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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 4. Von den bürgerlichen
untersuchen solte, warumb einer oder der
andere weggeblieben. Denn diejenigen,
welche über den Gesetzen halten solten,
würden die Zeit allein mit solchen Unter-
suchungen zubringen müssen, oder wollte
man es denen öffentlichen Lehrern auftra-
gen, so würden sie nicht allein dadurch an
ihren übrigen Verrichtungen wegen des
vielen Zeit-Verderbes gehindert werden,
sondern es würden auch zugleich allerhand
wiedrige Affecten in den Gemüthern der
Zuhörer erreget werden, die nach diesem
das Vertrauen zu ihnen hinderten: wo-
durch denn ferner erfolgen würde, daß ih-
re Lehren nicht mehr so viel Nachdruck bey
ihnen haben würden. Unterdessen muß
man es doch nicht dulden, wenn einer
entweder beständig wegbleiben, oder
wohl gar in Gesellschafften eine Verach-
tung gegen den öffentlichen Gottesdienst be-
zeigen wollte. Denn da hierdurch die Re-
ligion in Verachtung kommet, dergleichen
gleichwohl im gemeinen Wesen mit allem
Ernst zu verhüten (§. 367); so hat man
genungsamen Grund die Verachtung des
öffentlichen Gottesdienstes zu bestraffen (§.
357). Also geschiehet z. E. unter uns
Christen denen, welche die gantze Zeit ih-
res Lebens nicht zum Abendmahle gewe-
sen, nicht unrecht, wenn man ihnen kein
ehrliches Begräbniß nach ihrem Tode ver-

stat-

Cap. 4. Von den buͤrgerlichen
unterſuchen ſolte, warumb einer oder der
andere weggeblieben. Denn diejenigen,
welche uͤber den Geſetzen halten ſolten,
wuͤrden die Zeit allein mit ſolchen Unter-
ſuchungen zubringen muͤſſen, oder wollte
man es denen oͤffentlichen Lehrern auftra-
gen, ſo wuͤrden ſie nicht allein dadurch an
ihren uͤbrigen Verrichtungen wegen des
vielen Zeit-Verderbes gehindert werden,
ſondern es wuͤrden auch zugleich allerhand
wiedrige Affecten in den Gemuͤthern der
Zuhoͤrer erreget werden, die nach dieſem
das Vertrauen zu ihnen hinderten: wo-
durch denn ferner erfolgen wuͤrde, daß ih-
re Lehren nicht mehr ſo viel Nachdruck bey
ihnen haben wuͤrden. Unterdeſſen muß
man es doch nicht dulden, wenn einer
entweder beſtaͤndig wegbleiben, oder
wohl gar in Geſellſchafften eine Verach-
tung gegen den oͤffentlichen Gottesdienſt be-
zeigen wollte. Denn da hierdurch die Re-
ligion in Verachtung kommet, dergleichen
gleichwohl im gemeinen Weſen mit allem
Ernſt zu verhuͤten (§. 367); ſo hat man
genungſamen Grund die Verachtung des
oͤffentlichen Gottesdienſtes zu beſtraffen (§.
357). Alſo geſchiehet z. E. unter uns
Chriſten denen, welche die gantze Zeit ih-
res Lebens nicht zum Abendmahle gewe-
ſen, nicht unrecht, wenn man ihnen kein
ehrliches Begraͤbniß nach ihrem Tode ver-

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[432/0450] Cap. 4. Von den buͤrgerlichen unterſuchen ſolte, warumb einer oder der andere weggeblieben. Denn diejenigen, welche uͤber den Geſetzen halten ſolten, wuͤrden die Zeit allein mit ſolchen Unter- ſuchungen zubringen muͤſſen, oder wollte man es denen oͤffentlichen Lehrern auftra- gen, ſo wuͤrden ſie nicht allein dadurch an ihren uͤbrigen Verrichtungen wegen des vielen Zeit-Verderbes gehindert werden, ſondern es wuͤrden auch zugleich allerhand wiedrige Affecten in den Gemuͤthern der Zuhoͤrer erreget werden, die nach dieſem das Vertrauen zu ihnen hinderten: wo- durch denn ferner erfolgen wuͤrde, daß ih- re Lehren nicht mehr ſo viel Nachdruck bey ihnen haben wuͤrden. Unterdeſſen muß man es doch nicht dulden, wenn einer entweder beſtaͤndig wegbleiben, oder wohl gar in Geſellſchafften eine Verach- tung gegen den oͤffentlichen Gottesdienſt be- zeigen wollte. Denn da hierdurch die Re- ligion in Verachtung kommet, dergleichen gleichwohl im gemeinen Weſen mit allem Ernſt zu verhuͤten (§. 367); ſo hat man genungſamen Grund die Verachtung des oͤffentlichen Gottesdienſtes zu beſtraffen (§. 357). Alſo geſchiehet z. E. unter uns Chriſten denen, welche die gantze Zeit ih- res Lebens nicht zum Abendmahle gewe- ſen, nicht unrecht, wenn man ihnen kein ehrliches Begraͤbniß nach ihrem Tode ver- ſtat-

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/450>, abgerufen am 07.05.2024.