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Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

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Begriff einer Theorie
Erklärung haben könne, da man doch in der That
weder diese noch irgend eine andere Sache, weder
historisch erzehlt, noch erklärt, und kurz, da man
in der That eigentlich gar nichts gesagt hat. Wenn
man als eine besondere Erscheinung die Anziehung
des Magneten durch eine anziehende Kraft, die
man ihm zueignete, erklären wolte, so würde die-
ses das Ansehen einer Erklärung haben, und doch
keine seyn, indem sie eben das, was erklärt wer-
den soll, zum voraus setzt, und also nicht erklärt.
Eben so verhält es sich mit den Erklärungen der
Alten aus den so genannten verborgenen Ursachen
(qualitatibus occultis). Und dieses ist die dritte
Art sich zu betrügen, sich einzubilden, daß man
die Generation erklärt oder eine Lehre von der
derselben gegeben habe, da man sie doch in der
That gar nicht erklärt hat.

Wenn ich überdem nun noch dieses hinzu
setze, welches die Erfahrung alle Tage bestätiget,
daß es eben kein so seltenes Phänomen sey, wenn
ein Gelehrter sich vornimmt etwas abzuhandeln,
ohne solches vorher genau zu bestimmen, und also
ohne zu wissen, was er eigentlich abhandeln will,
wenn er dem ungeachtet würklich ein Buch von
einer anständigen Größe ausarbeitet, und noch
nicht weiß, was in seinem Buche eigentlich enthal-
ten ist, und dieses auch in seinem Leben niemahls
erfährt, wenn das alles sage ich, in der Republick
der Gelehrten eben keine so seltene Erscheinung ist,
so wird es Jhnen nun so wunderbar und wider-
sprechend nicht mehr vorkommen, wenn ich sage

daß

Begriff einer Theorie
Erklaͤrung haben koͤnne, da man doch in der That
weder dieſe noch irgend eine andere Sache, weder
hiſtoriſch erzehlt, noch erklaͤrt, und kurz, da man
in der That eigentlich gar nichts geſagt hat. Wenn
man als eine beſondere Erſcheinung die Anziehung
des Magneten durch eine anziehende Kraft, die
man ihm zueignete, erklaͤren wolte, ſo wuͤrde die-
ſes das Anſehen einer Erklaͤrung haben, und doch
keine ſeyn, indem ſie eben das, was erklaͤrt wer-
den ſoll, zum voraus ſetzt, und alſo nicht erklaͤrt.
Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Erklaͤrungen der
Alten aus den ſo genannten verborgenen Urſachen
(qualitatibus occultis). Und dieſes iſt die dritte
Art ſich zu betruͤgen, ſich einzubilden, daß man
die Generation erklaͤrt oder eine Lehre von der
derſelben gegeben habe, da man ſie doch in der
That gar nicht erklaͤrt hat.

Wenn ich uͤberdem nun noch dieſes hinzu
ſetze, welches die Erfahrung alle Tage beſtaͤtiget,
daß es eben kein ſo ſeltenes Phaͤnomen ſey, wenn
ein Gelehrter ſich vornimmt etwas abzuhandeln,
ohne ſolches vorher genau zu beſtimmen, und alſo
ohne zu wiſſen, was er eigentlich abhandeln will,
wenn er dem ungeachtet wuͤrklich ein Buch von
einer anſtaͤndigen Groͤße ausarbeitet, und noch
nicht weiß, was in ſeinem Buche eigentlich enthal-
ten iſt, und dieſes auch in ſeinem Leben niemahls
erfaͤhrt, wenn das alles ſage ich, in der Republick
der Gelehrten eben keine ſo ſeltene Erſcheinung iſt,
ſo wird es Jhnen nun ſo wunderbar und wider-
ſprechend nicht mehr vorkommen, wenn ich ſage

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[4/0026] Begriff einer Theorie Erklaͤrung haben koͤnne, da man doch in der That weder dieſe noch irgend eine andere Sache, weder hiſtoriſch erzehlt, noch erklaͤrt, und kurz, da man in der That eigentlich gar nichts geſagt hat. Wenn man als eine beſondere Erſcheinung die Anziehung des Magneten durch eine anziehende Kraft, die man ihm zueignete, erklaͤren wolte, ſo wuͤrde die- ſes das Anſehen einer Erklaͤrung haben, und doch keine ſeyn, indem ſie eben das, was erklaͤrt wer- den ſoll, zum voraus ſetzt, und alſo nicht erklaͤrt. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Erklaͤrungen der Alten aus den ſo genannten verborgenen Urſachen (qualitatibus occultis). Und dieſes iſt die dritte Art ſich zu betruͤgen, ſich einzubilden, daß man die Generation erklaͤrt oder eine Lehre von der derſelben gegeben habe, da man ſie doch in der That gar nicht erklaͤrt hat. Wenn ich uͤberdem nun noch dieſes hinzu ſetze, welches die Erfahrung alle Tage beſtaͤtiget, daß es eben kein ſo ſeltenes Phaͤnomen ſey, wenn ein Gelehrter ſich vornimmt etwas abzuhandeln, ohne ſolches vorher genau zu beſtimmen, und alſo ohne zu wiſſen, was er eigentlich abhandeln will, wenn er dem ungeachtet wuͤrklich ein Buch von einer anſtaͤndigen Groͤße ausarbeitet, und noch nicht weiß, was in ſeinem Buche eigentlich enthal- ten iſt, und dieſes auch in ſeinem Leben niemahls erfaͤhrt, wenn das alles ſage ich, in der Republick der Gelehrten eben keine ſo ſeltene Erſcheinung iſt, ſo wird es Jhnen nun ſo wunderbar und wider- ſprechend nicht mehr vorkommen, wenn ich ſage daß

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Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/26>, abgerufen am 28.03.2024.