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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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der Hand; mich erblickend, fuhr er bestürzt empor. Ein unangenehmer Ausdruck flog über seine Züge, dann aber, wie sich besinnend, äußerte er sehr höflich, aber mit Ironie: Welchem Zufalle verdanke ich ein so ganz unerwartetes, beneidenswerthes Glück? -- Meine Befangenheit bekämpfend, so weit es möglich war, sagte ich nicht das Geistreichste, aber das Erste, was mir einfiel: Sind Sie es wirklich? -- Er lächelte schelmisch und entgegnete: Ich darf vielleicht annehmen, daß Sie das nicht bezweifeln. -- Sein Lächeln gab mir Muth: Nun, sagte ich scherzend, dann werden Sie auch Sophiens Bitte Gehör geben und sich sogleich zu ihr begeben, da sie eben allein ist. -- Ein Zug der finstersten Mißlaune bereitete mich auf seine Antwort vor. Ich bedaure, daß ich heute Abend dieser gütigen Einladung nicht folgen kann, ich bin zu ermüdet. -- Zu ermüdet, Sophien zu sehn? -- Liegt darin etwas so Unerhörtes? -- Sie kennen mich so gut, R., sagte ich nach einer Pause, Sie wissen, daß mir Verstellung unmöglich ist; warum wollen wir in diesem Augenblick uns täuschen, der für Sie, der für mich peinlich ist? Sie fühlen sehr wohl, was mich herführt, so geben Sie mir eine gute Antwort; versprechen Sie mir, daß Sie kommen, oder wenigstens nicht abreisen wollen, ohne Sophien gesehn zu haben! -- Es ist Ihnen bekannt, entgegnete er, daß ich nie etwas zu versprechen pflege, wenn ich einigermaßen es zu vermeiden im Stande bin; geschähe dieses, so müßte es gehalten

der Hand; mich erblickend, fuhr er bestürzt empor. Ein unangenehmer Ausdruck flog über seine Züge, dann aber, wie sich besinnend, äußerte er sehr höflich, aber mit Ironie: Welchem Zufalle verdanke ich ein so ganz unerwartetes, beneidenswerthes Glück? — Meine Befangenheit bekämpfend, so weit es möglich war, sagte ich nicht das Geistreichste, aber das Erste, was mir einfiel: Sind Sie es wirklich? — Er lächelte schelmisch und entgegnete: Ich darf vielleicht annehmen, daß Sie das nicht bezweifeln. — Sein Lächeln gab mir Muth: Nun, sagte ich scherzend, dann werden Sie auch Sophiens Bitte Gehör geben und sich sogleich zu ihr begeben, da sie eben allein ist. — Ein Zug der finstersten Mißlaune bereitete mich auf seine Antwort vor. Ich bedaure, daß ich heute Abend dieser gütigen Einladung nicht folgen kann, ich bin zu ermüdet. — Zu ermüdet, Sophien zu sehn? — Liegt darin etwas so Unerhörtes? — Sie kennen mich so gut, R., sagte ich nach einer Pause, Sie wissen, daß mir Verstellung unmöglich ist; warum wollen wir in diesem Augenblick uns täuschen, der für Sie, der für mich peinlich ist? Sie fühlen sehr wohl, was mich herführt, so geben Sie mir eine gute Antwort; versprechen Sie mir, daß Sie kommen, oder wenigstens nicht abreisen wollen, ohne Sophien gesehn zu haben! — Es ist Ihnen bekannt, entgegnete er, daß ich nie etwas zu versprechen pflege, wenn ich einigermaßen es zu vermeiden im Stande bin; geschähe dieses, so müßte es gehalten

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der Hand; mich erblickend, fuhr er bestürzt      empor. Ein unangenehmer Ausdruck flog über seine Züge, dann aber, wie sich besinnend, äußerte      er sehr höflich, aber mit Ironie: Welchem Zufalle verdanke ich ein so ganz unerwartetes,      beneidenswerthes Glück? &#x2014; Meine Befangenheit bekämpfend, so weit es möglich war, sagte ich      nicht das Geistreichste, aber das Erste, was mir einfiel: Sind Sie es wirklich? &#x2014; Er lächelte      schelmisch und entgegnete: Ich darf vielleicht annehmen, daß Sie das nicht bezweifeln. &#x2014; Sein      Lächeln gab mir Muth: Nun, sagte ich scherzend, dann werden Sie auch Sophiens Bitte Gehör geben      und sich sogleich zu ihr begeben, da sie eben allein ist. &#x2014; Ein Zug der finstersten Mißlaune      bereitete mich auf seine Antwort vor. Ich bedaure, daß ich heute Abend dieser gütigen Einladung      nicht folgen kann, ich bin zu ermüdet. &#x2014; Zu ermüdet, Sophien zu sehn? &#x2014; Liegt darin etwas so      Unerhörtes? &#x2014; Sie kennen mich so gut, R., sagte ich nach einer Pause, Sie wissen, daß mir      Verstellung unmöglich ist; warum wollen wir in diesem Augenblick uns täuschen, der für Sie, der      für mich peinlich ist? Sie fühlen sehr wohl, was mich herführt, so geben Sie mir eine gute      Antwort; versprechen Sie mir, daß Sie kommen, oder wenigstens nicht abreisen wollen, ohne      Sophien gesehn zu haben! &#x2014; Es ist Ihnen bekannt, entgegnete er, daß ich nie etwas zu      versprechen pflege, wenn ich einigermaßen es zu vermeiden im Stande bin; geschähe dieses, so      müßte es gehalten<lb/></p>
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[0075] der Hand; mich erblickend, fuhr er bestürzt empor. Ein unangenehmer Ausdruck flog über seine Züge, dann aber, wie sich besinnend, äußerte er sehr höflich, aber mit Ironie: Welchem Zufalle verdanke ich ein so ganz unerwartetes, beneidenswerthes Glück? — Meine Befangenheit bekämpfend, so weit es möglich war, sagte ich nicht das Geistreichste, aber das Erste, was mir einfiel: Sind Sie es wirklich? — Er lächelte schelmisch und entgegnete: Ich darf vielleicht annehmen, daß Sie das nicht bezweifeln. — Sein Lächeln gab mir Muth: Nun, sagte ich scherzend, dann werden Sie auch Sophiens Bitte Gehör geben und sich sogleich zu ihr begeben, da sie eben allein ist. — Ein Zug der finstersten Mißlaune bereitete mich auf seine Antwort vor. Ich bedaure, daß ich heute Abend dieser gütigen Einladung nicht folgen kann, ich bin zu ermüdet. — Zu ermüdet, Sophien zu sehn? — Liegt darin etwas so Unerhörtes? — Sie kennen mich so gut, R., sagte ich nach einer Pause, Sie wissen, daß mir Verstellung unmöglich ist; warum wollen wir in diesem Augenblick uns täuschen, der für Sie, der für mich peinlich ist? Sie fühlen sehr wohl, was mich herführt, so geben Sie mir eine gute Antwort; versprechen Sie mir, daß Sie kommen, oder wenigstens nicht abreisen wollen, ohne Sophien gesehn zu haben! — Es ist Ihnen bekannt, entgegnete er, daß ich nie etwas zu versprechen pflege, wenn ich einigermaßen es zu vermeiden im Stande bin; geschähe dieses, so müßte es gehalten

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/75>, abgerufen am 05.05.2024.