen (S. 134, 12a) begegnet sind. Doch hat es in diesem Fall der Nativismus zu einer eigentlichen Theorie überhaupt nicht gebracht, sondern er pflegt sich auf die allgemeine Annahme zu beschränken, dass die Zeit eine "angeborene Anschauungsform" sei, ohne dass irgendwie der Versuch gemacht würde, von dem Einfluss der thatsächlich nachzuweisenden Ele- mente und Bedingungen der zeitlichen Vorstellungen Rechenschaft zu geben. Die genetischen Theorien der älteren Psychologie, z. B. die Herbart'sche, versuchen die Zeitanschauung ausschließ- lich aus Vorstellungselementen abzuleiten. Dabei ergeht man sich aber lediglich in speculativen Constructionen, bei denen die em- pirisch gegebenen Bedingungen überhaupt nicht beachtet werden.
§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
1. In der Entwicklung der zeitlichen Vorstellungen tritt deutlich zu Tage, dass die Sonderung der Vorstellungs- und der Gefühlsbestandtheile der unmittelbaren Erfahrung erst ein Product unserer Abstraction ist. Bei den Zeitvorstel- lungen erweist sich nämlich diese Abstraction deshalb als undurchführbar, weil bei ihnen bestimmte Gefühle wesentlich an der Entstehung der Vorstellungen betheiligt sind. So lassen sich denn auch die Zeitvorstellungen nur insofern, als man ausschließlich das Endergebniss des Processes, die Ordnung bestimmter Empfindungen im Verhältniss zu ein- ander und zum Subjecte, ins Auge fasst, als Vorstel- lungen bezeichnen; in ihrer eigenen Zusammensetzung be- trachtet sind sie aber complexe Producte von Empfindungen und Gefühlen. Sie nehmen aus diesem Grunde zugleich eine angemessene Uebergangsstellung ein zwischen den Vor- stellungen überhaupt und denjenigen psychischen Gebilden, die sich aus Gefühlselementen zusammensetzen, und die wir
II. Die psychischen Gebilde.
Natürlich sind auch hinsichtlich der psychologischen Ent- stehung der Zeitvorstellungen die ähnlichen Gegensätze nati- vistischer und genetischer Anschauungen vertreten, die uns bei den räumlichen Vorstellungen (S. 134, 12a) begegnet sind. Doch hat es in diesem Fall der Nativismus zu einer eigentlichen Theorie überhaupt nicht gebracht, sondern er pflegt sich auf die allgemeine Annahme zu beschränken, dass die Zeit eine »angeborene Anschauungsform« sei, ohne dass irgendwie der Versuch gemacht würde, von dem Einfluss der thatsächlich nachzuweisenden Ele- mente und Bedingungen der zeitlichen Vorstellungen Rechenschaft zu geben. Die genetischen Theorien der älteren Psychologie, z. B. die Herbart’sche, versuchen die Zeitanschauung ausschließ- lich aus Vorstellungselementen abzuleiten. Dabei ergeht man sich aber lediglich in speculativen Constructionen, bei denen die em- pirisch gegebenen Bedingungen überhaupt nicht beachtet werden.
§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
1. In der Entwicklung der zeitlichen Vorstellungen tritt deutlich zu Tage, dass die Sonderung der Vorstellungs- und der Gefühlsbestandtheile der unmittelbaren Erfahrung erst ein Product unserer Abstraction ist. Bei den Zeitvorstel- lungen erweist sich nämlich diese Abstraction deshalb als undurchführbar, weil bei ihnen bestimmte Gefühle wesentlich an der Entstehung der Vorstellungen betheiligt sind. So lassen sich denn auch die Zeitvorstellungen nur insofern, als man ausschließlich das Endergebniss des Processes, die Ordnung bestimmter Empfindungen im Verhältniss zu ein- ander und zum Subjecte, ins Auge fasst, als Vorstel- lungen bezeichnen; in ihrer eigenen Zusammensetzung be- trachtet sind sie aber complexe Producte von Empfindungen und Gefühlen. Sie nehmen aus diesem Grunde zugleich eine angemessene Uebergangsstellung ein zwischen den Vor- stellungen überhaupt und denjenigen psychischen Gebilden, die sich aus Gefühlselementen zusammensetzen, und die wir
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II. Die psychischen Gebilde.
Natürlich sind auch hinsichtlich der psychologischen Ent-
stehung der Zeitvorstellungen die ähnlichen Gegensätze nati-
vistischer und genetischer Anschauungen vertreten, die uns
bei den räumlichen Vorstellungen (S. 134, 12a) begegnet sind.
Doch hat es in diesem Fall der Nativismus zu einer eigentlichen
Theorie überhaupt nicht gebracht, sondern er pflegt sich auf die
allgemeine Annahme zu beschränken, dass die Zeit eine »angeborene
Anschauungsform« sei, ohne dass irgendwie der Versuch gemacht
würde, von dem Einfluss der thatsächlich nachzuweisenden Ele-
mente und Bedingungen der zeitlichen Vorstellungen Rechenschaft
zu geben. Die genetischen Theorien der älteren Psychologie,
z. B. die Herbart’sche, versuchen die Zeitanschauung ausschließ-
lich aus Vorstellungselementen abzuleiten. Dabei ergeht man sich
aber lediglich in speculativen Constructionen, bei denen die em-
pirisch gegebenen Bedingungen überhaupt nicht beachtet werden.
§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
1. In der Entwicklung der zeitlichen Vorstellungen tritt
deutlich zu Tage, dass die Sonderung der Vorstellungs- und
der Gefühlsbestandtheile der unmittelbaren Erfahrung erst
ein Product unserer Abstraction ist. Bei den Zeitvorstel-
lungen erweist sich nämlich diese Abstraction deshalb als
undurchführbar, weil bei ihnen bestimmte Gefühle wesentlich
an der Entstehung der Vorstellungen betheiligt sind. So
lassen sich denn auch die Zeitvorstellungen nur insofern,
als man ausschließlich das Endergebniss des Processes, die
Ordnung bestimmter Empfindungen im Verhältniss zu ein-
ander und zum Subjecte, ins Auge fasst, als Vorstel-
lungen bezeichnen; in ihrer eigenen Zusammensetzung be-
trachtet sind sie aber complexe Producte von Empfindungen
und Gefühlen. Sie nehmen aus diesem Grunde zugleich
eine angemessene Uebergangsstellung ein zwischen den Vor-
stellungen überhaupt und denjenigen psychischen Gebilden,
die sich aus Gefühlselementen zusammensetzen, und die wir
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/202>, abgerufen am 24.11.2024.
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