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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 3. Von der Einrichtung
Menschen tugendhafft zu machen. Denn
da ein tugendhaffter bereit ist, sein Hand-
lungen nach dem Gesetze der Natur einzu-
richten (§. 64 Mor.), und also einige voll-
bringet, weil sie an sich gut; hingegen
andere unterlässet, weil sie an sich böse
sind (§. 12 Mor.); so hat er keinen Wil-
len das böse zu thun und das gute zu las-
sen: hingegen der aus Furcht der Straffe
etwas unterlässet, was er sonst thun wür-
de, oder auch thut, was er unterlassen
würde, der hat noch den Willen das
böse zu thun und das gute zu lassen. Und
demnach ist klar, daß durch Straffen nie-
mand tugendhafft gemacht wird. Man
kan doch aber machen, daß sie zugleich zur
Tugend den Weg bahnen, wenn man
geschickte Ceremonien damit verknüpffet.
Denn weil diese dasjenige ins Gedächtnis
bringen, was bey der Schändlichkeit der
Verbrechen, die gestraffet werden, zu be-
dencken: so lernet man sie zugleich als an
sich böse Dinge erkennen. Ob nun zwar
vermöge der Ceremonien es nicht allezeit
dahin zu bringen, daß man hiervon eine
Uberführung erlanget, und solchergestalt
kein fester Vorsatz in Ansehung dieser Er-
känntniß erfolgen kan (§. 169 Mor.): so
ist es doch genung, daß ein Anfang ge-
macht wird, wodurch man nach diesem

leicht

Cap. 3. Von der Einrichtung
Menſchen tugendhafft zu machen. Denn
da ein tugendhaffter bereit iſt, ſein Hand-
lungen nach dem Geſetze der Natur einzu-
richten (§. 64 Mor.), und alſo einige voll-
bringet, weil ſie an ſich gut; hingegen
andere unterlaͤſſet, weil ſie an ſich boͤſe
ſind (§. 12 Mor.); ſo hat er keinen Wil-
len das boͤſe zu thun und das gute zu laſ-
ſen: hingegen der aus Furcht der Straffe
etwas unterlaͤſſet, was er ſonſt thun wuͤr-
de, oder auch thut, was er unterlaſſen
wuͤrde, der hat noch den Willen das
boͤſe zu thun und das gute zu laſſen. Und
demnach iſt klar, daß durch Straffen nie-
mand tugendhafft gemacht wird. Man
kan doch aber machen, daß ſie zugleich zur
Tugend den Weg bahnen, wenn man
geſchickte Ceremonien damit verknuͤpffet.
Denn weil dieſe dasjenige ins Gedaͤchtnis
bringen, was bey der Schaͤndlichkeit der
Verbrechen, die geſtraffet werden, zu be-
dencken: ſo lernet man ſie zugleich als an
ſich boͤſe Dinge erkennen. Ob nun zwar
vermoͤge der Ceremonien es nicht allezeit
dahin zu bringen, daß man hiervon eine
Uberfuͤhrung erlanget, und ſolchergeſtalt
kein feſter Vorſatz in Anſehung dieſer Er-
kaͤnntniß erfolgen kan (§. 169 Mor.): ſo
iſt es doch genung, daß ein Anfang ge-
macht wird, wodurch man nach dieſem

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[298/0316] Cap. 3. Von der Einrichtung Menſchen tugendhafft zu machen. Denn da ein tugendhaffter bereit iſt, ſein Hand- lungen nach dem Geſetze der Natur einzu- richten (§. 64 Mor.), und alſo einige voll- bringet, weil ſie an ſich gut; hingegen andere unterlaͤſſet, weil ſie an ſich boͤſe ſind (§. 12 Mor.); ſo hat er keinen Wil- len das boͤſe zu thun und das gute zu laſ- ſen: hingegen der aus Furcht der Straffe etwas unterlaͤſſet, was er ſonſt thun wuͤr- de, oder auch thut, was er unterlaſſen wuͤrde, der hat noch den Willen das boͤſe zu thun und das gute zu laſſen. Und demnach iſt klar, daß durch Straffen nie- mand tugendhafft gemacht wird. Man kan doch aber machen, daß ſie zugleich zur Tugend den Weg bahnen, wenn man geſchickte Ceremonien damit verknuͤpffet. Denn weil dieſe dasjenige ins Gedaͤchtnis bringen, was bey der Schaͤndlichkeit der Verbrechen, die geſtraffet werden, zu be- dencken: ſo lernet man ſie zugleich als an ſich boͤſe Dinge erkennen. Ob nun zwar vermoͤge der Ceremonien es nicht allezeit dahin zu bringen, daß man hiervon eine Uberfuͤhrung erlanget, und ſolchergeſtalt kein feſter Vorſatz in Anſehung dieſer Er- kaͤnntniß erfolgen kan (§. 169 Mor.): ſo iſt es doch genung, daß ein Anfang ge- macht wird, wodurch man nach dieſem leicht

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/316>, abgerufen am 22.11.2024.