nicht mehr leben können. Und daher kön- nen auch die Vögel nur bis auf eine gewisse Höhe sich in die Lufft begeben. Da die Lufft auch zu dem Fliegen das ihre bey- träget, so kan man leicht erachten, daß dem Vogel das höher fliegen verwehret wird als sie zu seinem fliegen bequem ist.
§. 191.
Wir wissen aus der Erfahrung,Woher der An- bruch des Tages und die Abend- Demme- rung kommet. daß der Tag anbricht, ehe die Sonne auf- gehet, und zwar nicht auf einmahl, sondern nach und nach. Die Ursache haben wir in der Lufft zu suchen. Denn da die Lufft über der Erde erhaben ist, so kan das Licht der Sonnen in sie kommen, ehe es die Erde er- reichet: wie wir denn überhaupt sehen, daß die Sachen, welche hoch sind, als z. E. die Spitzen der Berge und Thürme, Dächer hoher Gebäude etc. eher erleuchtet werden als die niedrigen. Man darf aber nicht zweiffeln, daß solches auch in der Lufft stat finde. Wir können es eigentlich sehen, wenn Wolcken von verschiedener Höhe in der Lufft sind. Z. E. frühe, wenn die Son- ne aufgehen will, werden die hohen Wol- cken roth und die unteren bleiben dunckel: denn man siehet gantz eigentlich wie sich die dunckelen unter den rothen fort bewegen und sie verdecken. Gleichergestalt des A- bends, wenn die Sonne untergangen ist, sie- het man daß hohe Wolcken noch lange gantz helle bleiben, wenn die unteren gantz finster
sind,
S 2
Cap. II. Von der Lufft.
nicht mehr leben koͤnnen. Und daher koͤn- nen auch die Voͤgel nur bis auf eine gewiſſe Hoͤhe ſich in die Lufft begeben. Da die Lufft auch zu dem Fliegen das ihre bey- traͤget, ſo kan man leicht erachten, daß dem Vogel das hoͤher fliegen verwehret wird als ſie zu ſeinem fliegen bequem iſt.
§. 191.
Wir wiſſen aus der Erfahrung,Woher der An- bruch des Tages und die Abend- Demme- rung kommet. daß der Tag anbricht, ehe die Sonne auf- gehet, und zwar nicht auf einmahl, ſondern nach und nach. Die Urſache haben wir in der Lufft zu ſuchen. Denn da die Lufft uͤber der Erde erhaben iſt, ſo kan das Licht der Sonnen in ſie kommen, ehe es die Erde er- reichet: wie wir denn uͤberhaupt ſehen, daß die Sachen, welche hoch ſind, als z. E. die Spitzen der Berge und Thuͤrme, Daͤcher hoher Gebaͤude ꝛc. eher erleuchtet werden als die niedrigen. Man darf aber nicht zweiffeln, daß ſolches auch in der Lufft ſtat finde. Wir koͤnnen es eigentlich ſehen, wenn Wolcken von verſchiedener Hoͤhe in der Lufft ſind. Z. E. fruͤhe, wenn die Son- ne aufgehen will, werden die hohen Wol- cken roth und die unteren bleiben dunckel: denn man ſiehet gantz eigentlich wie ſich die dunckelen unter den rothen fort bewegen und ſie verdecken. Gleichergeſtalt des A- bends, wenn die Sonne untergangen iſt, ſie- het man daß hohe Wolcken noch lange gantz helle bleiben, wenn die unteren gantz finſter
ſind,
S 2
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Cap. II. Von der Lufft.
nicht mehr leben koͤnnen. Und daher koͤn-
nen auch die Voͤgel nur bis auf eine gewiſſe
Hoͤhe ſich in die Lufft begeben. Da die
Lufft auch zu dem Fliegen das ihre bey-
traͤget, ſo kan man leicht erachten, daß dem
Vogel das hoͤher fliegen verwehret wird als
ſie zu ſeinem fliegen bequem iſt.
§. 191. Wir wiſſen aus der Erfahrung,
daß der Tag anbricht, ehe die Sonne auf-
gehet, und zwar nicht auf einmahl, ſondern
nach und nach. Die Urſache haben wir in
der Lufft zu ſuchen. Denn da die Lufft uͤber
der Erde erhaben iſt, ſo kan das Licht der
Sonnen in ſie kommen, ehe es die Erde er-
reichet: wie wir denn uͤberhaupt ſehen, daß
die Sachen, welche hoch ſind, als z. E. die
Spitzen der Berge und Thuͤrme, Daͤcher
hoher Gebaͤude ꝛc. eher erleuchtet werden
als die niedrigen. Man darf aber nicht
zweiffeln, daß ſolches auch in der Lufft ſtat
finde. Wir koͤnnen es eigentlich ſehen,
wenn Wolcken von verſchiedener Hoͤhe in
der Lufft ſind. Z. E. fruͤhe, wenn die Son-
ne aufgehen will, werden die hohen Wol-
cken roth und die unteren bleiben dunckel:
denn man ſiehet gantz eigentlich wie ſich die
dunckelen unter den rothen fort bewegen
und ſie verdecken. Gleichergeſtalt des A-
bends, wenn die Sonne untergangen iſt, ſie-
het man daß hohe Wolcken noch lange gantz
helle bleiben, wenn die unteren gantz finſter
ſind,
Woher
der An-
bruch des
Tages
und die
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Demme-
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_naturwuerckungen_1723/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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