Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

des gemeinen Wesens.
man in Nahrung und Kleidung bloß auf
die Nothdurfft sehen solte, und das übri-
ge alles für Ubermuth auslegen: allein
mich düncket, es lasse sich gar leicht zeigen,
daß sie sich in ihrem Urtheile übereilen.
Wenn man weiter nichts verlangte, als
was zur Nothdurfft des Lebens nöthig ist;
so würde die gröste Zahl der Handthierun-
gen wegfallen, und dadurch viele keine
Arbeit haben, wodurch sie verdienten, was
die Nothduxfft erfordert. Ja die Menge
der Menschen hat sie eben aus Nothwen-
digkeit auf allerley Arbeit dencken geleh-
ret, darauf sie sonst nicht würden kommen
seyn, wenn sie bey derjenigen Arbeit ihr
Auskommen hätten finden können, welche
zur Nothdurfft des Lebens genung ist. Es
ist wohl wahr, daß die Reichen denen Ar-
men mit Allmosen aushelffen könten: al-
lein zu geschweigen, daß der Bissen Brodt,
den man verdienet, einem ehrliebenden
Gemüthe besser schmecket, als den er er-
betteln sol, so hat man auch niemanden
ohne Noth Ursache zum Müßiggange zu
geben, als woraus viele Laster zu erfolgen
pflegen (§. 530 Mor.). Uber dieses sind
auch einige Handthierungen nöthig: allein
wenn sie bloß die Arbeit verfertigen solten,
die man zur Nothdurfft des Lebens ge-
brauchet, würden sie dabey ihr nothdürf-
tiges Auskommen nicht finden. Hieher

gehö-
Z 5

des gemeinen Weſens.
man in Nahrung und Kleidung bloß auf
die Nothdurfft ſehen ſolte, und das uͤbri-
ge alles fuͤr Ubermuth auslegen: allein
mich duͤncket, es laſſe ſich gar leicht zeigen,
daß ſie ſich in ihrem Urtheile uͤbereilen.
Wenn man weiter nichts verlangte, als
was zur Nothdurfft des Lebens noͤthig iſt;
ſo wuͤrde die groͤſte Zahl der Handthierun-
gen wegfallen, und dadurch viele keine
Arbeit haben, wodurch ſie verdienten, was
die Nothduxfft erfordert. Ja die Menge
der Menſchen hat ſie eben aus Nothwen-
digkeit auf allerley Arbeit dencken geleh-
ret, darauf ſie ſonſt nicht wuͤrden kommen
ſeyn, wenn ſie bey derjenigen Arbeit ihr
Auskommen haͤtten finden koͤnnen, welche
zur Nothdurfft des Lebens genung iſt. Es
iſt wohl wahr, daß die Reichen denen Ar-
men mit Allmoſen aushelffen koͤnten: al-
lein zu geſchweigen, daß der Biſſen Brodt,
den man verdienet, einem ehrliebenden
Gemuͤthe beſſer ſchmecket, als den er er-
betteln ſol, ſo hat man auch niemanden
ohne Noth Urſache zum Muͤßiggange zu
geben, als woraus viele Laſter zu erfolgen
pflegen (§. 530 Mor.). Uber dieſes ſind
auch einige Handthierungen noͤthig: allein
wenn ſie bloß die Arbeit verfertigen ſolten,
die man zur Nothdurfft des Lebens ge-
brauchet, wuͤrden ſie dabey ihr nothduͤrf-
tiges Auskommen nicht finden. Hieher

gehoͤ-
Z 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0379" n="361"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des gemeinen We&#x017F;ens.</hi></fw><lb/>
man in Nahrung und Kleidung bloß auf<lb/>
die Nothdurfft &#x017F;ehen &#x017F;olte, und das u&#x0364;bri-<lb/>
ge alles fu&#x0364;r Ubermuth auslegen: allein<lb/>
mich du&#x0364;ncket, es la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich gar leicht zeigen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich in ihrem Urtheile u&#x0364;bereilen.<lb/>
Wenn man weiter nichts verlangte, als<lb/>
was zur Nothdurfft des Lebens no&#x0364;thig i&#x017F;t;<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rde die gro&#x0364;&#x017F;te Zahl der Handthierun-<lb/>
gen wegfallen, und dadurch viele keine<lb/>
Arbeit haben, wodurch &#x017F;ie verdienten, was<lb/>
die Nothduxfft erfordert. Ja die Menge<lb/>
der Men&#x017F;chen hat &#x017F;ie eben aus Nothwen-<lb/>
digkeit auf allerley Arbeit dencken geleh-<lb/>
ret, darauf &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t nicht wu&#x0364;rden kommen<lb/>
&#x017F;eyn, wenn &#x017F;ie bey derjenigen Arbeit ihr<lb/>
Auskommen ha&#x0364;tten finden ko&#x0364;nnen, welche<lb/>
zur Nothdurfft des Lebens genung i&#x017F;t. Es<lb/>
i&#x017F;t wohl wahr, daß die Reichen denen Ar-<lb/>
men mit Allmo&#x017F;en aushelffen ko&#x0364;nten: al-<lb/>
lein zu ge&#x017F;chweigen, daß der Bi&#x017F;&#x017F;en Brodt,<lb/>
den man verdienet, einem ehrliebenden<lb/>
Gemu&#x0364;the be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chmecket, als den er er-<lb/>
betteln &#x017F;ol, &#x017F;o hat man auch niemanden<lb/>
ohne Noth Ur&#x017F;ache zum Mu&#x0364;ßiggange zu<lb/>
geben, als woraus viele La&#x017F;ter zu erfolgen<lb/>
pflegen (§. 530 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>). Uber die&#x017F;es &#x017F;ind<lb/>
auch einige Handthierungen no&#x0364;thig: allein<lb/>
wenn &#x017F;ie bloß die Arbeit verfertigen &#x017F;olten,<lb/>
die man zur Nothdurfft des Lebens ge-<lb/>
brauchet, wu&#x0364;rden &#x017F;ie dabey ihr nothdu&#x0364;rf-<lb/>
tiges Auskommen nicht finden. Hieher<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 5</fw><fw place="bottom" type="catch">geho&#x0364;-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0379] des gemeinen Weſens. man in Nahrung und Kleidung bloß auf die Nothdurfft ſehen ſolte, und das uͤbri- ge alles fuͤr Ubermuth auslegen: allein mich duͤncket, es laſſe ſich gar leicht zeigen, daß ſie ſich in ihrem Urtheile uͤbereilen. Wenn man weiter nichts verlangte, als was zur Nothdurfft des Lebens noͤthig iſt; ſo wuͤrde die groͤſte Zahl der Handthierun- gen wegfallen, und dadurch viele keine Arbeit haben, wodurch ſie verdienten, was die Nothduxfft erfordert. Ja die Menge der Menſchen hat ſie eben aus Nothwen- digkeit auf allerley Arbeit dencken geleh- ret, darauf ſie ſonſt nicht wuͤrden kommen ſeyn, wenn ſie bey derjenigen Arbeit ihr Auskommen haͤtten finden koͤnnen, welche zur Nothdurfft des Lebens genung iſt. Es iſt wohl wahr, daß die Reichen denen Ar- men mit Allmoſen aushelffen koͤnten: al- lein zu geſchweigen, daß der Biſſen Brodt, den man verdienet, einem ehrliebenden Gemuͤthe beſſer ſchmecket, als den er er- betteln ſol, ſo hat man auch niemanden ohne Noth Urſache zum Muͤßiggange zu geben, als woraus viele Laſter zu erfolgen pflegen (§. 530 Mor.). Uber dieſes ſind auch einige Handthierungen noͤthig: allein wenn ſie bloß die Arbeit verfertigen ſolten, die man zur Nothdurfft des Lebens ge- brauchet, wuͤrden ſie dabey ihr nothduͤrf- tiges Auskommen nicht finden. Hieher gehoͤ- Z 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/379
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/379>, abgerufen am 25.11.2024.