Da nun gar viele Zeit hingehet, ehe die Kinder bis dahin gebracht sind, daß sie sich selbst versorgen können und der El- tern Hülffe nicht mehr nöthig haben, der- gestalt daß viele eher sterben, ehe sie bis in den Stand gesetzet werden, fast alle unter der Zeit zu fernerer Erzeugung oder wenig- stens zu völliger Auferziehung der Kinder untüchtig werden, welches alles aus der täg- lichen Erfahrung erhellet; über dieses auch die Einrichtung des Haußwesens, die von Eheleuten gegen einander erforder- te Liebe, ingleichen die Einrichtung wegen des Vermögens nach dem Tode erfordern, daß Eheleute sich in ihrem Alter, wenn sie der Grube nahe sind, nicht mehr trennen, welches alles in dem folgenden umbständli- cher erhellen wird: so ist es der Ver- nunfft gemäßer, daß der Ehestand Lebens- lang daure und die Gesellschafft nicht an- ders als durch den Todt getrennet werde, als daß Eheleute noch bey Lebens-Zeiten sich scheiden wollten. Wer andere Gedan- cken hat, setzet entweder die Aufferziehung der Kinder aus den Augen, oder stellet sie sich anders vor als er solte, nehmlich er meinet, Kinder wären versorget, wenn sie zur Nothdurfft Nahrung und Kleider hät- ten, da doch nach diesem gantz ein an- deres erhellen wird. der Beweis gehet kürtz- lich dahinaus, daß eine jede Gesellschafft
so
Cap. 2. Von dem Eheſtande.
Eheſtand ſoll le- benslang dauren.
§. 44.
Da nun gar viele Zeit hingehet, ehe die Kinder bis dahin gebracht ſind, daß ſie ſich ſelbſt verſorgen koͤnnen und der El- tern Huͤlffe nicht mehr noͤthig haben, der- geſtalt daß viele eher ſterben, ehe ſie bis in den Stand geſetzet werden, faſt alle unter der Zeit zu fernerer Erzeugung oder wenig- ſtens zu voͤlliger Auferziehung der Kinder untuͤchtig werden, welches alles aus der taͤg- lichen Erfahrung erhellet; uͤber dieſes auch die Einrichtung des Haußweſens, die von Eheleuten gegen einander erforder- te Liebe, ingleichen die Einrichtung wegen des Vermoͤgens nach dem Tode erfordern, daß Eheleute ſich in ihrem Alter, wenn ſie der Grube nahe ſind, nicht mehr trennen, welches alles in dem folgenden umbſtaͤndli- cher erhellen wird: ſo iſt es der Ver- nunfft gemaͤßer, daß der Eheſtand Lebens- lang daure und die Geſellſchafft nicht an- ders als durch den Todt getrennet werde, als daß Eheleute noch bey Lebens-Zeiten ſich ſcheiden wollten. Wer andere Gedan- cken hat, ſetzet entweder die Aufferziehung der Kinder aus den Augen, oder ſtellet ſie ſich anders vor als er ſolte, nehmlich er meinet, Kinder waͤren verſorget, wenn ſie zur Nothdurfft Nahrung und Kleider haͤt- ten, da doch nach dieſem gantz ein an- deres erhellen wird. der Beweis gehet kuͤrtz- lich dahinaus, daß eine jede Geſellſchafft
ſo
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Cap. 2. Von dem Eheſtande.
§. 44.Da nun gar viele Zeit hingehet,
ehe die Kinder bis dahin gebracht ſind, daß
ſie ſich ſelbſt verſorgen koͤnnen und der El-
tern Huͤlffe nicht mehr noͤthig haben, der-
geſtalt daß viele eher ſterben, ehe ſie bis in
den Stand geſetzet werden, faſt alle unter
der Zeit zu fernerer Erzeugung oder wenig-
ſtens zu voͤlliger Auferziehung der Kinder
untuͤchtig werden, welches alles aus der taͤg-
lichen Erfahrung erhellet; uͤber dieſes auch
die Einrichtung des Haußweſens, die
von Eheleuten gegen einander erforder-
te Liebe, ingleichen die Einrichtung wegen
des Vermoͤgens nach dem Tode erfordern,
daß Eheleute ſich in ihrem Alter, wenn ſie
der Grube nahe ſind, nicht mehr trennen,
welches alles in dem folgenden umbſtaͤndli-
cher erhellen wird: ſo iſt es der Ver-
nunfft gemaͤßer, daß der Eheſtand Lebens-
lang daure und die Geſellſchafft nicht an-
ders als durch den Todt getrennet werde,
als daß Eheleute noch bey Lebens-Zeiten
ſich ſcheiden wollten. Wer andere Gedan-
cken hat, ſetzet entweder die Aufferziehung
der Kinder aus den Augen, oder ſtellet ſie
ſich anders vor als er ſolte, nehmlich er
meinet, Kinder waͤren verſorget, wenn ſie
zur Nothdurfft Nahrung und Kleider haͤt-
ten, da doch nach dieſem gantz ein an-
deres erhellen wird. der Beweis gehet kuͤrtz-
lich dahinaus, daß eine jede Geſellſchafft
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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