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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 2. Von dem Ehestande.
geschehen, in dem andern Falle ist die Ver-
löbnis noch nicht vollzogen, weil die Be-
dingung noch nicht erfüllet werden. Da nun
im keinem Falle die Personen für würcklich
verlobte können gehalten werden; so kan
man auch auf sie nicht deuten, was von
würcklich verlobten (§. 46) erwiesen wor-
den. Es ist hier nur ein Schein der Ver-
löbnis, nicht das Wesen selbst; und al-
so muß man jenen mit diesem keines weges
vermengen. Jch will der Deutlichkeit hal-
ber von jedem Falle ein Exempel geben. Ti-
tius
verlanget, seine Tochter Tanaquilla
sol sich mit Sempronio versprechen. Sie hat
zu ihm keine Liebe, sondern bleibet bestän-
dig dabey, sie könne ihm nicht gut seyn,
werde ihm auch nimmermehr gut werden,
wenn man sie gleich zwinge ihn zu heyra-
then. Titius bedrohet seine Tochter, er
wolle ihr alle väterliche Hülffe, alle Liebe
und väterlichen Seegen entziehen, woferne
sie nicht in die Heyrath mit Sempronio
willige. Aus Furcht für dem Vater
spricht sie ja, wenn sie in Gegenwart Sem-
pronii
und einiger Zeugen gefraget wird,
ob sie ihn zum Manne haben wolle. Hier
siehet man leicht, daß der Mund geredet,
was sie nicht gedencket, und dannenhero
es nur den Schein hat, als wenn sie den
Sempronium zum Manne verlangte, da sie
ihn in der That nicht verlanget. Wenn nun

Ti-

Cap. 2. Von dem Eheſtande.
geſchehen, in dem andern Falle iſt die Ver-
loͤbnis noch nicht vollzogen, weil die Be-
dingung noch nicht erfuͤllet werden. Da nun
im keinem Falle die Perſonen fuͤr wuͤrcklich
verlobte koͤnnen gehalten werden; ſo kan
man auch auf ſie nicht deuten, was von
wuͤrcklich verlobten (§. 46) erwieſen wor-
den. Es iſt hier nur ein Schein der Ver-
loͤbnis, nicht das Weſen ſelbſt; und al-
ſo muß man jenen mit dieſem keines weges
vermengen. Jch will der Deutlichkeit hal-
ber von jedem Falle ein Exempel geben. Ti-
tius
verlanget, ſeine Tochter Tanaquilla
ſol ſich mit Sempronio verſprechen. Sie hat
zu ihm keine Liebe, ſondern bleibet beſtaͤn-
dig dabey, ſie koͤnne ihm nicht gut ſeyn,
werde ihm auch nimmermehr gut werden,
wenn man ſie gleich zwinge ihn zu heyra-
then. Titius bedrohet ſeine Tochter, er
wolle ihr alle vaͤterliche Huͤlffe, alle Liebe
und vaͤterlichen Seegen entziehen, woferne
ſie nicht in die Heyrath mit Sempronio
willige. Aus Furcht fuͤr dem Vater
ſpricht ſie ja, wenn ſie in Gegenwart Sem-
pronii
und einiger Zeugen gefraget wird,
ob ſie ihn zum Manne haben wolle. Hier
ſiehet man leicht, daß der Mund geredet,
was ſie nicht gedencket, und dannenhero
es nur den Schein hat, als wenn ſie den
Sempronium zum Manne verlangte, da ſie
ihn in der That nicht verlanget. Wenn nun

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[34/0052] Cap. 2. Von dem Eheſtande. geſchehen, in dem andern Falle iſt die Ver- loͤbnis noch nicht vollzogen, weil die Be- dingung noch nicht erfuͤllet werden. Da nun im keinem Falle die Perſonen fuͤr wuͤrcklich verlobte koͤnnen gehalten werden; ſo kan man auch auf ſie nicht deuten, was von wuͤrcklich verlobten (§. 46) erwieſen wor- den. Es iſt hier nur ein Schein der Ver- loͤbnis, nicht das Weſen ſelbſt; und al- ſo muß man jenen mit dieſem keines weges vermengen. Jch will der Deutlichkeit hal- ber von jedem Falle ein Exempel geben. Ti- tius verlanget, ſeine Tochter Tanaquilla ſol ſich mit Sempronio verſprechen. Sie hat zu ihm keine Liebe, ſondern bleibet beſtaͤn- dig dabey, ſie koͤnne ihm nicht gut ſeyn, werde ihm auch nimmermehr gut werden, wenn man ſie gleich zwinge ihn zu heyra- then. Titius bedrohet ſeine Tochter, er wolle ihr alle vaͤterliche Huͤlffe, alle Liebe und vaͤterlichen Seegen entziehen, woferne ſie nicht in die Heyrath mit Sempronio willige. Aus Furcht fuͤr dem Vater ſpricht ſie ja, wenn ſie in Gegenwart Sem- pronii und einiger Zeugen gefraget wird, ob ſie ihn zum Manne haben wolle. Hier ſiehet man leicht, daß der Mund geredet, was ſie nicht gedencket, und dannenhero es nur den Schein hat, als wenn ſie den Sempronium zum Manne verlangte, da ſie ihn in der That nicht verlanget. Wenn nun Ti-

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/52>, abgerufen am 04.05.2024.