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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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X.
Herr! Erbarme dich unser!


Welch ein angelegentlicheres Gebet hat doch
wohl der hülfsbedürftige Mensch, der so unendlich
viel von der Barmherzigkeit Gottes erwartet, und
ohne ihr in Zeit und Ewigkeit nichts zu hoffen
hat? Freilich wird es unserm stolzen Herzen oft
schwer, sich in seiner tiefen Unwürdigkeit, in
seinem Nichts vor dem Unendlichen, zu fühlen.
Und dennoch fordert es Gott unser Vater, der
Allgütige, von uns, daß wir uns vor ihm de-
müthigen. Nicht, als gewönne seine unendliche
Majestät durch unsre Demüthigung; nicht, als
müsten unsre thränenvolle Seufzer erst sein väter-
liches Herz zur Hülfe erweichen, wie der Wurm,
der sich vor uns im Staube windet, unser Mit-
leid rege macht, oder die Thränen der Leidenden
und Gebeugten unser Herz für sie gewinnen.
Nein, er, der Unendliche und Allwißende, sieht
es weit heller und untrüglicher, als wir selbst, wie
sehr wir seiner Vergebung und seiner Hülfe be-
dürfen; er hat Rettung von Sünden, und Er-
lösung aus aller Noth, von Ewigkeit für uns
bereitet; er hört jedes ernstliche Gebet, ehe wir

es


X.
Herr! Erbarme dich unſer!


Welch ein angelegentlicheres Gebet hat doch
wohl der hülfsbedürftige Menſch, der ſo unendlich
viel von der Barmherzigkeit Gottes erwartet, und
ohne ihr in Zeit und Ewigkeit nichts zu hoffen
hat? Freilich wird es unſerm ſtolzen Herzen oft
ſchwer, ſich in ſeiner tiefen Unwürdigkeit, in
ſeinem Nichts vor dem Unendlichen, zu fühlen.
Und dennoch fordert es Gott unſer Vater, der
Allgütige, von uns, daß wir uns vor ihm de-
müthigen. Nicht, als gewönne ſeine unendliche
Majeſtät durch unſre Demüthigung; nicht, als
müſten unſre thränenvolle Seufzer erſt ſein väter-
liches Herz zur Hülfe erweichen, wie der Wurm,
der ſich vor uns im Staube windet, unſer Mit-
leid rege macht, oder die Thränen der Leidenden
und Gebeugten unſer Herz für ſie gewinnen.
Nein, er, der Unendliche und Allwißende, ſieht
es weit heller und untrüglicher, als wir ſelbſt, wie
ſehr wir ſeiner Vergebung und ſeiner Hülfe be-
dürfen; er hat Rettung von Sünden, und Er-
löſung aus aller Noth, von Ewigkeit für uns
bereitet; er hört jedes ernſtliche Gebet, ehe wir

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[132/0184] X. Herr! Erbarme dich unſer! Welch ein angelegentlicheres Gebet hat doch wohl der hülfsbedürftige Menſch, der ſo unendlich viel von der Barmherzigkeit Gottes erwartet, und ohne ihr in Zeit und Ewigkeit nichts zu hoffen hat? Freilich wird es unſerm ſtolzen Herzen oft ſchwer, ſich in ſeiner tiefen Unwürdigkeit, in ſeinem Nichts vor dem Unendlichen, zu fühlen. Und dennoch fordert es Gott unſer Vater, der Allgütige, von uns, daß wir uns vor ihm de- müthigen. Nicht, als gewönne ſeine unendliche Majeſtät durch unſre Demüthigung; nicht, als müſten unſre thränenvolle Seufzer erſt ſein väter- liches Herz zur Hülfe erweichen, wie der Wurm, der ſich vor uns im Staube windet, unſer Mit- leid rege macht, oder die Thränen der Leidenden und Gebeugten unſer Herz für ſie gewinnen. Nein, er, der Unendliche und Allwißende, ſieht es weit heller und untrüglicher, als wir ſelbſt, wie ſehr wir ſeiner Vergebung und ſeiner Hülfe be- dürfen; er hat Rettung von Sünden, und Er- löſung aus aller Noth, von Ewigkeit für uns bereitet; er hört jedes ernſtliche Gebet, ehe wir es

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/184>, abgerufen am 25.07.2024.