so ist die Ursache wohl keine andere als die- se, weil sie entweder wenige von veränder- licher, oder fremder Materie brauchen, wenn sie fliessen sollen, oder auch gar zu viele. Denn wenn wenige dazu erfodert wird, so dauret der Zustand, darinnen eine Ma- terie weich wird, nicht lange, sondern sie fänget gleich an zu fliessen. Derowegen ehe dieselbe mitten hinein weich wird, so fliesset sie schon oben. Und die Beschaf- fenheit hat es mit dem Eise: daher wir se- hen, wenn es oben abschmeltzet, daß es mitten, ja noch gar nahe an der Fläche, wo es schmeltzet, noch gantz kalt und harte ist. Hingegen wenn ein Cörper langsam und nicht anders als durch einen grossen Grad der Wärme flüßig wird; so lässet sichs nicht wohl versuchen, ob er weich ist, ehe er an- fängt zu fliessen. Es ist aber wohl vermuth- lich, daß es geschiehet. Denn die Natur thut keinen Sprung (§. 686 Met.), sondern würcket nach und nach Ehe sie demnach die Theile eines Cörpers von einander trennet, stösset sie sie nur etwas von einander weg, und dieses ist genung dazu, wenn er weich werden soll. Man muß aber hierbey nicht vergessen, daß, wie alles in der Natur sei- ne Grade hat, und keines eine Eigenschafft in eben dem Grade besitzet, wie das ande- re, auch die Weiche ihre Grade hat, und daher ein Cörper wieder weicher werden kan
als
wegen der veraͤnderlichen Materie.
ſo iſt die Urſache wohl keine andere als die- ſe, weil ſie entweder wenige von veraͤnder- licher, oder fremder Materie brauchen, wenn ſie flieſſen ſollen, oder auch gar zu viele. Denn wenn wenige dazu erfodert wird, ſo dauret der Zuſtand, darinnen eine Ma- terie weich wird, nicht lange, ſondern ſie faͤnget gleich an zu flieſſen. Derowegen ehe dieſelbe mitten hinein weich wird, ſo flieſſet ſie ſchon oben. Und die Beſchaf- fenheit hat es mit dem Eiſe: daher wir ſe- hen, wenn es oben abſchmeltzet, daß es mitten, ja noch gar nahe an der Flaͤche, wo es ſchmeltzet, noch gantz kalt und harte iſt. Hingegen wenn ein Coͤrper langſam und nicht anders als durch einen groſſen Grad der Waͤrme fluͤßig wird; ſo laͤſſet ſichs nicht wohl verſuchen, ob er weich iſt, ehe er an- faͤngt zu flieſſen. Es iſt aber wohl vermuth- lich, daß es geſchiehet. Denn die Natur thut keinen Sprung (§. 686 Met.), ſondern wuͤrcket nach und nach Ehe ſie demnach die Theile eines Coͤrpers von einander trennet, ſtoͤſſet ſie ſie nur etwas von einander weg, und dieſes iſt genung dazu, wenn er weich werden ſoll. Man muß aber hierbey nicht vergeſſen, daß, wie alles in der Natur ſei- ne Grade hat, und keines eine Eigenſchafft in eben dem Grade beſitzet, wie das ande- re, auch die Weiche ihre Grade hat, und daher ein Coͤrper wieder weicher werden kan
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wegen der veraͤnderlichen Materie.
ſo iſt die Urſache wohl keine andere als die-
ſe, weil ſie entweder wenige von veraͤnder-
licher, oder fremder Materie brauchen, wenn
ſie flieſſen ſollen, oder auch gar zu viele.
Denn wenn wenige dazu erfodert wird,
ſo dauret der Zuſtand, darinnen eine Ma-
terie weich wird, nicht lange, ſondern ſie
faͤnget gleich an zu flieſſen. Derowegen
ehe dieſelbe mitten hinein weich wird, ſo
flieſſet ſie ſchon oben. Und die Beſchaf-
fenheit hat es mit dem Eiſe: daher wir ſe-
hen, wenn es oben abſchmeltzet, daß es
mitten, ja noch gar nahe an der Flaͤche, wo
es ſchmeltzet, noch gantz kalt und harte iſt.
Hingegen wenn ein Coͤrper langſam und
nicht anders als durch einen groſſen Grad
der Waͤrme fluͤßig wird; ſo laͤſſet ſichs nicht
wohl verſuchen, ob er weich iſt, ehe er an-
faͤngt zu flieſſen. Es iſt aber wohl vermuth-
lich, daß es geſchiehet. Denn die Natur
thut keinen Sprung (§. 686 Met.), ſondern
wuͤrcket nach und nach Ehe ſie demnach die
Theile eines Coͤrpers von einander trennet,
ſtoͤſſet ſie ſie nur etwas von einander weg,
und dieſes iſt genung dazu, wenn er weich
werden ſoll. Man muß aber hierbey nicht
vergeſſen, daß, wie alles in der Natur ſei-
ne Grade hat, und keines eine Eigenſchafft
in eben dem Grade beſitzet, wie das ande-
re, auch die Weiche ihre Grade hat, und
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_naturwuerckungen_1723/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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