Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 6. Von der Regierung es Wunder, daß man auf die Gedanckengerathen kan, als liessen sie sich in einem Augenbliche ausmachen durch eine kleine Unterredung einiger Personen, die im Er- finden weder Erkäntnis, noch Ubung ha- ben. Wenn man in der Mathematick ei- ne Aufgabe aufgiebet und es giengen eini- ge Leute zusammen, denen die darinnen erfundenen Wahrheiten meistentheils be- kand wären, und fragte einer den andern was ihn von der Auflösung der Aufgabe deuchte, und man vermeinte dadurch die Auflösung in dem Augenblicke zu finden; so würden die im Erfinden erfahrne Ma- thematici über die Einfalt dieser Leute la- chen. Und gewis, da man darüber lachen muß, daß vor möglich gehalten wird, was doch augenscheinlich unmöglich ist; so kön- nen sich Verständige des Lachens nicht ent- halten. Was soll man nun sagen, wenn man siehet, daß man sehr in einander ver- wirrte und versteckte Aufgaben, welche die Verbesserung des Staates betreffen, auf eine solche Weise heraus bringen wil. Man muß einen Unterscheid machen, ob etwas durch weitläufftige Uberlegung zu erfinden, oder zu untersuchen ist, oder ob nur die allgemeinen bereits erkandten Wahrheiten auf einen besondern Fall anzubringen sind. Zu dem letzten wird ein einiger Schluß erfordert; und kan im Augenblicke ein je- der,
Cap. 6. Von der Regierung es Wunder, daß man auf die Gedanckengerathen kan, als lieſſen ſie ſich in einem Augenbliche ausmachen durch eine kleine Unterredung einiger Perſonen, die im Er- finden weder Erkaͤntnis, noch Ubung ha- ben. Wenn man in der Mathematick ei- ne Aufgabe aufgiebet und es giengen eini- ge Leute zuſammen, denen die darinnen erfundenen Wahrheiten meiſtentheils be- kand waͤren, und fragte einer den andern was ihn von der Aufloͤſung der Aufgabe deuchte, und man vermeinte dadurch die Aufloͤſung in dem Augenblicke zu finden; ſo wuͤrden die im Erfinden erfahrne Ma- thematici uͤber die Einfalt dieſer Leute la- chen. Und gewis, da man daruͤber lachen muß, daß vor moͤglich gehalten wird, was doch augenſcheinlich unmoͤglich iſt; ſo koͤn- nen ſich Verſtaͤndige des Lachens nicht ent- halten. Was ſoll man nun ſagen, wenn man ſiehet, daß man ſehr in einander ver- wirrte und verſteckte Aufgaben, welche die Verbeſſerung des Staates betreffen, auf eine ſolche Weiſe heraus bringen wil. Man muß einen Unterſcheid machen, ob etwas durch weitlaͤufftige Uberlegung zu erfinden, oder zu unterſuchen iſt, oder ob nur die allgemeinen bereits erkandten Wahrheiten auf einen beſondern Fall anzubringen ſind. Zu dem letzten wird ein einiger Schluß erfordert; und kan im Augenblicke ein je- der,
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Cap. 6. Von der Regierung
es Wunder, daß man auf die Gedancken
gerathen kan, als lieſſen ſie ſich in einem
Augenbliche ausmachen durch eine kleine
Unterredung einiger Perſonen, die im Er-
finden weder Erkaͤntnis, noch Ubung ha-
ben. Wenn man in der Mathematick ei-
ne Aufgabe aufgiebet und es giengen eini-
ge Leute zuſammen, denen die darinnen
erfundenen Wahrheiten meiſtentheils be-
kand waͤren, und fragte einer den andern
was ihn von der Aufloͤſung der Aufgabe
deuchte, und man vermeinte dadurch die
Aufloͤſung in dem Augenblicke zu finden;
ſo wuͤrden die im Erfinden erfahrne Ma-
thematici uͤber die Einfalt dieſer Leute la-
chen. Und gewis, da man daruͤber lachen
muß, daß vor moͤglich gehalten wird, was
doch augenſcheinlich unmoͤglich iſt; ſo koͤn-
nen ſich Verſtaͤndige des Lachens nicht ent-
halten. Was ſoll man nun ſagen, wenn
man ſiehet, daß man ſehr in einander ver-
wirrte und verſteckte Aufgaben, welche die
Verbeſſerung des Staates betreffen, auf
eine ſolche Weiſe heraus bringen wil. Man
muß einen Unterſcheid machen, ob etwas
durch weitlaͤufftige Uberlegung zu erfinden,
oder zu unterſuchen iſt, oder ob nur die
allgemeinen bereits erkandten Wahrheiten
auf einen beſondern Fall anzubringen ſind.
Zu dem letzten wird ein einiger Schluß
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