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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
keln, und zwar von Glas, welches die Durchsichtigkeit und die Farbe
anzeigen.

Das zweyte Gemälde scheinet einen Tragischen Poeten vorzustellen, wel-
cher sitzet, mit vorwerts gewandtem Gesichte, und in einem langen weißen
Rocke bis auf die Füße, wie ihn die Personen des Trauerspiels trugen 1),
mit engen Ermeln bis an die Knöchel der Hand. Es zeiget derselbe ein
Alter etwa von funfzig Jahren, und ist ohne Bart 2). Unter der Brust
liegt ihm eine gelbe Binde, von der Breite des kleinen Fingers, welches eine
Deutung auf die Tragische Muse haben kann, die mehrentheils einen brei-
teren Gürtel, als andere Musen, hat; wie im zweyten Stücke dieses Capi-
tels angezeiget worden. Mit der Rechten hält er einen stehenden langen
Stab, in der Länge eines Spießes, (hasta pura) woran oben ein Beschlag,
eines Fingers breit, mit gelb angedeutet ist, so wie ihn Homerus auf sei-
ner Vergötterung hält 3). Mit der linken Hand hat er einen Degen ge-
fasset, welcher ihm quer über den Schenkeln liegt, die mit einem rothen Tu-
che, aber von colore cangiante, bedecket sind, welches zugleich über das
Gesäß des Stuhls herunter fällt; das Geheng des Degens ist grün. Der

Degen
1) Lucian. Jupit. Tragoed. p. 151. l. 28. ed. Graev.
2) Es ist nicht zu sagen, welcher von den Griechischen berühmten Verfassern der Trauer-
spiele hier vorgestellet sey. Denn Sophocles und Euripides haben den Bart, und
auch Aeschylus ist bärtig auf einem Steine des Stoßischen Musei a), wo ihm ein
Adler eine Schildkröte auf den Kopf fallen läßt, woran er starb.
3) An der beschädigten sitzenden Figur des Euripides, mit dessen Namen, auf der Villa Al-
bani, zeigten sich die Spuren von einem solchen langen Stabe, und die erhabene Wen-
dung des verstümmelten Arms bekräftigte dieses. Die Comici haben einen kurzen
krummen Stab, lagobolos genannt, d. i. "womit man nach Hasen wirft," und
einen solchen Stab hat insgemein die Comische Muse Thalia. Man könnte dem Eu-
ripides, so wie andern Tragicis, auch einen Thyrsus in die Hand geben, nach der
Inschrift auf diesen Dichter b):
-- -- -- en gar idethai,
Oia te ton thumelesin en Atthisi thursa tinasson.

a)Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 417. n. 51.
b)Anthol. L. 5. p. 225. b.

Von der Kunſt unter den Griechen.
keln, und zwar von Glas, welches die Durchſichtigkeit und die Farbe
anzeigen.

Das zweyte Gemaͤlde ſcheinet einen Tragiſchen Poeten vorzuſtellen, wel-
cher ſitzet, mit vorwerts gewandtem Geſichte, und in einem langen weißen
Rocke bis auf die Fuͤße, wie ihn die Perſonen des Trauerſpiels trugen 1),
mit engen Ermeln bis an die Knoͤchel der Hand. Es zeiget derſelbe ein
Alter etwa von funfzig Jahren, und iſt ohne Bart 2). Unter der Bruſt
liegt ihm eine gelbe Binde, von der Breite des kleinen Fingers, welches eine
Deutung auf die Tragiſche Muſe haben kann, die mehrentheils einen brei-
teren Guͤrtel, als andere Muſen, hat; wie im zweyten Stuͤcke dieſes Capi-
tels angezeiget worden. Mit der Rechten haͤlt er einen ſtehenden langen
Stab, in der Laͤnge eines Spießes, (haſta pura) woran oben ein Beſchlag,
eines Fingers breit, mit gelb angedeutet iſt, ſo wie ihn Homerus auf ſei-
ner Vergoͤtterung haͤlt 3). Mit der linken Hand hat er einen Degen ge-
faſſet, welcher ihm quer uͤber den Schenkeln liegt, die mit einem rothen Tu-
che, aber von colore cangiante, bedecket ſind, welches zugleich uͤber das
Geſaͤß des Stuhls herunter faͤllt; das Geheng des Degens iſt gruͤn. Der

Degen
1) Lucian. Jupit. Tragoed. p. 151. l. 28. ed. Graev.
2) Es iſt nicht zu ſagen, welcher von den Griechiſchen beruͤhmten Verfaſſern der Trauer-
ſpiele hier vorgeſtellet ſey. Denn Sophocles und Euripides haben den Bart, und
auch Aeſchylus iſt baͤrtig auf einem Steine des Stoßiſchen Muſei a), wo ihm ein
Adler eine Schildkroͤte auf den Kopf fallen laͤßt, woran er ſtarb.
3) An der beſchaͤdigten ſitzenden Figur des Euripides, mit deſſen Namen, auf der Villa Al-
bani, zeigten ſich die Spuren von einem ſolchen langen Stabe, und die erhabene Wen-
dung des verſtuͤmmelten Arms bekraͤftigte dieſes. Die Comici haben einen kurzen
krummen Stab, λαγώβολος genannt, d. i. „womit man nach Haſen wirft,“ und
einen ſolchen Stab hat insgemein die Comiſche Muſe Thalia. Man koͤnnte dem Eu-
ripides, ſo wie andern Tragicis, auch einen Thyrſus in die Hand geben, nach der
Inſchrift auf dieſen Dichter b):
— — — ἦν γὰρ ἰδέϑαι,
Οἷά τέ τον ϑυμέλῃσιν ἐν Ἀτϑἰσι ϑύρσα τινάσσων.

a)Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 417. n. 51.
b)Anthol. L. 5. p. 225. b.
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[271/0321] Von der Kunſt unter den Griechen. keln, und zwar von Glas, welches die Durchſichtigkeit und die Farbe anzeigen. Das zweyte Gemaͤlde ſcheinet einen Tragiſchen Poeten vorzuſtellen, wel- cher ſitzet, mit vorwerts gewandtem Geſichte, und in einem langen weißen Rocke bis auf die Fuͤße, wie ihn die Perſonen des Trauerſpiels trugen 1), mit engen Ermeln bis an die Knoͤchel der Hand. Es zeiget derſelbe ein Alter etwa von funfzig Jahren, und iſt ohne Bart 2). Unter der Bruſt liegt ihm eine gelbe Binde, von der Breite des kleinen Fingers, welches eine Deutung auf die Tragiſche Muſe haben kann, die mehrentheils einen brei- teren Guͤrtel, als andere Muſen, hat; wie im zweyten Stuͤcke dieſes Capi- tels angezeiget worden. Mit der Rechten haͤlt er einen ſtehenden langen Stab, in der Laͤnge eines Spießes, (haſta pura) woran oben ein Beſchlag, eines Fingers breit, mit gelb angedeutet iſt, ſo wie ihn Homerus auf ſei- ner Vergoͤtterung haͤlt 3). Mit der linken Hand hat er einen Degen ge- faſſet, welcher ihm quer uͤber den Schenkeln liegt, die mit einem rothen Tu- che, aber von colore cangiante, bedecket ſind, welches zugleich uͤber das Geſaͤß des Stuhls herunter faͤllt; das Geheng des Degens iſt gruͤn. Der Degen 1) Lucian. Jupit. Tragoed. p. 151. l. 28. ed. Graev. 2) Es iſt nicht zu ſagen, welcher von den Griechiſchen beruͤhmten Verfaſſern der Trauer- ſpiele hier vorgeſtellet ſey. Denn Sophocles und Euripides haben den Bart, und auch Aeſchylus iſt baͤrtig auf einem Steine des Stoßiſchen Muſei a), wo ihm ein Adler eine Schildkroͤte auf den Kopf fallen laͤßt, woran er ſtarb. 3) An der beſchaͤdigten ſitzenden Figur des Euripides, mit deſſen Namen, auf der Villa Al- bani, zeigten ſich die Spuren von einem ſolchen langen Stabe, und die erhabene Wen- dung des verſtuͤmmelten Arms bekraͤftigte dieſes. Die Comici haben einen kurzen krummen Stab, λαγώβολος genannt, d. i. „womit man nach Haſen wirft,“ und einen ſolchen Stab hat insgemein die Comiſche Muſe Thalia. Man koͤnnte dem Eu- ripides, ſo wie andern Tragicis, auch einen Thyrſus in die Hand geben, nach der Inſchrift auf dieſen Dichter b): — — — ἦν γὰρ ἰδέϑαι, Οἷά τέ τον ϑυμέλῃσιν ἐν Ἀτϑἰσι ϑύρσα τινάσσων. a)Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 417. n. 51. b)Anthol. L. 5. p. 225. b.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/321>, abgerufen am 25.11.2024.