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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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ins Gedächtniß bringen, und jeder Abend soll
mir die Prüfung auferlegen: wie ich sie den Tag
über gehalten habe. Aber, was habe ich nicht
von mir selbst zu fürchten! werden nicht die Zer-
streuungen der Tage, irdische Geschäffte und
sinnliche Freuden, die frommen Entschließungen
des einsamen Morgens immer wieder verdrän-
gen? mir immer neue Hinderniße entgegenstel-
len? mich immer träger und unthätiger machen
sie zu besiegen? und mir jeden Abend eine Quelle
neuer unaufhörlicher Vorwürfe werden? Wird
nicht vielleicht meine Seele, schon in dem ersten
Augenblicke, mit Entwürfen irdischer Beschäff-
tigungen und Ergötzlichkeiten erwacht, so man-
chen Morgen der stillern Einsamkeit entfliehn,
und sich ohne Nachdenken ins Geräusch des Le-
bens drängen? werd ich nicht, ermüdet von Ar-
beiten, oder späten Gastmahlen und Lustbarkei-
ten, so manchen Abend, zu jedem ernsthaften
Gedanken ungeschickt, des Todes und der Ewig-
keit uneingedenk, mich in die Arme des Schlafs
werfen? meine heiligen Gelübde täglich kälter
und läßiger in Ausübung bringen, und, nach
Verlauf eines Monats ihrer schon ganz wieder
vergeßen haben? -- -- Zu dir wende ich mich,
Vater meines Lebens! zu dir, dem unsicht-

baren



ins Gedächtniß bringen, und jeder Abend ſoll
mir die Prüfung auferlegen: wie ich ſie den Tag
über gehalten habe. Aber, was habe ich nicht
von mir ſelbſt zu fürchten! werden nicht die Zer-
ſtreuungen der Tage, irdiſche Geſchäffte und
ſinnliche Freuden, die frommen Entſchließungen
des einſamen Morgens immer wieder verdrän-
gen? mir immer neue Hinderniße entgegenſtel-
len? mich immer träger und unthätiger machen
ſie zu beſiegen? und mir jeden Abend eine Quelle
neuer unaufhörlicher Vorwürfe werden? Wird
nicht vielleicht meine Seele, ſchon in dem erſten
Augenblicke, mit Entwürfen irdiſcher Beſchäff-
tigungen und Ergötzlichkeiten erwacht, ſo man-
chen Morgen der ſtillern Einſamkeit entfliehn,
und ſich ohne Nachdenken ins Geräuſch des Le-
bens drängen? werd ich nicht, ermüdet von Ar-
beiten, oder ſpäten Gaſtmahlen und Luſtbarkei-
ten, ſo manchen Abend, zu jedem ernſthaften
Gedanken ungeſchickt, des Todes und der Ewig-
keit uneingedenk, mich in die Arme des Schlafs
werfen? meine heiligen Gelübde täglich kälter
und läßiger in Ausübung bringen, und, nach
Verlauf eines Monats ihrer ſchon ganz wieder
vergeßen haben? — — Zu dir wende ich mich,
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[358/0410] ins Gedächtniß bringen, und jeder Abend ſoll mir die Prüfung auferlegen: wie ich ſie den Tag über gehalten habe. Aber, was habe ich nicht von mir ſelbſt zu fürchten! werden nicht die Zer- ſtreuungen der Tage, irdiſche Geſchäffte und ſinnliche Freuden, die frommen Entſchließungen des einſamen Morgens immer wieder verdrän- gen? mir immer neue Hinderniße entgegenſtel- len? mich immer träger und unthätiger machen ſie zu beſiegen? und mir jeden Abend eine Quelle neuer unaufhörlicher Vorwürfe werden? Wird nicht vielleicht meine Seele, ſchon in dem erſten Augenblicke, mit Entwürfen irdiſcher Beſchäff- tigungen und Ergötzlichkeiten erwacht, ſo man- chen Morgen der ſtillern Einſamkeit entfliehn, und ſich ohne Nachdenken ins Geräuſch des Le- bens drängen? werd ich nicht, ermüdet von Ar- beiten, oder ſpäten Gaſtmahlen und Luſtbarkei- ten, ſo manchen Abend, zu jedem ernſthaften Gedanken ungeſchickt, des Todes und der Ewig- keit uneingedenk, mich in die Arme des Schlafs werfen? meine heiligen Gelübde täglich kälter und läßiger in Ausübung bringen, und, nach Verlauf eines Monats ihrer ſchon ganz wieder vergeßen haben? — — Zu dir wende ich mich, Vater meines Lebens! zu dir, dem unſicht- baren

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/410>, abgerufen am 28.06.2024.