Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.und Gewalt der Obrigkeit. nichts als Aergernüß zu geben geschickt sind,jährlich etwas gewisses geben; so wäre dieser Befehl zwar unrecht, wie sichs nach diesem zeigen wird: allein weil es mit Macht uns würde genommen werden, wenn wir es nicht gutwillig geben wollten, ja wir über dieses der Wiederspenstigkeit halber noch dazu uns einer Straffe besorgen müsten; so würden wir nichts dabey ge- winnen, wenn wir nicht gehorchen woll- ten, sondern uns vielmehr noch dazu scha- den. Und demnach müssen wir auch in die- sem Falle gehorchen. Es ist nemlich wohl zu mercken, daß, wenn wir in dergleichen Fällen gehorchen, nicht wir unrecht thun, oder wieder das Gesetze der Natur han- deln, sondern nur geschehen lassen, daß die Obrigkeit solches thut, weil wir es zu hindern nicht in unserer Gewalt haben. Da wir nun das Böse in allen Fällen müssen geschehen lasson, wenn wir es zu hindern nicht vermögend sind (§. 247. Mor.); so müssen wir uns so vielmehr die Obrigkeit unrecht thun lassen, weil solches zu hindern nicht in unsern Kräfften stehet. Wollte aber die Obrigkeit etwas befehlen, da wir unrecht thun müssen, als z. E. einen un- fchuldigen Menschen tod schlagen; so muß man alsdenn allerdings seinen Gehorsam verweigern. Weil nun das natürliche Ge- setze zugleich das göttliche Gesetze ist (§. 35. Mor.); F f 5
und Gewalt der Obrigkeit. nichts als Aergernuͤß zu geben geſchickt ſind,jaͤhrlich etwas gewiſſes geben; ſo waͤre dieſer Befehl zwar unrecht, wie ſichs nach dieſem zeigen wird: allein weil es mit Macht uns wuͤrde genommen werden, wenn wir es nicht gutwillig geben wollten, ja wir uͤber dieſes der Wiederſpenſtigkeit halber noch dazu uns einer Straffe beſorgen muͤſten; ſo wuͤrden wir nichts dabey ge- winnen, wenn wir nicht gehorchen woll- ten, ſondern uns vielmehr noch dazu ſcha- den. Und demnach muͤſſen wir auch in die- ſem Falle gehorchen. Es iſt nemlich wohl zu mercken, daß, wenn wir in dergleichen Faͤllen gehorchen, nicht wir unrecht thun, oder wieder das Geſetze der Natur han- deln, ſondern nur geſchehen laſſen, daß die Obrigkeit ſolches thut, weil wir es zu hindern nicht in unſerer Gewalt haben. Da wir nun das Boͤſe in allen Faͤllen muͤſſen geſchehen laſſon, wenn wir es zu hindern nicht vermoͤgend ſind (§. 247. Mor.); ſo muͤſſen wir uns ſo vielmehr die Obrigkeit unrecht thun laſſen, weil ſolches zu hindern nicht in unſern Kraͤfften ſtehet. Wollte aber die Obrigkeit etwas befehlen, da wir unrecht thun muͤſſen, als z. E. einen un- fchuldigen Menſchen tod ſchlagen; ſo muß man alsdenn allerdings ſeinen Gehorſam verweigern. Weil nun das natuͤrliche Ge- ſetze zugleich das goͤttliche Geſetze iſt (§. 35. Mor.); F f 5
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und Gewalt der Obrigkeit.
nichts als Aergernuͤß zu geben geſchickt ſind,
jaͤhrlich etwas gewiſſes geben; ſo waͤre
dieſer Befehl zwar unrecht, wie ſichs nach
dieſem zeigen wird: allein weil es mit
Macht uns wuͤrde genommen werden,
wenn wir es nicht gutwillig geben wollten,
ja wir uͤber dieſes der Wiederſpenſtigkeit
halber noch dazu uns einer Straffe beſorgen
muͤſten; ſo wuͤrden wir nichts dabey ge-
winnen, wenn wir nicht gehorchen woll-
ten, ſondern uns vielmehr noch dazu ſcha-
den. Und demnach muͤſſen wir auch in die-
ſem Falle gehorchen. Es iſt nemlich wohl
zu mercken, daß, wenn wir in dergleichen
Faͤllen gehorchen, nicht wir unrecht thun,
oder wieder das Geſetze der Natur han-
deln, ſondern nur geſchehen laſſen, daß
die Obrigkeit ſolches thut, weil wir es zu
hindern nicht in unſerer Gewalt haben. Da
wir nun das Boͤſe in allen Faͤllen muͤſſen
geſchehen laſſon, wenn wir es zu hindern
nicht vermoͤgend ſind (§. 247. Mor.); ſo
muͤſſen wir uns ſo vielmehr die Obrigkeit
unrecht thun laſſen, weil ſolches zu hindern
nicht in unſern Kraͤfften ſtehet. Wollte
aber die Obrigkeit etwas befehlen, da wir
unrecht thun muͤſſen, als z. E. einen un-
fchuldigen Menſchen tod ſchlagen; ſo muß
man alsdenn allerdings ſeinen Gehorſam
verweigern. Weil nun das natuͤrliche Ge-
ſetze zugleich das goͤttliche Geſetze iſt (§. 35.
Mor.);
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