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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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fragte er Sophien. Sie erröthete: Er will um zehn Uhr zu mir kommen. --Also läßt er sich melden? Ich hätte kaum gedacht, daß so viel Förmlichkeit zwischen euch obwaltete. Sternheim stieß in dem Augenblick, wie ich vermuthe, absichtlich seine Tasse um und gab dadurch dem Gespräche eine andere Wendung. Herr Steffano, welchem jede Störung zuwider ist, nahm mit einiger Mißlaune ein Zeitungsblatt und las, wenigstens dem Anschein nach. Ich sagte in der innern Bekümmerniß meines Herzens Alles, was mir einfiel, um Sophien zu Hülfe zu kommen, und dankte dem Himmel, als das Frühstück beendet war.

Um zehn Uhr erschien R. -- Sophie hatte mich gebeten, im anstoßenden Cabinette zu bleiben, von wo aus ich vermittelst eines Spiegels Beide erblicken konnte, ohne gleichwohl gesehn zu werden. Als R. eintrat, eilte Sophie ihm einige Schritte entgegen, er kam langsam näher; vor ihr stehend, betrachtete sie ihn einen Augenblick mit einem unbeschreiblich liebevollen Ausdrucke, seine Augen, sein Haar, als um sich zu versichern, daß er es sei, dann streckte sie ihm die Hand entgegen, welche er kalt und zögernd nahm. Bedarf ich bei dir der Vertheidigung? Ist es möglich? waren ihre ersten Worte, sagt dein Herz dir nicht, was jedes Wort von meiner Seite unnöthig machen sollte? -- R. zog seine Hand langsam zurück: Ich hätte, entgegnete er, mir bei meiner Abreise

fragte er Sophien. Sie erröthete: Er will um zehn Uhr zu mir kommen. —Also läßt er sich melden? Ich hätte kaum gedacht, daß so viel Förmlichkeit zwischen euch obwaltete. Sternheim stieß in dem Augenblick, wie ich vermuthe, absichtlich seine Tasse um und gab dadurch dem Gespräche eine andere Wendung. Herr Steffano, welchem jede Störung zuwider ist, nahm mit einiger Mißlaune ein Zeitungsblatt und las, wenigstens dem Anschein nach. Ich sagte in der innern Bekümmerniß meines Herzens Alles, was mir einfiel, um Sophien zu Hülfe zu kommen, und dankte dem Himmel, als das Frühstück beendet war.

Um zehn Uhr erschien R. — Sophie hatte mich gebeten, im anstoßenden Cabinette zu bleiben, von wo aus ich vermittelst eines Spiegels Beide erblicken konnte, ohne gleichwohl gesehn zu werden. Als R. eintrat, eilte Sophie ihm einige Schritte entgegen, er kam langsam näher; vor ihr stehend, betrachtete sie ihn einen Augenblick mit einem unbeschreiblich liebevollen Ausdrucke, seine Augen, sein Haar, als um sich zu versichern, daß er es sei, dann streckte sie ihm die Hand entgegen, welche er kalt und zögernd nahm. Bedarf ich bei dir der Vertheidigung? Ist es möglich? waren ihre ersten Worte, sagt dein Herz dir nicht, was jedes Wort von meiner Seite unnöthig machen sollte? — R. zog seine Hand langsam zurück: Ich hätte, entgegnete er, mir bei meiner Abreise

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/78>, abgerufen am 05.05.2024.