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Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 1. Neustadt, 1832.

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Fülle des Segens ausgeschüttet; aber das deutsche Vaterland liegt ver-
ödet. Gärten für Obst, für Wein, für Brodfrüchte, grünende Wiesen
und Anlagen prangender Lust haben deutsche Hände geschaffen; aber brach
liegt der Boden des Vaterlandes. Sinnreich raffinirt der Erwerb, wie
er den Baum, wie er den Weinstock veredle, wie er den Waizenhalm
schießen und gewichtig laden mache, wie er den Wasserfluten den Raub
entziehe, wie er den wildesten Berg umschaffe zu fruchtbarem Ertrag --
aber die Fluren des Vaterlandes stehen verlassen, Dörner und Disteln
wuchern, Uhus herrschen als Adler, Büffel spielen die Löwen, und
kriechendes Gewürm, Volk genannt, schleicht und windet sich auf der
Erde, zahllos sich vervielfältigend und jenen Raubthieren zum üppigen
Fraß dienend. Geschäftig forscht und brütet der Geist der Erfindung,
der Entdeckung, des Betriebs, wie er aus dem Leib der Erde die Metalle
herauf hole zu Werkzeugen der Arbeit, des Gewinns und ach! unsrer
Bedrückung; aber das edlere Metall der Vaterlandsliebe ruht verschüttet.
Der sinnende Geist errichtet Eisenbahnen und baut Dampfschiffe, das
enge Comptoir zum Weltmarkt erweiternd, Land mit Land und
Volk mit Volk zu gegenseitigem Wucher verknüpfend: aber der Bürger
bleibt fremde dem Bürger, und engherzig verkrüppelt er am Rechentisch,
im spießbürgerlichen Puppenspiel, oder am kühnen Wagestück eines --
Schleichhandels. Wir widmen unser Leben der Wissenschaft und der
Kunst, wir messen die Sterne, prüfen Mond und Sonne, wir stellen
Gott und Mensch, Höll' und Himmel in poetischen Bildern dar, wir
durchwühlen die Körper- und Geisterwelt: aber die Regungen der Va-
terlandsliebe sind uns unbekannt, die Erforschung dessen, was dem Vater-
lande Noth thut, ist Hochverrath, selbst der leise Wunsch, nur erst wieder
ein Vaterland, eine frei-menschliche Heimath zu erstreben, ist Verbrechen.
Wir helfen Griechenland befreien vom türkischen Joche, wir trinken auf
Polens Wiedererstehung, wir zürnen wenn der Despotism der Könige
den Schwung der Völker in Spanien, in Italien, in Frankreich lähmt,
wir blicken ängstlich nach der Reformbill Englands, wir preisen die Kraft
und die Weisheit des Sultans, der sich mit der Wiedergeburt seiner
Völker beschäftigt, wir beneiden den Nordamerikaner um sein glückliches
Loos, das er sich muthvoll selbst erschaffen: aber knechtisch beugen wir
den Nacken unter das Joch der eigenen Dränger; wenn der Despotism
auszieht zu fremder Unterdrückung, bieten wir noch unsern Arm und un-
sere Habe; die eigene Reformbill entsinkt unsern ohnmächtigen Händen,
die der Sturz Warschau's in's Zittern gebracht, die Wiedergeburt Deutsch-
lands gilt uns als ein nichtiger Traum, und o! wie möchten wir fähig

Fülle des Segens ausgeſchüttet; aber das deutſche Vaterland liegt ver-
ödet. Gärten für Obſt, für Wein, für Brodfrüchte, grünende Wieſen
und Anlagen prangender Luſt haben deutſche Hände geſchaffen; aber brach
liegt der Boden des Vaterlandes. Sinnreich raffinirt der Erwerb, wie
er den Baum, wie er den Weinſtock veredle, wie er den Waizenhalm
ſchießen und gewichtig laden mache, wie er den Waſſerfluten den Raub
entziehe, wie er den wildeſten Berg umſchaffe zu fruchtbarem Ertrag —
aber die Fluren des Vaterlandes ſtehen verlaſſen, Dörner und Diſteln
wuchern, Uhus herrſchen als Adler, Büffel ſpielen die Löwen, und
kriechendes Gewürm, Volk genannt, ſchleicht und windet ſich auf der
Erde, zahllos ſich vervielfältigend und jenen Raubthieren zum üppigen
Fraß dienend. Geſchäftig forſcht und brütet der Geiſt der Erfindung,
der Entdeckung, des Betriebs, wie er aus dem Leib der Erde die Metalle
herauf hole zu Werkzeugen der Arbeit, des Gewinns und ach! unſrer
Bedrückung; aber das edlere Metall der Vaterlandsliebe ruht verſchüttet.
Der ſinnende Geiſt errichtet Eiſenbahnen und baut Dampfſchiffe, das
enge Comptoir zum Weltmarkt erweiternd, Land mit Land und
Volk mit Volk zu gegenſeitigem Wucher verknüpfend: aber der Bürger
bleibt fremde dem Bürger, und engherzig verkrüppelt er am Rechentiſch,
im ſpießbürgerlichen Puppenſpiel, oder am kühnen Wageſtück eines —
Schleichhandels. Wir widmen unſer Leben der Wiſſenſchaft und der
Kunſt, wir meſſen die Sterne, prüfen Mond und Sonne, wir ſtellen
Gott und Menſch, Höll’ und Himmel in poetiſchen Bildern dar, wir
durchwühlen die Körper- und Geiſterwelt: aber die Regungen der Va-
terlandsliebe ſind uns unbekannt, die Erforſchung deſſen, was dem Vater-
lande Noth thut, iſt Hochverrath, ſelbſt der leiſe Wunſch, nur erſt wieder
ein Vaterland, eine frei-menſchliche Heimath zu erſtreben, iſt Verbrechen.
Wir helfen Griechenland befreien vom türkiſchen Joche, wir trinken auf
Polens Wiedererſtehung, wir zürnen wenn der Despotism der Könige
den Schwung der Völker in Spanien, in Italien, in Frankreich lähmt,
wir blicken ängſtlich nach der Reformbill Englands, wir preiſen die Kraft
und die Weisheit des Sultans, der ſich mit der Wiedergeburt ſeiner
Völker beſchäftigt, wir beneiden den Nordamerikaner um ſein glückliches
Loos, das er ſich muthvoll ſelbſt erſchaffen: aber knechtiſch beugen wir
den Nacken unter das Joch der eigenen Dränger; wenn der Despotism
auszieht zu fremder Unterdrückung, bieten wir noch unſern Arm und un-
ſere Habe; die eigene Reformbill entſinkt unſern ohnmächtigen Händen,
die der Sturz Warſchau’s in’s Zittern gebracht, die Wiedergeburt Deutſch-
lands gilt uns als ein nichtiger Traum, und o! wie möchten wir fähig

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[34/0042] Fülle des Segens ausgeſchüttet; aber das deutſche Vaterland liegt ver- ödet. Gärten für Obſt, für Wein, für Brodfrüchte, grünende Wieſen und Anlagen prangender Luſt haben deutſche Hände geſchaffen; aber brach liegt der Boden des Vaterlandes. Sinnreich raffinirt der Erwerb, wie er den Baum, wie er den Weinſtock veredle, wie er den Waizenhalm ſchießen und gewichtig laden mache, wie er den Waſſerfluten den Raub entziehe, wie er den wildeſten Berg umſchaffe zu fruchtbarem Ertrag — aber die Fluren des Vaterlandes ſtehen verlaſſen, Dörner und Diſteln wuchern, Uhus herrſchen als Adler, Büffel ſpielen die Löwen, und kriechendes Gewürm, Volk genannt, ſchleicht und windet ſich auf der Erde, zahllos ſich vervielfältigend und jenen Raubthieren zum üppigen Fraß dienend. Geſchäftig forſcht und brütet der Geiſt der Erfindung, der Entdeckung, des Betriebs, wie er aus dem Leib der Erde die Metalle herauf hole zu Werkzeugen der Arbeit, des Gewinns und ach! unſrer Bedrückung; aber das edlere Metall der Vaterlandsliebe ruht verſchüttet. Der ſinnende Geiſt errichtet Eiſenbahnen und baut Dampfſchiffe, das enge Comptoir zum Weltmarkt erweiternd, Land mit Land und Volk mit Volk zu gegenſeitigem Wucher verknüpfend: aber der Bürger bleibt fremde dem Bürger, und engherzig verkrüppelt er am Rechentiſch, im ſpießbürgerlichen Puppenſpiel, oder am kühnen Wageſtück eines — Schleichhandels. Wir widmen unſer Leben der Wiſſenſchaft und der Kunſt, wir meſſen die Sterne, prüfen Mond und Sonne, wir ſtellen Gott und Menſch, Höll’ und Himmel in poetiſchen Bildern dar, wir durchwühlen die Körper- und Geiſterwelt: aber die Regungen der Va- terlandsliebe ſind uns unbekannt, die Erforſchung deſſen, was dem Vater- lande Noth thut, iſt Hochverrath, ſelbſt der leiſe Wunſch, nur erſt wieder ein Vaterland, eine frei-menſchliche Heimath zu erſtreben, iſt Verbrechen. Wir helfen Griechenland befreien vom türkiſchen Joche, wir trinken auf Polens Wiedererſtehung, wir zürnen wenn der Despotism der Könige den Schwung der Völker in Spanien, in Italien, in Frankreich lähmt, wir blicken ängſtlich nach der Reformbill Englands, wir preiſen die Kraft und die Weisheit des Sultans, der ſich mit der Wiedergeburt ſeiner Völker beſchäftigt, wir beneiden den Nordamerikaner um ſein glückliches Loos, das er ſich muthvoll ſelbſt erſchaffen: aber knechtiſch beugen wir den Nacken unter das Joch der eigenen Dränger; wenn der Despotism auszieht zu fremder Unterdrückung, bieten wir noch unſern Arm und un- ſere Habe; die eigene Reformbill entſinkt unſern ohnmächtigen Händen, die der Sturz Warſchau’s in’s Zittern gebracht, die Wiedergeburt Deutſch- lands gilt uns als ein nichtiger Traum, und o! wie möchten wir fähig

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Zitationshilfe: Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 1. Neustadt, 1832, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest01_1832/42>, abgerufen am 26.11.2024.