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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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worten zu können! -- Denk ich mich über diese
Welt hinaus, jenseit der lezten Stunde meines
Lebens, in welcher ich vielleicht, wenn mein
Gott einen langsam herannahenden Tod über mich
beschloßen hat, mit großen Erwartungen, der
kommenden Ewigkeit, von meinem Sterbebette
entgegen gesehen habe: denk ich mich weit über
alle die Jahrhunderte oder Jahrtausende, -- da
mein entseelter Leib zwar im Staube schlummern,
aber mein Geist schon Freuden oder Leiden von
der Aussaat dieses Lebens erndten wird, -- hin-
weg, an jenem Morgen der Auferstehung: --
o, wie himmelweit unterschieden, werden jene
Erwartungen der Ewigkeit, mit welchen ich vom
Todesschlummer erwache, von denen seyn, mit
welchen ich an diesem Morgen vom irdischen
Schlummer erwacht bin! -- Jene sind mir
dann Gewißheit, diese doch nur ein unaufhör-
liches Wanken zwischen Furcht und Hoff-
nung;
jene gehn sogleich in ihre Erfüllung,
diese werden oft Tage und Jahre lang vorberei-
tet; jene bleiben ihrer Natur nach ewig was
sie sind,
diese wechseln schnell und unerwartet
von einer Zeit zur andern ab. Und dennoch,
werd ich, an jenem Morgen, der mich aus dem
Grabe erweckt, eben so wenig, die ganze unend-

liche
Z



worten zu können! — Denk ich mich über dieſe
Welt hinaus, jenſeit der lezten Stunde meines
Lebens, in welcher ich vielleicht, wenn mein
Gott einen langſam herannahenden Tod über mich
beſchloßen hat, mit großen Erwartungen, der
kommenden Ewigkeit, von meinem Sterbebette
entgegen geſehen habe: denk ich mich weit über
alle die Jahrhunderte oder Jahrtauſende, — da
mein entſeelter Leib zwar im Staube ſchlummern,
aber mein Geiſt ſchon Freuden oder Leiden von
der Ausſaat dieſes Lebens erndten wird, — hin-
weg, an jenem Morgen der Auferſtehung: —
o, wie himmelweit unterſchieden, werden jene
Erwartungen der Ewigkeit, mit welchen ich vom
Todesſchlummer erwache, von denen ſeyn, mit
welchen ich an dieſem Morgen vom irdiſchen
Schlummer erwacht bin! — Jene ſind mir
dann Gewißheit, dieſe doch nur ein unaufhör-
liches Wanken zwiſchen Furcht und Hoff-
nung;
jene gehn ſogleich in ihre Erfüllung,
dieſe werden oft Tage und Jahre lang vorberei-
tet; jene bleiben ihrer Natur nach ewig was
ſie ſind,
dieſe wechſeln ſchnell und unerwartet
von einer Zeit zur andern ab. Und dennoch,
werd ich, an jenem Morgen, der mich aus dem
Grabe erweckt, eben ſo wenig, die ganze unend-

liche
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[353/0405] worten zu können! — Denk ich mich über dieſe Welt hinaus, jenſeit der lezten Stunde meines Lebens, in welcher ich vielleicht, wenn mein Gott einen langſam herannahenden Tod über mich beſchloßen hat, mit großen Erwartungen, der kommenden Ewigkeit, von meinem Sterbebette entgegen geſehen habe: denk ich mich weit über alle die Jahrhunderte oder Jahrtauſende, — da mein entſeelter Leib zwar im Staube ſchlummern, aber mein Geiſt ſchon Freuden oder Leiden von der Ausſaat dieſes Lebens erndten wird, — hin- weg, an jenem Morgen der Auferſtehung: — o, wie himmelweit unterſchieden, werden jene Erwartungen der Ewigkeit, mit welchen ich vom Todesſchlummer erwache, von denen ſeyn, mit welchen ich an dieſem Morgen vom irdiſchen Schlummer erwacht bin! — Jene ſind mir dann Gewißheit, dieſe doch nur ein unaufhör- liches Wanken zwiſchen Furcht und Hoff- nung; jene gehn ſogleich in ihre Erfüllung, dieſe werden oft Tage und Jahre lang vorberei- tet; jene bleiben ihrer Natur nach ewig was ſie ſind, dieſe wechſeln ſchnell und unerwartet von einer Zeit zur andern ab. Und dennoch, werd ich, an jenem Morgen, der mich aus dem Grabe erweckt, eben ſo wenig, die ganze unend- liche Z

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/405>, abgerufen am 28.09.2024.