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Woyt, Johann Jacob: Gazophylacium Medico-Physicum, Oder Schatz-Kammer Medicinisch- und Natürlicher Dinge. 9. Aufl. Leipzig, 1737.

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Durae matris nicht lethal sind, aber falsch und verwegen; denn die Pia
mater
hat allhier vor der Dura matre keinen Vorzug; wie denn nun die-
ser Wunden per se und absolute lethal nicht gehalten werden, also ma-
chet auch die Pia, wenn sie mit der Dura zugleich zerrissen ist, kein simpli-
citer
und necessario lethale vulnus. Unterdessen können die Vulnera bey-
der Meningum gar leicht aus andern Ursachen per se lethal werden,
wenn nemlich der sinus durae matris und der Processus falciformis zugleich
mit durchbohret werden, dessen Wunden wegen einer nicht zu stillenden
Haemorrhagie absolute und simplicicer lethal gehalten werden. Wie
aber, wenn die Wunden des Haupts bis in die Substanz des Cerebri
selbsten dringen? sind denn solche auch für lethal zu halten? Einige ma-
chen den Unterscheid zwischen den Wunden der Substantiae corticalis und
medullaris Cerebri, so, daß sie jene für per accidens, diese aber für sim-
pliciter
und per se lethale Wunden halten. Andere halten dafür, daß
nicht alle Wunden der Substantiae medullaris für absolute lethal zu halten
sind, sie wären denn gar zu tieff bis in die Ventriculos gedrungen; allein
auch diesen widersprechen viel andere Casus, dahero lehret D. Bohn, daß
in solchem Fall nicht nur auf die Grösse und Tieffe der Wunden, son-
dern auch auf die Laesion der dabey liegenden Gefässe und Theile, auf
die Verhaltung der natürlichen und lebhafften Verrichtungen zu sehen
sey. Vor allen Dingen aber ist bey den Wunden des Cerebri auf das
principium Medullae oblongatae, von welcher die Nervi ihren Ursprung
nehmen, und zu allen Theilen des menschlichen Leibes geführet werden,
zu sehen. Wenn dahero dessen ein Stück vom extravasirten oder ge-
ronnenen Geblüt gedrücket und überhäuffet wird, da wird durch Bey-
fall aller die Wunde für absolute lethal gehalten, und eben dieser Ursach
wegen werden die im Genick oder Nacken geschlagene Wunden so ge-
fährlich, ja für per se lethal gehalten. Und dieses von den Wunden
des Haupts.

Wegen der Brust, werden die Musculi intercostales, wenn sie einen
grossen Stich und Oeffnung bekommen, zuweilen für per se und absolute
lethal
gehalten, weil die eingeschlossene Lufft auf keine Weise mehr gehem-
met oder eingehalten werden kan, sie auch vielmehr, da Raum und Oeff-
nung genung ist, heraus treten, daß dahero der Verwundete nothwendig
ersticken muß. Die Wunden der Lungen, der Pleurae und des Mediastini
werden nicht für per se, sondern für per accidens lethal gehalten, weil es
gantz gewiß, daß solche perfect curiret worden, ohngeachtet auch eine Phthisis

darzu

VU
Duræ matris nicht lethal ſind, aber falſch und verwegen; denn die Pia
mater
hat allhier vor der Dura matre keinen Vorzug; wie denn nun die-
ſer Wunden per ſe und abſolute lethal nicht gehalten werden, alſo ma-
chet auch die Pia, wenn ſie mit der Dura zugleich zerriſſen iſt, kein ſimpli-
citer
und neceſſario lethale vulnus. Unterdeſſen koͤnnen die Vulnera bey-
der Meningum gar leicht aus andern Urſachen per ſe lethal werden,
wenn nemlich der ſinus duræ matris und der Proceſſus falciformis zugleich
mit durchbohret werden, deſſen Wunden wegen einer nicht zu ſtillenden
Hæmorrhagie abſolute und ſimplicicer lethal gehalten werden. Wie
aber, wenn die Wunden des Haupts bis in die Subſtanz des Cerebri
ſelbſten dringen? ſind denn ſolche auch fuͤr lethal zu halten? Einige ma-
chen den Unterſcheid zwiſchen den Wunden der Subſtantiæ corticalis und
medullaris Cerebri, ſo, daß ſie jene fuͤr per accidens, dieſe aber fuͤr ſim-
pliciter
und per ſe lethale Wunden halten. Andere halten dafuͤr, daß
nicht alle Wunden der Subſtantiæ medullaris fuͤr abſolute lethal zu halten
ſind, ſie waͤren denn gar zu tieff bis in die Ventriculos gedrungen; allein
auch dieſen widerſprechen viel andere Caſus, dahero lehret D. Bohn, daß
in ſolchem Fall nicht nur auf die Groͤſſe und Tieffe der Wunden, ſon-
dern auch auf die Læſion der dabey liegenden Gefaͤſſe und Theile, auf
die Verhaltung der natuͤrlichen und lebhafften Verrichtungen zu ſehen
ſey. Vor allen Dingen aber iſt bey den Wunden des Cerebri auf das
principium Medullæ oblongatæ, von welcher die Nervi ihren Urſprung
nehmen, und zu allen Theilen des menſchlichen Leibes gefuͤhret werden,
zu ſehen. Wenn dahero deſſen ein Stuͤck vom extravaſirten oder ge-
ronnenen Gebluͤt gedruͤcket und uͤberhaͤuffet wird, da wird durch Bey-
fall aller die Wunde fuͤr abſolute lethal gehalten, und eben dieſer Urſach
wegen werden die im Genick oder Nacken geſchlagene Wunden ſo ge-
faͤhrlich, ja fuͤr per ſe lethal gehalten. Und dieſes von den Wunden
des Haupts.

Wegen der Bruſt, werden die Muſculi intercoſtales, wenn ſie einen
groſſen Stich und Oeffnung bekommen, zuweilen fuͤr per ſe und abſolute
lethal
gehalten, weil die eingeſchloſſene Lufft auf keine Weiſe mehr gehem-
met oder eingehalten werden kan, ſie auch vielmehr, da Raum und Oeff-
nung genung iſt, heraus treten, daß dahero der Verwundete nothwendig
erſticken muß. Die Wunden der Lungen, der Pleuræ und des Mediaſtini
werden nicht fuͤr per ſe, ſondern fuͤr per accidens lethal gehalten, weil es
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[1024/1036] VU Duræ matris nicht lethal ſind, aber falſch und verwegen; denn die Pia mater hat allhier vor der Dura matre keinen Vorzug; wie denn nun die- ſer Wunden per ſe und abſolute lethal nicht gehalten werden, alſo ma- chet auch die Pia, wenn ſie mit der Dura zugleich zerriſſen iſt, kein ſimpli- citer und neceſſario lethale vulnus. Unterdeſſen koͤnnen die Vulnera bey- der Meningum gar leicht aus andern Urſachen per ſe lethal werden, wenn nemlich der ſinus duræ matris und der Proceſſus falciformis zugleich mit durchbohret werden, deſſen Wunden wegen einer nicht zu ſtillenden Hæmorrhagie abſolute und ſimplicicer lethal gehalten werden. Wie aber, wenn die Wunden des Haupts bis in die Subſtanz des Cerebri ſelbſten dringen? ſind denn ſolche auch fuͤr lethal zu halten? Einige ma- chen den Unterſcheid zwiſchen den Wunden der Subſtantiæ corticalis und medullaris Cerebri, ſo, daß ſie jene fuͤr per accidens, dieſe aber fuͤr ſim- pliciter und per ſe lethale Wunden halten. Andere halten dafuͤr, daß nicht alle Wunden der Subſtantiæ medullaris fuͤr abſolute lethal zu halten ſind, ſie waͤren denn gar zu tieff bis in die Ventriculos gedrungen; allein auch dieſen widerſprechen viel andere Caſus, dahero lehret D. Bohn, daß in ſolchem Fall nicht nur auf die Groͤſſe und Tieffe der Wunden, ſon- dern auch auf die Læſion der dabey liegenden Gefaͤſſe und Theile, auf die Verhaltung der natuͤrlichen und lebhafften Verrichtungen zu ſehen ſey. Vor allen Dingen aber iſt bey den Wunden des Cerebri auf das principium Medullæ oblongatæ, von welcher die Nervi ihren Urſprung nehmen, und zu allen Theilen des menſchlichen Leibes gefuͤhret werden, zu ſehen. Wenn dahero deſſen ein Stuͤck vom extravaſirten oder ge- ronnenen Gebluͤt gedruͤcket und uͤberhaͤuffet wird, da wird durch Bey- fall aller die Wunde fuͤr abſolute lethal gehalten, und eben dieſer Urſach wegen werden die im Genick oder Nacken geſchlagene Wunden ſo ge- faͤhrlich, ja fuͤr per ſe lethal gehalten. Und dieſes von den Wunden des Haupts. Wegen der Bruſt, werden die Muſculi intercoſtales, wenn ſie einen groſſen Stich und Oeffnung bekommen, zuweilen fuͤr per ſe und abſolute lethal gehalten, weil die eingeſchloſſene Lufft auf keine Weiſe mehr gehem- met oder eingehalten werden kan, ſie auch vielmehr, da Raum und Oeff- nung genung iſt, heraus treten, daß dahero der Verwundete nothwendig erſticken muß. Die Wunden der Lungen, der Pleuræ und des Mediaſtini werden nicht fuͤr per ſe, ſondern fuͤr per accidens lethal gehalten, weil es gantz gewiß, daß ſolche perfect curiret worden, ohngeachtet auch eine Phthiſis darzu

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Zitationshilfe: Woyt, Johann Jacob: Gazophylacium Medico-Physicum, Oder Schatz-Kammer Medicinisch- und Natürlicher Dinge. 9. Aufl. Leipzig, 1737, S. 1024. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/woyt_gazophylacium_1737/1036>, abgerufen am 25.04.2024.