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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 5. Von der Macht
öffentliche Schrifften, theils auch durch den
Unterricht der öffentlichen Lehrer (§. 317)
geschehen kan.

Wenn sie
zugehor-
chen nicht
verbun-
den.
§. 434.

Da das Gesetze der Natur un-
veränderlich ist (§. 25. Mor.), und wir dar-
über zu halten verbunden sind (§. 916. Mor);
so hat auch die Obrigkeit keine Freyheit zu
befehlen, was ihm zu wieder ist, ausser in
soweit man von der natürlichen Billigkeit
in einigen Fällen zum Vortheile des gan-
tzen gemeinen Wesens abweichen darf (§.
402. 218). Derowegen wenn sie etwas be-
fehlen sollte, was dem natürlichen Gesetze
zu wieder ist, so ist der Unterthan nicht ver-
bunden zu gehorchen, es sey denn daß er
durch verweigerten Gehorsam mehr Unheil
sich auf den Hals zöge, als wenn er gehor-
chete. Z. E. Wenn die Obrigkeit befiehle
entweder wieder unser Gewissen eine irrige
Religion anzunehmen, oder aus dem Lan-
de zu gehen: so würden wir uns mehr scha-
den, wenn wir uns mit einem schweeren Ge-
wissen beständig plagen sollten (§. 106. 109.
110. Mor.), und also auf immer unglücksee-
lig machen (§. 111. Mor.), als wenn wir
unser Glück an einem fremden Orte suche-
ten, wo wir es vielleicht noch besser finden
können, als wir es an dem Orte haben,
den wir verlassen müssen. Hingegen wenn
die Obrigkeit befiehle, man solle zu Unter-
haltung liederlicher Comoedianten, die

nichts

Cap. 5. Von der Macht
oͤffentliche Schrifften, theils auch durch den
Unterricht der oͤffentlichen Lehrer (§. 317)
geſchehen kan.

Wenn ſie
zugehor-
chen nicht
verbun-
den.
§. 434.

Da das Geſetze der Natur un-
veraͤnderlich iſt (§. 25. Mor.), und wir dar-
uͤber zu halten verbunden ſind (§. 916. Mor);
ſo hat auch die Obrigkeit keine Freyheit zu
befehlen, was ihm zu wieder iſt, auſſer in
ſoweit man von der natuͤrlichen Billigkeit
in einigen Faͤllen zum Vortheile des gan-
tzen gemeinen Weſens abweichen darf (§.
402. 218). Derowegen wenn ſie etwas be-
fehlen ſollte, was dem natuͤrlichen Geſetze
zu wieder iſt, ſo iſt der Unterthan nicht ver-
bunden zu gehorchen, es ſey denn daß er
durch verweigerten Gehorſam mehr Unheil
ſich auf den Hals zoͤge, als wenn er gehor-
chete. Z. E. Wenn die Obrigkeit befiehle
entweder wieder unſer Gewiſſen eine irrige
Religion anzunehmen, oder aus dem Lan-
de zu gehen: ſo wuͤrden wir uns mehr ſcha-
den, wenn wir uns mit einem ſchweeren Ge-
wiſſen beſtaͤndig plagen ſollten (§. 106. 109.
110. Mor.), und alſo auf immer ungluͤckſee-
lig machen (§. 111. Mor.), als wenn wir
unſer Gluͤck an einem fremden Orte ſuche-
ten, wo wir es vielleicht noch beſſer finden
koͤnnen, als wir es an dem Orte haben,
den wir verlaſſen muͤſſen. Hingegen wenn
die Obrigkeit befiehle, man ſolle zu Unter-
haltung liederlicher Comœdianten, die

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[456/0474] Cap. 5. Von der Macht oͤffentliche Schrifften, theils auch durch den Unterricht der oͤffentlichen Lehrer (§. 317) geſchehen kan. §. 434.Da das Geſetze der Natur un- veraͤnderlich iſt (§. 25. Mor.), und wir dar- uͤber zu halten verbunden ſind (§. 916. Mor); ſo hat auch die Obrigkeit keine Freyheit zu befehlen, was ihm zu wieder iſt, auſſer in ſoweit man von der natuͤrlichen Billigkeit in einigen Faͤllen zum Vortheile des gan- tzen gemeinen Weſens abweichen darf (§. 402. 218). Derowegen wenn ſie etwas be- fehlen ſollte, was dem natuͤrlichen Geſetze zu wieder iſt, ſo iſt der Unterthan nicht ver- bunden zu gehorchen, es ſey denn daß er durch verweigerten Gehorſam mehr Unheil ſich auf den Hals zoͤge, als wenn er gehor- chete. Z. E. Wenn die Obrigkeit befiehle entweder wieder unſer Gewiſſen eine irrige Religion anzunehmen, oder aus dem Lan- de zu gehen: ſo wuͤrden wir uns mehr ſcha- den, wenn wir uns mit einem ſchweeren Ge- wiſſen beſtaͤndig plagen ſollten (§. 106. 109. 110. Mor.), und alſo auf immer ungluͤckſee- lig machen (§. 111. Mor.), als wenn wir unſer Gluͤck an einem fremden Orte ſuche- ten, wo wir es vielleicht noch beſſer finden koͤnnen, als wir es an dem Orte haben, den wir verlaſſen muͤſſen. Hingegen wenn die Obrigkeit befiehle, man ſolle zu Unter- haltung liederlicher Comœdianten, die nichts

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/474>, abgerufen am 19.05.2024.