falt der Erziehung, die er uns genießen ließ; so manche Ermunterung und Warnung edler Freun- de; so viel Belehrung und Aufforderung, durch unsre Erfahrungen, durch gute und böse Bei- spiele; so viel Reizungen, durch dargebotne Ge- legenheiten Gutes zu thun: -- wie verschwin- det das eigne Verdienst um unsre Tugend! Und, haben denn in der That, unsre gute Werke, al- le so einen wahren äußerst schätzbaren Werth, als wir ihnen oft aus Eigenliebe beimeßen? Un- sre Andacht im Gebet, in gottesdienstlichen Beschäftigungen: wie selten, wie laulicht ist sie! Unsre heilige Rührungen: wie flüchtig! wie vorübereilend! Unsre feurigste gute Vorsätze: wie bald vergessen, wie unthätig! Unser Verlan- gen und Bestreben nach der Ewigkeit: ach, wie oft unter den Geschäften und Zerstreuun- gen dieser Welt erstickt! wie oft, Tage lang von uns vergessen! Unsre Liebe zu Gott: wie oft so kalt! Unser Gehorsam gegen ihn: wie so un- vollkommen, und unmuthig! Unser Vertrauen auf ihn: wie oft so wankend! Unser Diensteifer, unsre Wohlthätigkeit, auf welche wir oft so stolz sind: wie oft sind sie doch mehr Geschöpfe unsers Eigennutzes, unsrer Ruhmsucht und Ei- telkeit, unsers weichmüthigen Temperaments, als
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falt der Erziehung, die er uns genießen ließ; ſo manche Ermunterung und Warnung edler Freun- de; ſo viel Belehrung und Aufforderung, durch unſre Erfahrungen, durch gute und böſe Bei- ſpiele; ſo viel Reizungen, durch dargebotne Ge- legenheiten Gutes zu thun: — wie verſchwin- det das eigne Verdienſt um unſre Tugend! Und, haben denn in der That, unſre gute Werke, al- le ſo einen wahren äußerſt ſchätzbaren Werth, als wir ihnen oft aus Eigenliebe beimeßen? Un- ſre Andacht im Gebet, in gottesdienſtlichen Beſchäftigungen: wie ſelten, wie laulicht iſt ſie! Unſre heilige Rührungen: wie flüchtig! wie vorübereilend! Unſre feurigſte gute Vorſätze: wie bald vergeſſen, wie unthätig! Unſer Verlan- gen und Beſtreben nach der Ewigkeit: ach, wie oft unter den Geſchäften und Zerſtreuun- gen dieſer Welt erſtickt! wie oft, Tage lang von uns vergeſſen! Unſre Liebe zu Gott: wie oft ſo kalt! Unſer Gehorſam gegen ihn: wie ſo un- vollkommen, und unmuthig! Unſer Vertrauen auf ihn: wie oft ſo wankend! Unſer Dienſteifer, unſre Wohlthätigkeit, auf welche wir oft ſo ſtolz ſind: wie oft ſind ſie doch mehr Geſchöpfe unſers Eigennutzes, unſrer Ruhmſucht und Ei- telkeit, unſers weichmüthigen Temperaments, als
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de; ſo viel Belehrung und Aufforderung, durch
unſre Erfahrungen, durch gute und böſe Bei-
ſpiele; ſo viel Reizungen, durch dargebotne Ge-
legenheiten Gutes zu thun: — wie verſchwin-
det das eigne Verdienſt um unſre Tugend! Und,
haben denn in der That, unſre gute Werke, al-
le ſo einen wahren äußerſt ſchätzbaren Werth,
als wir ihnen oft aus Eigenliebe beimeßen? Un-
ſre Andacht im Gebet, in gottesdienſtlichen
Beſchäftigungen: wie ſelten, wie laulicht iſt ſie!
Unſre heilige Rührungen: wie flüchtig! wie
vorübereilend! Unſre feurigſte gute Vorſätze:
wie bald vergeſſen, wie unthätig! Unſer Verlan-
gen und Beſtreben nach der Ewigkeit: ach,
wie oft unter den Geſchäften und Zerſtreuun-
gen dieſer Welt erſtickt! wie oft, Tage lang von
uns vergeſſen! Unſre Liebe zu Gott: wie oft ſo
kalt! Unſer Gehorſam gegen ihn: wie ſo un-
vollkommen, und unmuthig! Unſer Vertrauen
auf ihn: wie oft ſo wankend! Unſer Dienſteifer,
unſre Wohlthätigkeit, auf welche wir oft ſo
ſtolz ſind: wie oft ſind ſie doch mehr Geſchöpfe
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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/175>, abgerufen am 21.11.2024.
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