Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_238.001 Ein Zurückgreifen auf den antiken Klassiker auch im Stil führte pwo_238.016 Mit voller Entschiedenheit hat erst Heinrich von Kleist den Stil pwo_238.021 Schön ist der komische Held und seine Sphäre weder im ästhetischen pwo_238.031 pwo_238.001 Ein Zurückgreifen auf den antiken Klassiker auch im Stil führte pwo_238.016 Mit voller Entschiedenheit hat erst Heinrich von Kleist den Stil pwo_238.021 Schön ist der komische Held und seine Sphäre weder im ästhetischen pwo_238.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0252" n="238"/><lb n="pwo_238.001"/> Einfluß zu begründen, verhält sich in der Hamburgischen Dramaturgie <lb n="pwo_238.002"/> gegen das französische Lustspiel tolerant. Seine Jugendstücke gehen <lb n="pwo_238.003"/> von der römischen Komödie aus. Noch die Technik seiner „Minna <lb n="pwo_238.004"/> von Barnhelm“ schließt sich an das klassische französische Lustspiel an. <lb n="pwo_238.005"/> Ersichtlich herrscht die Jntrigue. Und doch entfaltet Lessings komisches <lb n="pwo_238.006"/> Meisterwerk eine Fülle von lebensechten Charakteren aus dem <lb n="pwo_238.007"/> eigenen Volke und der eigenen Zeit, keine bloß typischen Verkörperungen <lb n="pwo_238.008"/> von Einzeleigenschaften, sondern mit individuellen Zügen ausgestattete <lb n="pwo_238.009"/> Menschen. Tritt er somit dem Stil Shakespeares in dem, <lb n="pwo_238.010"/> was das Wesentliche ist, dennoch bis zum gewissen Grade nahe, so <lb n="pwo_238.011"/> schreitet er durch unmittelbaren Anschluß an das wirkliche Leben, da <lb n="pwo_238.012"/> wo es nationale Bedeutung hat, sogar über den novellistischen Grundzug <lb n="pwo_238.013"/> des Shakespeareschen Lustspiels hinaus und berührt sich insofern <lb n="pwo_238.014"/> mit Aristophanes.</p> <lb n="pwo_238.015"/> <p> Ein Zurückgreifen auf den antiken Klassiker auch im Stil führte <lb n="pwo_238.016"/> Goethe nur zu Kleinwerken. Bedeutsamer für die Entwicklung des <lb n="pwo_238.017"/> deutschen Lustspiels wird Goethes Jugendgenosse Lenz, der, von Shakespeare <lb n="pwo_238.018"/> ausgehend, selbständige Ansätze zum Sittenlustspiel aus dem <lb n="pwo_238.019"/> deutschen Leben nimmt.</p> <lb n="pwo_238.020"/> <p> Mit voller Entschiedenheit hat erst Heinrich von Kleist den Stil <lb n="pwo_238.021"/> germanischer Charakterkomik durchgeführt. Sein „Zerbrochener Krug“ <lb n="pwo_238.022"/> steht dem Stil der niederländischen Genremalerei mit ihrer eindringenden <lb n="pwo_238.023"/> komischen Charakteristik am nächsten. Lauter komische Jndividualitäten <lb n="pwo_238.024"/> treten sich gegenüber. Das Prinzip des Gegensatzes als <lb n="pwo_238.025"/> Grundlage der heitern Wirkung bewährt sich hier durchgehends. Auf <lb n="pwo_238.026"/> ihm beruht auch der Hauptkonflikt, daß der Richter selbst zum Angeklagten <lb n="pwo_238.027"/> wird. Wie dieser Hauptcharakter die Situation beherrscht, so <lb n="pwo_238.028"/> wird die Handlung durchaus von dem Jneinanderwirken der Charaktere <lb n="pwo_238.029"/> bestimmt. Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann.</p> <lb n="pwo_238.030"/> <p> Schön ist der komische Held und seine Sphäre weder im ästhetischen <lb n="pwo_238.031"/> noch im ethischen Sinne: im Gegenteil fordern gerade seine <lb n="pwo_238.032"/> verstümmelte Erscheinung und seine alles eher als sauberen Absichten <lb n="pwo_238.033"/> unsere Heiterkeit heraus. Wodurch? Durch die komische Beleuchtung, <lb n="pwo_238.034"/> in die sie gerückt sind, durch Herauskehren des Gegensatzes, in welchem <lb n="pwo_238.035"/> sie zu allem stehen, was wir gerade von der richterlichen Respektsperson <lb n="pwo_238.036"/> erwarten müßten. Allerdings hat somit die Kunst einen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [238/0252]
pwo_238.001
Einfluß zu begründen, verhält sich in der Hamburgischen Dramaturgie pwo_238.002
gegen das französische Lustspiel tolerant. Seine Jugendstücke gehen pwo_238.003
von der römischen Komödie aus. Noch die Technik seiner „Minna pwo_238.004
von Barnhelm“ schließt sich an das klassische französische Lustspiel an. pwo_238.005
Ersichtlich herrscht die Jntrigue. Und doch entfaltet Lessings komisches pwo_238.006
Meisterwerk eine Fülle von lebensechten Charakteren aus dem pwo_238.007
eigenen Volke und der eigenen Zeit, keine bloß typischen Verkörperungen pwo_238.008
von Einzeleigenschaften, sondern mit individuellen Zügen ausgestattete pwo_238.009
Menschen. Tritt er somit dem Stil Shakespeares in dem, pwo_238.010
was das Wesentliche ist, dennoch bis zum gewissen Grade nahe, so pwo_238.011
schreitet er durch unmittelbaren Anschluß an das wirkliche Leben, da pwo_238.012
wo es nationale Bedeutung hat, sogar über den novellistischen Grundzug pwo_238.013
des Shakespeareschen Lustspiels hinaus und berührt sich insofern pwo_238.014
mit Aristophanes.
pwo_238.015
Ein Zurückgreifen auf den antiken Klassiker auch im Stil führte pwo_238.016
Goethe nur zu Kleinwerken. Bedeutsamer für die Entwicklung des pwo_238.017
deutschen Lustspiels wird Goethes Jugendgenosse Lenz, der, von Shakespeare pwo_238.018
ausgehend, selbständige Ansätze zum Sittenlustspiel aus dem pwo_238.019
deutschen Leben nimmt.
pwo_238.020
Mit voller Entschiedenheit hat erst Heinrich von Kleist den Stil pwo_238.021
germanischer Charakterkomik durchgeführt. Sein „Zerbrochener Krug“ pwo_238.022
steht dem Stil der niederländischen Genremalerei mit ihrer eindringenden pwo_238.023
komischen Charakteristik am nächsten. Lauter komische Jndividualitäten pwo_238.024
treten sich gegenüber. Das Prinzip des Gegensatzes als pwo_238.025
Grundlage der heitern Wirkung bewährt sich hier durchgehends. Auf pwo_238.026
ihm beruht auch der Hauptkonflikt, daß der Richter selbst zum Angeklagten pwo_238.027
wird. Wie dieser Hauptcharakter die Situation beherrscht, so pwo_238.028
wird die Handlung durchaus von dem Jneinanderwirken der Charaktere pwo_238.029
bestimmt. Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann.
pwo_238.030
Schön ist der komische Held und seine Sphäre weder im ästhetischen pwo_238.031
noch im ethischen Sinne: im Gegenteil fordern gerade seine pwo_238.032
verstümmelte Erscheinung und seine alles eher als sauberen Absichten pwo_238.033
unsere Heiterkeit heraus. Wodurch? Durch die komische Beleuchtung, pwo_238.034
in die sie gerückt sind, durch Herauskehren des Gegensatzes, in welchem pwo_238.035
sie zu allem stehen, was wir gerade von der richterlichen Respektsperson pwo_238.036
erwarten müßten. Allerdings hat somit die Kunst einen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |