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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
ken sich mit Pferdeköpfen endigen, und fünf Zolle lang ist. Und vielleicht
ist das Instrument, das Erato in diesem Museo in der Hand hält 1),
kein Plectrum, sondern ein Instrument zum Stimmen: denn es hat das-
selbe zween Haaken, die sich aber einwerts krümmen: das Plectrum
war nicht nöthig, da sie mit der linken Hand den Psalter schlägt. Die
Harfe hat sieben Wirbel auf der Walze stehen, welche antux khordan
hieß 2), und also eben so viel Sayten. Zwischen ihnen sitzet ein Flöthen-
spieler, in weiß gekleidet, welcher zwo gerade Flöthen, von einem halben
Palm in der Länge, zugleich bläst 3), die in den Mund durch eine Binde
gehen, welche somion hieß, und über die Ohren hinterwerts gebunden
wurde: an den Flöthen sind verschiedene Einschnitte angedeutet, welche
eben so viel Stücke anzeigen. Die Stücke der Flöthen aus Knochen in
diesem Museo haben keine Einfügungen, (hier fehlet mir das deutsche Wort)
und müssen also auf ein ander Rohr, oder Scheide, gezogen und gestecket
werden: dieses Rohr war von Metall, oder von ausgebohrtem Holze, wie
es sich hier in zwey Stücken von Flöthen versteinert angesetzt erhalten hat,
und in dem Museo zu Cortona ist eine alte Flöthe von Elfenbein, deren
Stücke auf ein silbernes Rohr gezogen sind. Hinter der ersten Figur ste-
hen zwo Männliche Figuren in Mäntel eingewickelt, unter welchen der
vorderste Meergrün ist. Die Haare der Männlichen so wohl, als der
Weiblichen Figuren, sind braun. Diese Farbe der Haare aber giebt keine
Regel: auf den Gemälden, welche Philostratus beschreibet, hatten Hia-
cynthus und Panthia schwarze Haare, wie sie auch die Liebste des Ana-
creons haben sollte: Narcissus hingegen und Antilochus hatten dieselben

blond.
1) Pitt. d' Ercol. T. 2. tav. 6.
2) Eurip. Hippolyt. v. 1135.
3) Zwo lange gerade Flöthen waren vermuthlich diejenigen, welche Dorische hießen, und
Phrygische müssen seyn, wo von beyden eine krumm ist: denn auf allen erhobenen
Arbeiten, welche die Cybele angehen, sieht man zwo Flöthen von dieser letzten Art,
welches diejenigen, welche besonders von Flöthen geschrieben, (Meursius, Bartholinus)
nicht bemerket haben.

I Theil. Viertes Capitel.
ken ſich mit Pferdekoͤpfen endigen, und fuͤnf Zolle lang iſt. Und vielleicht
iſt das Inſtrument, das Erato in dieſem Muſeo in der Hand haͤlt 1),
kein Plectrum, ſondern ein Inſtrument zum Stimmen: denn es hat daſ-
ſelbe zween Haaken, die ſich aber einwerts kruͤmmen: das Plectrum
war nicht noͤthig, da ſie mit der linken Hand den Pſalter ſchlaͤgt. Die
Harfe hat ſieben Wirbel auf der Walze ſtehen, welche ἄντυξ χορδᾶν
hieß 2), und alſo eben ſo viel Sayten. Zwiſchen ihnen ſitzet ein Floͤthen-
ſpieler, in weiß gekleidet, welcher zwo gerade Floͤthen, von einem halben
Palm in der Laͤnge, zugleich blaͤſt 3), die in den Mund durch eine Binde
gehen, welche ςομιον hieß, und uͤber die Ohren hinterwerts gebunden
wurde: an den Floͤthen ſind verſchiedene Einſchnitte angedeutet, welche
eben ſo viel Stuͤcke anzeigen. Die Stuͤcke der Floͤthen aus Knochen in
dieſem Muſeo haben keine Einfuͤgungen, (hier fehlet mir das deutſche Wort)
und muͤſſen alſo auf ein ander Rohr, oder Scheide, gezogen und geſtecket
werden: dieſes Rohr war von Metall, oder von ausgebohrtem Holze, wie
es ſich hier in zwey Stuͤcken von Floͤthen verſteinert angeſetzt erhalten hat,
und in dem Muſeo zu Cortona iſt eine alte Floͤthe von Elfenbein, deren
Stuͤcke auf ein ſilbernes Rohr gezogen ſind. Hinter der erſten Figur ſte-
hen zwo Maͤnnliche Figuren in Maͤntel eingewickelt, unter welchen der
vorderſte Meergruͤn iſt. Die Haare der Maͤnnlichen ſo wohl, als der
Weiblichen Figuren, ſind braun. Dieſe Farbe der Haare aber giebt keine
Regel: auf den Gemaͤlden, welche Philoſtratus beſchreibet, hatten Hia-
cynthus und Panthia ſchwarze Haare, wie ſie auch die Liebſte des Ana-
creons haben ſollte: Narciſſus hingegen und Antilochus hatten dieſelben

blond.
1) Pitt. d’ Ercol. T. 2. tav. 6.
2) Eurip. Hippolyt. v. 1135.
3) Zwo lange gerade Floͤthen waren vermuthlich diejenigen, welche Doriſche hießen, und
Phrygiſche muͤſſen ſeyn, wo von beyden eine krumm iſt: denn auf allen erhobenen
Arbeiten, welche die Cybele angehen, ſieht man zwo Floͤthen von dieſer letzten Art,
welches diejenigen, welche beſonders von Floͤthen geſchrieben, (Meurſius, Bartholinus)
nicht bemerket haben.
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[274/0324] I Theil. Viertes Capitel. ken ſich mit Pferdekoͤpfen endigen, und fuͤnf Zolle lang iſt. Und vielleicht iſt das Inſtrument, das Erato in dieſem Muſeo in der Hand haͤlt 1), kein Plectrum, ſondern ein Inſtrument zum Stimmen: denn es hat daſ- ſelbe zween Haaken, die ſich aber einwerts kruͤmmen: das Plectrum war nicht noͤthig, da ſie mit der linken Hand den Pſalter ſchlaͤgt. Die Harfe hat ſieben Wirbel auf der Walze ſtehen, welche ἄντυξ χορδᾶν hieß 2), und alſo eben ſo viel Sayten. Zwiſchen ihnen ſitzet ein Floͤthen- ſpieler, in weiß gekleidet, welcher zwo gerade Floͤthen, von einem halben Palm in der Laͤnge, zugleich blaͤſt 3), die in den Mund durch eine Binde gehen, welche ςομιον hieß, und uͤber die Ohren hinterwerts gebunden wurde: an den Floͤthen ſind verſchiedene Einſchnitte angedeutet, welche eben ſo viel Stuͤcke anzeigen. Die Stuͤcke der Floͤthen aus Knochen in dieſem Muſeo haben keine Einfuͤgungen, (hier fehlet mir das deutſche Wort) und muͤſſen alſo auf ein ander Rohr, oder Scheide, gezogen und geſtecket werden: dieſes Rohr war von Metall, oder von ausgebohrtem Holze, wie es ſich hier in zwey Stuͤcken von Floͤthen verſteinert angeſetzt erhalten hat, und in dem Muſeo zu Cortona iſt eine alte Floͤthe von Elfenbein, deren Stuͤcke auf ein ſilbernes Rohr gezogen ſind. Hinter der erſten Figur ſte- hen zwo Maͤnnliche Figuren in Maͤntel eingewickelt, unter welchen der vorderſte Meergruͤn iſt. Die Haare der Maͤnnlichen ſo wohl, als der Weiblichen Figuren, ſind braun. Dieſe Farbe der Haare aber giebt keine Regel: auf den Gemaͤlden, welche Philoſtratus beſchreibet, hatten Hia- cynthus und Panthia ſchwarze Haare, wie ſie auch die Liebſte des Ana- creons haben ſollte: Narciſſus hingegen und Antilochus hatten dieſelben blond. 1) Pitt. d’ Ercol. T. 2. tav. 6. 2) Eurip. Hippolyt. v. 1135. 3) Zwo lange gerade Floͤthen waren vermuthlich diejenigen, welche Doriſche hießen, und Phrygiſche muͤſſen ſeyn, wo von beyden eine krumm iſt: denn auf allen erhobenen Arbeiten, welche die Cybele angehen, ſieht man zwo Floͤthen von dieſer letzten Art, welches diejenigen, welche beſonders von Floͤthen geſchrieben, (Meurſius, Bartholinus) nicht bemerket haben.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/324>, abgerufen am 22.11.2024.