Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



rief seinen eingebohrnen Sohn, aus jenen Woh-
nungen der seligsten Unsterblichkeit, in unsre
mühevolle sterbliche Hütten hernieder? Was ver-
süßte ihm hier allen Kummer seiner Seele, in
der Gesellschaft der Sünder, und alle Bitter-
keiten seines Lebens, die er so großmüthig dulde-
te? Was drängte seine Seele in jenen heißen
Kampf in Gethsemane? Was unterwarf ihn
der Gewalt ohnmächtiger boshafter Mörder?
Was führte ihn vom Richtplatz zum Golgatha,
und unter unnennbaren Martern des graunvolle-
sten Todes, ins Grab? die Liebe, die mächti-
ger als der Schmerz, und stärker als der Tod
war. Was reicht uns vom Throne seiner Herr-
lichkeit so viele Wohlthaten, unter deren Genus-
se wir Pilger unsrer Heimat so frölich entge-
genwandeln? die Liebe, die unser nie vergißt.

O hohe unbegreifliche Wahrheit: Gott ist
die Liebe!
dein wonnevolles Gefühl ist uns
mit dem ersten Hauche des Lebens eingeflößt. --
Wir betraten arm an jedem Gute, hülflos gegen
jede Gefahr, diese Erde. Liebe, die vom Him-
mel stammt, ergoß sich mit sanfter unauslösch-
licher Empfindung, in das Herz der Mutter,
umfing uns an ihrer Brust, geschützt vor jeder

uns



rief ſeinen eingebohrnen Sohn, aus jenen Woh-
nungen der ſeligſten Unſterblichkeit, in unſre
mühevolle ſterbliche Hütten hernieder? Was ver-
ſüßte ihm hier allen Kummer ſeiner Seele, in
der Geſellſchaft der Sünder, und alle Bitter-
keiten ſeines Lebens, die er ſo großmüthig dulde-
te? Was drängte ſeine Seele in jenen heißen
Kampf in Gethſemane? Was unterwarf ihn
der Gewalt ohnmächtiger boshafter Mörder?
Was führte ihn vom Richtplatz zum Golgatha,
und unter unnennbaren Martern des graunvolle-
ſten Todes, ins Grab? die Liebe, die mächti-
ger als der Schmerz, und ſtärker als der Tod
war. Was reicht uns vom Throne ſeiner Herr-
lichkeit ſo viele Wohlthaten, unter deren Genuſ-
ſe wir Pilger unſrer Heimat ſo frölich entge-
genwandeln? die Liebe, die unſer nie vergißt.

O hohe unbegreifliche Wahrheit: Gott iſt
die Liebe!
dein wonnevolles Gefühl iſt uns
mit dem erſten Hauche des Lebens eingeflößt. —
Wir betraten arm an jedem Gute, hülflos gegen
jede Gefahr, dieſe Erde. Liebe, die vom Him-
mel ſtammt, ergoß ſich mit ſanfter unauslöſch-
licher Empfindung, in das Herz der Mutter,
umfing uns an ihrer Bruſt, geſchützt vor jeder

uns
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="40"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
rief &#x017F;einen eingebohrnen Sohn, aus jenen Woh-<lb/>
nungen der &#x017F;elig&#x017F;ten Un&#x017F;terblichkeit, in un&#x017F;re<lb/>
mühevolle &#x017F;terbliche Hütten hernieder? Was ver-<lb/>
&#x017F;üßte ihm hier allen Kummer &#x017F;einer Seele, in<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft der Sünder, und alle Bitter-<lb/>
keiten &#x017F;eines Lebens, die er &#x017F;o großmüthig dulde-<lb/>
te? Was drängte &#x017F;eine Seele in jenen heißen<lb/>
Kampf in Geth&#x017F;emane? Was unterwarf ihn<lb/>
der Gewalt ohnmächtiger boshafter Mörder?<lb/>
Was führte ihn vom Richtplatz zum Golgatha,<lb/>
und unter unnennbaren Martern des graunvolle-<lb/>
&#x017F;ten Todes, ins Grab? <hi rendition="#fr">die Liebe</hi>, die mächti-<lb/>
ger als der Schmerz, und &#x017F;tärker als der Tod<lb/>
war. Was reicht uns vom Throne &#x017F;einer Herr-<lb/>
lichkeit &#x017F;o viele Wohlthaten, unter deren Genu&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e wir Pilger un&#x017F;rer Heimat &#x017F;o frölich entge-<lb/>
genwandeln? <hi rendition="#fr">die Liebe,</hi> die un&#x017F;er nie vergißt.</p><lb/>
        <p>O hohe unbegreifliche Wahrheit: <hi rendition="#fr">Gott i&#x017F;t<lb/>
die Liebe!</hi> dein wonnevolles Gefühl i&#x017F;t uns<lb/>
mit dem er&#x017F;ten Hauche des Lebens eingeflößt. &#x2014;<lb/>
Wir betraten arm an jedem Gute, hülflos gegen<lb/>
jede Gefahr, die&#x017F;e Erde. <hi rendition="#fr">Liebe,</hi> die vom Him-<lb/>
mel &#x017F;tammt, ergoß &#x017F;ich mit &#x017F;anfter unauslö&#x017F;ch-<lb/>
licher Empfindung, in das Herz der Mutter,<lb/>
umfing uns an ihrer Bru&#x017F;t, ge&#x017F;chützt vor jeder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">uns</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0092] rief ſeinen eingebohrnen Sohn, aus jenen Woh- nungen der ſeligſten Unſterblichkeit, in unſre mühevolle ſterbliche Hütten hernieder? Was ver- ſüßte ihm hier allen Kummer ſeiner Seele, in der Geſellſchaft der Sünder, und alle Bitter- keiten ſeines Lebens, die er ſo großmüthig dulde- te? Was drängte ſeine Seele in jenen heißen Kampf in Gethſemane? Was unterwarf ihn der Gewalt ohnmächtiger boshafter Mörder? Was führte ihn vom Richtplatz zum Golgatha, und unter unnennbaren Martern des graunvolle- ſten Todes, ins Grab? die Liebe, die mächti- ger als der Schmerz, und ſtärker als der Tod war. Was reicht uns vom Throne ſeiner Herr- lichkeit ſo viele Wohlthaten, unter deren Genuſ- ſe wir Pilger unſrer Heimat ſo frölich entge- genwandeln? die Liebe, die unſer nie vergißt. O hohe unbegreifliche Wahrheit: Gott iſt die Liebe! dein wonnevolles Gefühl iſt uns mit dem erſten Hauche des Lebens eingeflößt. — Wir betraten arm an jedem Gute, hülflos gegen jede Gefahr, dieſe Erde. Liebe, die vom Him- mel ſtammt, ergoß ſich mit ſanfter unauslöſch- licher Empfindung, in das Herz der Mutter, umfing uns an ihrer Bruſt, geſchützt vor jeder uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/92
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/92>, abgerufen am 24.11.2024.