Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. 1. H. Unterschiede menschl. Handl.
Nach ihrer Verschiedenheit, giebt es daher
auch verschiedene Arten des Versehens. Al-
so ist der Mangel der Aufmerksamkeit bey
unsern Handlungen die Unachtsamkeit
(incogitantia); wenn man unterläßt, das-
jenige zu bedencken, wodurch man erkennen
könnte, was aus seiner Handlung unter
den gegenwärtigen Umständen Gutes oder
Böses erfolgen könte, die Unbedachtsam-
keit
(inconsiderantia); wenn man nicht
acht hat auf das Schlimme, was in gegen-
wärtigem Falle erfolgen kan, und man hät-
te voraussehen können, die Unvorsich-
tigkeit
(improvidentia); wenn man
alle Ueberlegung, die zur Richtigkeit einer
Handlung erfordert wird, bey Seite setzet,
die Uebereilung (praecipitantia in agendo);
der Mangel der Beurtheilung, was zu thun
rathsamer sey, nach Beschaffenheit der ge-
genwärtigen Umstände, die Unklugheit
(imprudentia); die Abwesenheit aller
Sorgfalt wegen der Richtigkeit der Hand-
lung, die Sorglosigkeit (incuria); die
Unterlassung alles dessen, was in gewisser
Absicht geschehen sollte, welche von dem
Mangel des Gebrauchs der Erkentnißkräf-
te herrühret, die Nachläßigkeit (ne-
gligentia)
. Daher ist klar, weswegen man
gemeiniglich alle Arten des Versehens un-
ter dem Namen der Nachläßigkeit zu be-
greifen pflegt; und daß der Fleiß (dili-

gentia),

I. Th. 1. H. Unterſchiede menſchl. Handl.
Nach ihrer Verſchiedenheit, giebt es daher
auch verſchiedene Arten des Verſehens. Al-
ſo iſt der Mangel der Aufmerkſamkeit bey
unſern Handlungen die Unachtſamkeit
(incogitantia); wenn man unterlaͤßt, das-
jenige zu bedencken, wodurch man erkennen
koͤnnte, was aus ſeiner Handlung unter
den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden Gutes oder
Boͤſes erfolgen koͤnte, die Unbedachtſam-
keit
(inconſiderantia); wenn man nicht
acht hat auf das Schlimme, was in gegen-
waͤrtigem Falle erfolgen kan, und man haͤt-
te vorausſehen koͤnnen, die Unvorſich-
tigkeit
(improvidentia); wenn man
alle Ueberlegung, die zur Richtigkeit einer
Handlung erfordert wird, bey Seite ſetzet,
die Uebereilung (præcipitantia in agendo);
der Mangel der Beurtheilung, was zu thun
rathſamer ſey, nach Beſchaffenheit der ge-
genwaͤrtigen Umſtaͤnde, die Unklugheit
(imprudentia); die Abweſenheit aller
Sorgfalt wegen der Richtigkeit der Hand-
lung, die Sorgloſigkeit (incuria); die
Unterlaſſung alles deſſen, was in gewiſſer
Abſicht geſchehen ſollte, welche von dem
Mangel des Gebrauchs der Erkentnißkraͤf-
te herruͤhret, die Nachlaͤßigkeit (ne-
gligentia)
. Daher iſt klar, weswegen man
gemeiniglich alle Arten des Verſehens un-
ter dem Namen der Nachlaͤßigkeit zu be-
greifen pflegt; und daß der Fleiß (dili-

gentia),
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0050" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. 1. H. Unter&#x017F;chiede men&#x017F;chl. Handl.</hi></fw><lb/>
Nach ihrer Ver&#x017F;chiedenheit, giebt es daher<lb/>
auch ver&#x017F;chiedene Arten des Ver&#x017F;ehens. Al-<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t der Mangel der Aufmerk&#x017F;amkeit bey<lb/>
un&#x017F;ern Handlungen <hi rendition="#fr">die Unacht&#x017F;amkeit</hi><lb/><hi rendition="#aq">(incogitantia);</hi> wenn man unterla&#x0364;ßt, das-<lb/>
jenige zu bedencken, wodurch man erkennen<lb/>
ko&#x0364;nnte, was aus &#x017F;einer Handlung unter<lb/>
den gegenwa&#x0364;rtigen Um&#x017F;ta&#x0364;nden Gutes oder<lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;es erfolgen ko&#x0364;nte, <hi rendition="#fr">die Unbedacht&#x017F;am-<lb/>
keit</hi> <hi rendition="#aq">(incon&#x017F;iderantia);</hi> wenn man nicht<lb/>
acht hat auf das Schlimme, was in gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigem Falle erfolgen kan, und man ha&#x0364;t-<lb/>
te voraus&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen, <hi rendition="#fr">die Unvor&#x017F;ich-<lb/>
tigkeit</hi> <hi rendition="#aq">(improvidentia);</hi> wenn man<lb/>
alle Ueberlegung, die zur Richtigkeit einer<lb/>
Handlung erfordert wird, bey Seite &#x017F;etzet,<lb/><hi rendition="#fr">die Uebereilung</hi> <hi rendition="#aq">(præcipitantia in agendo);</hi><lb/>
der Mangel der Beurtheilung, was zu thun<lb/>
rath&#x017F;amer &#x017F;ey, nach Be&#x017F;chaffenheit der ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtigen Um&#x017F;ta&#x0364;nde, <hi rendition="#fr">die Unklugheit</hi><lb/><hi rendition="#aq">(imprudentia);</hi> die Abwe&#x017F;enheit aller<lb/>
Sorgfalt wegen der Richtigkeit der Hand-<lb/>
lung, <hi rendition="#fr">die Sorglo&#x017F;igkeit</hi> <hi rendition="#aq">(incuria);</hi> die<lb/>
Unterla&#x017F;&#x017F;ung alles de&#x017F;&#x017F;en, was in gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Ab&#x017F;icht ge&#x017F;chehen &#x017F;ollte, welche von dem<lb/>
Mangel des Gebrauchs der Erkentnißkra&#x0364;f-<lb/>
te herru&#x0364;hret, <hi rendition="#fr">die Nachla&#x0364;ßigkeit</hi> <hi rendition="#aq">(ne-<lb/>
gligentia)</hi>. Daher i&#x017F;t klar, weswegen man<lb/>
gemeiniglich alle Arten des Ver&#x017F;ehens un-<lb/>
ter dem Namen der Nachla&#x0364;ßigkeit zu be-<lb/>
greifen pflegt; und daß <hi rendition="#fr">der Fleiß</hi> <hi rendition="#aq">(dili-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">gentia),</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0050] I. Th. 1. H. Unterſchiede menſchl. Handl. Nach ihrer Verſchiedenheit, giebt es daher auch verſchiedene Arten des Verſehens. Al- ſo iſt der Mangel der Aufmerkſamkeit bey unſern Handlungen die Unachtſamkeit (incogitantia); wenn man unterlaͤßt, das- jenige zu bedencken, wodurch man erkennen koͤnnte, was aus ſeiner Handlung unter den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden Gutes oder Boͤſes erfolgen koͤnte, die Unbedachtſam- keit (inconſiderantia); wenn man nicht acht hat auf das Schlimme, was in gegen- waͤrtigem Falle erfolgen kan, und man haͤt- te vorausſehen koͤnnen, die Unvorſich- tigkeit (improvidentia); wenn man alle Ueberlegung, die zur Richtigkeit einer Handlung erfordert wird, bey Seite ſetzet, die Uebereilung (præcipitantia in agendo); der Mangel der Beurtheilung, was zu thun rathſamer ſey, nach Beſchaffenheit der ge- genwaͤrtigen Umſtaͤnde, die Unklugheit (imprudentia); die Abweſenheit aller Sorgfalt wegen der Richtigkeit der Hand- lung, die Sorgloſigkeit (incuria); die Unterlaſſung alles deſſen, was in gewiſſer Abſicht geſchehen ſollte, welche von dem Mangel des Gebrauchs der Erkentnißkraͤf- te herruͤhret, die Nachlaͤßigkeit (ne- gligentia). Daher iſt klar, weswegen man gemeiniglich alle Arten des Verſehens un- ter dem Namen der Nachlaͤßigkeit zu be- greifen pflegt; und daß der Fleiß (dili- gentia),

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/50
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/50>, abgerufen am 21.11.2024.