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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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-- Verzeihen Sie es meiner Offenheit, aber ich kann nur Fragen beantworten, welche Sophie an mich richtet. Ich ging zu dieser zurück, welche darauf ihm einige Zeilen schrieb. Sie überlas das Geschriebene, einzelne Thränen fielen auf das Papier, dann siegelte sie und schickte es ihm. Nach einer Weile folgte ein Billet zurück, welches nur die Worte enthielt: "Ich komme morgen früh um zehn Uhr." Sophie blickte dankbar empor: Nun er kommt, sagte sie, kehrt Ruhe und Zufriedenheit zurück. Was auch geschehen mag, ich bin auf Alles gefaßt, nur ihn zu sehen war mein Verlangen. Ich habe seine Neigung mit innigerer Neigung erwidert, seine Launen mit unwandelbarer Sanftmuth ertragen, seinen Kaltsinn nie zurückgegeben, so mag denn geschehen, was da will, mein Herz spricht mich frei. Schmerzlich ist es, daß ich anscheinend der Vertheidigung bedarf; R. hat so oft aber mir gegenüber Nachsicht in Anspruch genommen, daß, falls er jetzt sich freundlich bezeigt, ihm von Herzen die kleine Genugthuung, welche darin für ihn liegen möchte, gegönnt sei.

Beim Frühstück, am folgenden Morgen, erschien R. nicht, Sternheim war ernster und nachdenkender als gewöhnlich, Sophie behauptete mit Anstrengung eine ruhige Fassung, und mir erschien zum Erstenmal die gute, alte Sitte eines Familien-Frühstücks überaus peinlich. Herr Steffano berührte die Ankunft seines Neffen sehr oberflächlich: Sahst du ihn schon?

— Verzeihen Sie es meiner Offenheit, aber ich kann nur Fragen beantworten, welche Sophie an mich richtet. Ich ging zu dieser zurück, welche darauf ihm einige Zeilen schrieb. Sie überlas das Geschriebene, einzelne Thränen fielen auf das Papier, dann siegelte sie und schickte es ihm. Nach einer Weile folgte ein Billet zurück, welches nur die Worte enthielt: „Ich komme morgen früh um zehn Uhr.“ Sophie blickte dankbar empor: Nun er kommt, sagte sie, kehrt Ruhe und Zufriedenheit zurück. Was auch geschehen mag, ich bin auf Alles gefaßt, nur ihn zu sehen war mein Verlangen. Ich habe seine Neigung mit innigerer Neigung erwidert, seine Launen mit unwandelbarer Sanftmuth ertragen, seinen Kaltsinn nie zurückgegeben, so mag denn geschehen, was da will, mein Herz spricht mich frei. Schmerzlich ist es, daß ich anscheinend der Vertheidigung bedarf; R. hat so oft aber mir gegenüber Nachsicht in Anspruch genommen, daß, falls er jetzt sich freundlich bezeigt, ihm von Herzen die kleine Genugthuung, welche darin für ihn liegen möchte, gegönnt sei.

Beim Frühstück, am folgenden Morgen, erschien R. nicht, Sternheim war ernster und nachdenkender als gewöhnlich, Sophie behauptete mit Anstrengung eine ruhige Fassung, und mir erschien zum Erstenmal die gute, alte Sitte eines Familien-Frühstücks überaus peinlich. Herr Steffano berührte die Ankunft seines Neffen sehr oberflächlich: Sahst du ihn schon?

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/77>, abgerufen am 05.05.2024.