Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite


Boshafter Willkommen.

Jn einer kleinen Stadt wohnte ein Mathemati-
ker, der nur für seine Wissenschaft lebte, und sich
weder um große noch kleine Welthändel, noch um
irgend eine Begebenheit kümmerte, die nicht in sein
Fach schlug. Der Eigenthümer des sehr baufälligen
Hauses bemühte sich vergebens seine nähere Bekannt-
schaft zu machen; zu wiederholten Mahlen hatte frei-
lich der Gelehrte dem fast zudringlich gewordenen
Wirth einen Besuch versprochen, allein es kam nie
zur Ausführung. Eines Tages war unser Mathe-
matiker in Triangeln und Quadraten bis über die
Ohren versunken; plötzlich brach der Boden seines
Zimmers auf der Stelle, wo er saß, durch, und er
stürzte mit seinem mathematischen Apparat sehr un-
mathematisch in des Wirthes Zimmer hinab, ohne
sich bedeutend zu beschädigen. Der Wirth rief dem
Mathematikus ganz gelassen zu: (vielleicht war es
die Wirkung des Schreckens selbst) Seyn Sie mir
tausend Mahl willkommen; wenn es sich nicht so ge-
fügt hätte, würde ich wahrscheinlich der Ehre Jhres
Besuches mich noch nicht erfreut haben. Da Sie
unangemeldet gekommen sind, (es war in der Mit-
tagsstunde) so werden Sie schon vorlieb nehmen
müssen. -- Ohne sich an etwas zu kehren, fragte
ihn der Mathematiker: Haben Sie nicht gesehen,
wo mein Zirkel geblieben ist?



Boshafter Willkommen.

Jn einer kleinen Stadt wohnte ein Mathemati-
ker, der nur für ſeine Wiſſenſchaft lebte, und ſich
weder um große noch kleine Welthändel, noch um
irgend eine Begebenheit kümmerte, die nicht in ſein
Fach ſchlug. Der Eigenthümer des ſehr baufälligen
Hauſes bemühte ſich vergebens ſeine nähere Bekannt-
ſchaft zu machen; zu wiederholten Mahlen hatte frei-
lich der Gelehrte dem faſt zudringlich gewordenen
Wirth einen Beſuch verſprochen, allein es kam nie
zur Ausführung. Eines Tages war unſer Mathe-
matiker in Triangeln und Quadraten bis über die
Ohren verſunken; plötzlich brach der Boden ſeines
Zimmers auf der Stelle, wo er ſaß, durch, und er
ſtürzte mit ſeinem mathematiſchen Apparat ſehr un-
mathematiſch in des Wirthes Zimmer hinab, ohne
ſich bedeutend zu beſchädigen. Der Wirth rief dem
Mathematikus ganz gelaſſen zu: (vielleicht war es
die Wirkung des Schreckens ſelbſt) Seyn Sie mir
tauſend Mahl willkommen; wenn es ſich nicht ſo ge-
fügt hätte, würde ich wahrſcheinlich der Ehre Jhres
Beſuches mich noch nicht erfreut haben. Da Sie
unangemeldet gekommen ſind, (es war in der Mit-
tagsſtunde) ſo werden Sie ſchon vorlieb nehmen
müſſen. — Ohne ſich an etwas zu kehren, fragte
ihn der Mathematiker: Haben Sie nicht geſehen,
wo mein Zirkel geblieben iſt?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0058" n="42"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>Boshafter Willkommen.</head><lb/>
          <p>Jn einer kleinen Stadt wohnte ein Mathemati-<lb/>
ker, der nur für &#x017F;eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft lebte, und &#x017F;ich<lb/>
weder um große noch kleine Welthändel, noch um<lb/>
irgend eine Begebenheit kümmerte, die nicht in &#x017F;ein<lb/>
Fach &#x017F;chlug. Der Eigenthümer des &#x017F;ehr baufälligen<lb/>
Hau&#x017F;es bemühte &#x017F;ich vergebens &#x017F;eine nähere Bekannt-<lb/>
&#x017F;chaft zu machen; zu wiederholten Mahlen hatte frei-<lb/>
lich der Gelehrte dem fa&#x017F;t zudringlich gewordenen<lb/>
Wirth einen Be&#x017F;uch ver&#x017F;prochen, allein es kam nie<lb/>
zur Ausführung. Eines Tages war un&#x017F;er Mathe-<lb/>
matiker in Triangeln und Quadraten bis über die<lb/>
Ohren ver&#x017F;unken; plötzlich brach der Boden &#x017F;eines<lb/>
Zimmers auf der Stelle, wo er &#x017F;aß, durch, und er<lb/>
&#x017F;türzte mit &#x017F;einem mathemati&#x017F;chen Apparat &#x017F;ehr un-<lb/>
mathemati&#x017F;ch in des Wirthes Zimmer hinab, ohne<lb/>
&#x017F;ich bedeutend zu be&#x017F;chädigen. Der Wirth rief dem<lb/>
Mathematikus ganz gela&#x017F;&#x017F;en zu: (vielleicht war es<lb/>
die Wirkung des Schreckens &#x017F;elb&#x017F;t) Seyn Sie mir<lb/>
tau&#x017F;end Mahl willkommen; wenn es &#x017F;ich nicht &#x017F;o ge-<lb/>
fügt hätte, würde ich wahr&#x017F;cheinlich der Ehre Jhres<lb/>
Be&#x017F;uches mich noch nicht erfreut haben. Da Sie<lb/>
unangemeldet gekommen &#x017F;ind, (es war in der Mit-<lb/>
tags&#x017F;tunde) &#x017F;o werden Sie &#x017F;chon vorlieb nehmen<lb/>&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Ohne &#x017F;ich an etwas zu kehren, fragte<lb/>
ihn der Mathematiker: Haben Sie nicht ge&#x017F;ehen,<lb/>
wo mein Zirkel geblieben i&#x017F;t?</p>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0058] Boshafter Willkommen. Jn einer kleinen Stadt wohnte ein Mathemati- ker, der nur für ſeine Wiſſenſchaft lebte, und ſich weder um große noch kleine Welthändel, noch um irgend eine Begebenheit kümmerte, die nicht in ſein Fach ſchlug. Der Eigenthümer des ſehr baufälligen Hauſes bemühte ſich vergebens ſeine nähere Bekannt- ſchaft zu machen; zu wiederholten Mahlen hatte frei- lich der Gelehrte dem faſt zudringlich gewordenen Wirth einen Beſuch verſprochen, allein es kam nie zur Ausführung. Eines Tages war unſer Mathe- matiker in Triangeln und Quadraten bis über die Ohren verſunken; plötzlich brach der Boden ſeines Zimmers auf der Stelle, wo er ſaß, durch, und er ſtürzte mit ſeinem mathematiſchen Apparat ſehr un- mathematiſch in des Wirthes Zimmer hinab, ohne ſich bedeutend zu beſchädigen. Der Wirth rief dem Mathematikus ganz gelaſſen zu: (vielleicht war es die Wirkung des Schreckens ſelbſt) Seyn Sie mir tauſend Mahl willkommen; wenn es ſich nicht ſo ge- fügt hätte, würde ich wahrſcheinlich der Ehre Jhres Beſuches mich noch nicht erfreut haben. Da Sie unangemeldet gekommen ſind, (es war in der Mit- tagsſtunde) ſo werden Sie ſchon vorlieb nehmen müſſen. — Ohne ſich an etwas zu kehren, fragte ihn der Mathematiker: Haben Sie nicht geſehen, wo mein Zirkel geblieben iſt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824/58
Zitationshilfe: Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824/58>, abgerufen am 05.05.2024.