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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
D.
Von den Ge-
mälden in den
Grabmälern
bey Corneto.

Von den Gemälden, welche in den Gräbern bey Corneto, ohnweit
Civitavecchia, waren, finden sich einige in Kupfer gestochen angegeben 1);
itzo aber ist von denselben nichts mehr zu sehen, außer einer Spur von einer
Weiblichen Figur in Lebensgröße, weche einen Kranz um den Kopf hat.
Einige hat die Luft verzehret, nachdem man ein Grab eröffnet, andere sind
mit der Hacke abgehauen worden, in der Meynung, etwa hinter dem Ge-
mälde einen Schatz zu finden. In dieser Gegend, die von den alten He-
truriern, welche Tarquinier hießen, bewohnet wurde, sind viele tausend
Hügel, welches eben so viel Gräber sind, in Stein, welcher ein Tufo ist,
gehauen: der Eingang zu denselben ist verschüttet, und es ist nicht zu zwei-
feln, wenn jemand die Kosten auf Eröffnung einiger derselben verwenden
wollte, daß man nicht allein Hetrurische Inschriften, sondern auch Gemäl-
de auf den übertragenen Mauern finden würde.

E.
Beschreibung
der Gemälde,
welche neulich
außer Rom
an einem noch
unbekannten
Orte gefunden
worden.

Nachdem man in langer Zeit keine alte völlig erhaltene Gemälde in
und um Rom entdecket hatte, und wenig Hoffnung darzu übrig schien,
kam im September des 1760. Jahres ein Gemälde zum Vorschein, des-
gleichen niemals noch bisher gesehen worden, und welches die Herculani-
schen Gemälde, die damals bekannt waren, so gar verdunkelt. Es ist ein
sitzender Jupiter, mit Lorbeer gekrönet, (zu Elis hatte er einen Kranz von
Blumen 2) im Begriffe, den Ganymedes zu küssen, welcher ihm mit der rechten
Hand eine Schaale, mit erhobener Arbeit gezieret, vorhält, und in der linken
ein Gefäß, woraus er den Göttern Ambrosia reichete. Das Gemälde ist
acht Palme hoch, und sechs breit, und beyde Figuren sind in Lebensgröße,
Ganymedes in der Größe eines sechzehenjährigen Alters. Dieser ist ganz
nackend, und Jupiter bis auf den Unterleib, welcher mit einem weißen Ge-
wande bedecket ist; die Füße hält derselbe auf einem Fußschemmel. Der
Liebling des Jupiters ist ohne Zweifel eine der allerschönsten Figuren, die
aus dem Alterthume übrig sind, und mit dem Gesichte desselben finde

ich
1) Dempster. Etrur. tab. 88.
2) Pausan. L. 5. p. 439. l. 12.
I Theil. Viertes Capitel.
D.
Von den Ge-
maͤlden in den
Grabmaͤlern
bey Corneto.

Von den Gemaͤlden, welche in den Graͤbern bey Corneto, ohnweit
Civitavecchia, waren, finden ſich einige in Kupfer geſtochen angegeben 1);
itzo aber iſt von denſelben nichts mehr zu ſehen, außer einer Spur von einer
Weiblichen Figur in Lebensgroͤße, weche einen Kranz um den Kopf hat.
Einige hat die Luft verzehret, nachdem man ein Grab eroͤffnet, andere ſind
mit der Hacke abgehauen worden, in der Meynung, etwa hinter dem Ge-
maͤlde einen Schatz zu finden. In dieſer Gegend, die von den alten He-
truriern, welche Tarquinier hießen, bewohnet wurde, ſind viele tauſend
Huͤgel, welches eben ſo viel Graͤber ſind, in Stein, welcher ein Tufo iſt,
gehauen: der Eingang zu denſelben iſt verſchuͤttet, und es iſt nicht zu zwei-
feln, wenn jemand die Koſten auf Eroͤffnung einiger derſelben verwenden
wollte, daß man nicht allein Hetruriſche Inſchriften, ſondern auch Gemaͤl-
de auf den uͤbertragenen Mauern finden wuͤrde.

E.
Beſchreibung
der Gemaͤlde,
welche neulich
außer Rom
an einem noch
unbekannten
Orte gefunden
worden.

Nachdem man in langer Zeit keine alte voͤllig erhaltene Gemaͤlde in
und um Rom entdecket hatte, und wenig Hoffnung darzu uͤbrig ſchien,
kam im September des 1760. Jahres ein Gemaͤlde zum Vorſchein, des-
gleichen niemals noch bisher geſehen worden, und welches die Herculani-
ſchen Gemaͤlde, die damals bekannt waren, ſo gar verdunkelt. Es iſt ein
ſitzender Jupiter, mit Lorbeer gekroͤnet, (zu Elis hatte er einen Kranz von
Blumen 2) im Begriffe, den Ganymedes zu kuͤſſen, welcher ihm mit der rechten
Hand eine Schaale, mit erhobener Arbeit gezieret, vorhaͤlt, und in der linken
ein Gefaͤß, woraus er den Goͤttern Ambroſia reichete. Das Gemaͤlde iſt
acht Palme hoch, und ſechs breit, und beyde Figuren ſind in Lebensgroͤße,
Ganymedes in der Groͤße eines ſechzehenjaͤhrigen Alters. Dieſer iſt ganz
nackend, und Jupiter bis auf den Unterleib, welcher mit einem weißen Ge-
wande bedecket iſt; die Fuͤße haͤlt derſelbe auf einem Fußſchemmel. Der
Liebling des Jupiters iſt ohne Zweifel eine der allerſchoͤnſten Figuren, die
aus dem Alterthume uͤbrig ſind, und mit dem Geſichte deſſelben finde

ich
1) Dempſter. Etrur. tab. 88.
2) Pauſan. L. 5. p. 439. l. 12.
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[276/0326] I Theil. Viertes Capitel. Von den Gemaͤlden, welche in den Graͤbern bey Corneto, ohnweit Civitavecchia, waren, finden ſich einige in Kupfer geſtochen angegeben 1); itzo aber iſt von denſelben nichts mehr zu ſehen, außer einer Spur von einer Weiblichen Figur in Lebensgroͤße, weche einen Kranz um den Kopf hat. Einige hat die Luft verzehret, nachdem man ein Grab eroͤffnet, andere ſind mit der Hacke abgehauen worden, in der Meynung, etwa hinter dem Ge- maͤlde einen Schatz zu finden. In dieſer Gegend, die von den alten He- truriern, welche Tarquinier hießen, bewohnet wurde, ſind viele tauſend Huͤgel, welches eben ſo viel Graͤber ſind, in Stein, welcher ein Tufo iſt, gehauen: der Eingang zu denſelben iſt verſchuͤttet, und es iſt nicht zu zwei- feln, wenn jemand die Koſten auf Eroͤffnung einiger derſelben verwenden wollte, daß man nicht allein Hetruriſche Inſchriften, ſondern auch Gemaͤl- de auf den uͤbertragenen Mauern finden wuͤrde. Nachdem man in langer Zeit keine alte voͤllig erhaltene Gemaͤlde in und um Rom entdecket hatte, und wenig Hoffnung darzu uͤbrig ſchien, kam im September des 1760. Jahres ein Gemaͤlde zum Vorſchein, des- gleichen niemals noch bisher geſehen worden, und welches die Herculani- ſchen Gemaͤlde, die damals bekannt waren, ſo gar verdunkelt. Es iſt ein ſitzender Jupiter, mit Lorbeer gekroͤnet, (zu Elis hatte er einen Kranz von Blumen 2) im Begriffe, den Ganymedes zu kuͤſſen, welcher ihm mit der rechten Hand eine Schaale, mit erhobener Arbeit gezieret, vorhaͤlt, und in der linken ein Gefaͤß, woraus er den Goͤttern Ambroſia reichete. Das Gemaͤlde iſt acht Palme hoch, und ſechs breit, und beyde Figuren ſind in Lebensgroͤße, Ganymedes in der Groͤße eines ſechzehenjaͤhrigen Alters. Dieſer iſt ganz nackend, und Jupiter bis auf den Unterleib, welcher mit einem weißen Ge- wande bedecket iſt; die Fuͤße haͤlt derſelbe auf einem Fußſchemmel. Der Liebling des Jupiters iſt ohne Zweifel eine der allerſchoͤnſten Figuren, die aus dem Alterthume uͤbrig ſind, und mit dem Geſichte deſſelben finde ich 1) Dempſter. Etrur. tab. 88. 2) Pauſan. L. 5. p. 439. l. 12.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/326>, abgerufen am 22.11.2024.