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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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des gemeinen Wesens.
sen oder jenen Handlungen erfolget, oder
auch aus unserem Vergnügen das gegen-
wärtige Mißvergnügen erwachsen sey.
Hingegen in Comödien und Tragödien
folget alles, was zusammen gehöret, in
einer kurtzen Reihe auf einander, und läs-
set sich daraus der Erfolg der Handlungen
viel besser und leichter begreiffen, als wenn
man im menschlichen Leben darauf acht
hat. Derowegen weil Comödien und
Tragödien so nützlich sind; so hat man
auch dieselben im gemeinen Wesen zu ver-
anlassen. Man begreiffet aber aus dem,
was gesaget worden, wie dergleichen Freu-
den- und Trauer-Spiele beschaffen seyn
müssen, und daß diejenigen, welche sie er-
finden wollen, in den Zufällen des mensch-
lichen Lebens sehr erfahren und in der Sit-
ten-Lehre, auch der Staats-Kunst wohl
geübet seyn müssen; Hingegen die Comö-
dianten ihre Person nicht wohl agiren kön-
nen, wenn sie nicht allerhand Verstellun-
gen anzunehmen bereit sind. Es muß ih-
nen alles natürlich, das ist, gantz ungezwun-
gen lassen, wenn es einen Eindruck in die
Gemüther machen sol. Denn wiedrigen
Falles siehet es der Wahrheit nicht ähn-
lich, und kan dadurch niemand überredet
werden, daß die Sachen so aus einander
erfolget, wie man in der Comödie und
Tragödie siehet, folgends sind die Comö-

dien

des gemeinen Weſens.
ſen oder jenen Handlungen erfolget, oder
auch aus unſerem Vergnuͤgen das gegen-
waͤrtige Mißvergnuͤgen erwachſen ſey.
Hingegen in Comoͤdien und Tragoͤdien
folget alles, was zuſammen gehoͤret, in
einer kurtzen Reihe auf einander, und laͤſ-
ſet ſich daraus der Erfolg der Handlungen
viel beſſer und leichter begreiffen, als wenn
man im menſchlichen Leben darauf acht
hat. Derowegen weil Comoͤdien und
Tragoͤdien ſo nuͤtzlich ſind; ſo hat man
auch dieſelben im gemeinen Weſen zu ver-
anlaſſen. Man begreiffet aber aus dem,
was geſaget worden, wie dergleichen Freu-
den- und Trauer-Spiele beſchaffen ſeyn
muͤſſen, und daß diejenigen, welche ſie er-
finden wollen, in den Zufaͤllen des menſch-
lichen Lebens ſehr erfahren und in der Sit-
ten-Lehre, auch der Staats-Kunſt wohl
geuͤbet ſeyn muͤſſen; Hingegen die Comoͤ-
dianten ihre Perſon nicht wohl agiren koͤn-
nen, wenn ſie nicht allerhand Verſtellun-
gen anzunehmen bereit ſind. Es muß ih-
nen alles natuͤrlich, das iſt, gantz ungezwun-
gen laſſen, wenn es einen Eindruck in die
Gemuͤther machen ſol. Denn wiedrigen
Falles ſiehet es der Wahrheit nicht aͤhn-
lich, und kan dadurch niemand uͤberredet
werden, daß die Sachen ſo aus einander
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[271/0289] des gemeinen Weſens. ſen oder jenen Handlungen erfolget, oder auch aus unſerem Vergnuͤgen das gegen- waͤrtige Mißvergnuͤgen erwachſen ſey. Hingegen in Comoͤdien und Tragoͤdien folget alles, was zuſammen gehoͤret, in einer kurtzen Reihe auf einander, und laͤſ- ſet ſich daraus der Erfolg der Handlungen viel beſſer und leichter begreiffen, als wenn man im menſchlichen Leben darauf acht hat. Derowegen weil Comoͤdien und Tragoͤdien ſo nuͤtzlich ſind; ſo hat man auch dieſelben im gemeinen Weſen zu ver- anlaſſen. Man begreiffet aber aus dem, was geſaget worden, wie dergleichen Freu- den- und Trauer-Spiele beſchaffen ſeyn muͤſſen, und daß diejenigen, welche ſie er- finden wollen, in den Zufaͤllen des menſch- lichen Lebens ſehr erfahren und in der Sit- ten-Lehre, auch der Staats-Kunſt wohl geuͤbet ſeyn muͤſſen; Hingegen die Comoͤ- dianten ihre Perſon nicht wohl agiren koͤn- nen, wenn ſie nicht allerhand Verſtellun- gen anzunehmen bereit ſind. Es muß ih- nen alles natuͤrlich, das iſt, gantz ungezwun- gen laſſen, wenn es einen Eindruck in die Gemuͤther machen ſol. Denn wiedrigen Falles ſiehet es der Wahrheit nicht aͤhn- lich, und kan dadurch niemand uͤberredet werden, daß die Sachen ſo aus einander erfolget, wie man in der Comoͤdie und Tragoͤdie ſiehet, folgends ſind die Comoͤ- dien

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/289>, abgerufen am 07.05.2024.