Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.I Theil. Viertes Capitel. Spartaner waren in Streit über die Stadt Thyrea, und machten aufbeyden Seiten von jeder Nation dreyhundert Mann aus, die gegen einan- der fechten sollte, um ein allgemeines Blutvergießen zu verhindern. Diese Sechshundert Mann blieben alle auf dem Platze, außer zween von den Argivern, und von den Spartanern dem einzigen Othryades, welcher, so tödtlich verwundet er war, alle Kräfte sammlete, und von den Waffen der Argiver eine Art eines Siegeszeichens zusammenlegte. Auf einem von den Schildern deutete er den Sieg auf Seiten der Spartaner mit seinem Blute an. Dieser Krieg geschah ohngefähr zur Zeit des Croesus. Die Scribenten, unter welchen Herodotus der erste ist 1), sind verschieden in Er- zehlung dieser merkwürdigen Begebenheit; zu dieser Untersuchung aber ist hier nicht der Ort. Die Arbeit des Steins ist mit Fleiß ausgeführet, und es fehlet den Figuren nicht an Ausdruck: die Zeichnung derselben aber ist steif und platt, die Stellung gezwungen und ohne Gratie. Wenn wir betrachten, daß keiner von andern Helden des Alterthums, deren Tod merkwürdig ist, auf gleiche Weise sein Leben geendiget, und daß des Othrya- des Tod ihn auch bey den Feinden von Sparta verehrt gemacht, (denn sei- ne Statue war zu Argos) so ist wahrscheinlich, daß diese Vorstellung auf niemand anders deuten könne. Wollte man annehmen, daß dieser Held bald nach seinem Tode ein Vorwurf der Künstler geworden, welches die rückwerts geschriebene Schrift auf dessen Schilde wahrscheinlich macht, und da dessen Tod zwischen der funfzigsten und sechzigsten Olympias wird zu setzen seyn, so würde die Arbeit dieses Steins uns den Stil von Ana- creons Zeit zeigen. Es würde folglich demselben der bekannte Smaragd des Polycrates, Herrn von Samos, welchen Theodorus, der Vater des Telecles, geschnitten, in der Arbeit ähnlich gewesen seyn. von Marmor. Was die Werke der Bildhauerkunst in diesem ältern Stile betrift, so ich 1) L. 1. c. 82.
I Theil. Viertes Capitel. Spartaner waren in Streit uͤber die Stadt Thyrea, und machten aufbeyden Seiten von jeder Nation dreyhundert Mann aus, die gegen einan- der fechten ſollte, um ein allgemeines Blutvergießen zu verhindern. Dieſe Sechshundert Mann blieben alle auf dem Platze, außer zween von den Argivern, und von den Spartanern dem einzigen Othryades, welcher, ſo toͤdtlich verwundet er war, alle Kraͤfte ſammlete, und von den Waffen der Argiver eine Art eines Siegeszeichens zuſammenlegte. Auf einem von den Schildern deutete er den Sieg auf Seiten der Spartaner mit ſeinem Blute an. Dieſer Krieg geſchah ohngefaͤhr zur Zeit des Croeſus. Die Scribenten, unter welchen Herodotus der erſte iſt 1), ſind verſchieden in Er- zehlung dieſer merkwuͤrdigen Begebenheit; zu dieſer Unterſuchung aber iſt hier nicht der Ort. Die Arbeit des Steins iſt mit Fleiß ausgefuͤhret, und es fehlet den Figuren nicht an Ausdruck: die Zeichnung derſelben aber iſt ſteif und platt, die Stellung gezwungen und ohne Gratie. Wenn wir betrachten, daß keiner von andern Helden des Alterthums, deren Tod merkwuͤrdig iſt, auf gleiche Weiſe ſein Leben geendiget, und daß des Othrya- des Tod ihn auch bey den Feinden von Sparta verehrt gemacht, (denn ſei- ne Statue war zu Argos) ſo iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Vorſtellung auf niemand anders deuten koͤnne. Wollte man annehmen, daß dieſer Held bald nach ſeinem Tode ein Vorwurf der Kuͤnſtler geworden, welches die ruͤckwerts geſchriebene Schrift auf deſſen Schilde wahrſcheinlich macht, und da deſſen Tod zwiſchen der funfzigſten und ſechzigſten Olympias wird zu ſetzen ſeyn, ſo wuͤrde die Arbeit dieſes Steins uns den Stil von Ana- creons Zeit zeigen. Es wuͤrde folglich demſelben der bekannte Smaragd des Polycrates, Herrn von Samos, welchen Theodorus, der Vater des Telecles, geſchnitten, in der Arbeit aͤhnlich geweſen ſeyn. von Marmor. Was die Werke der Bildhauerkunſt in dieſem aͤltern Stile betrift, ſo ich 1) L. 1. c. 82.
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I Theil. Viertes Capitel.
Spartaner waren in Streit uͤber die Stadt Thyrea, und machten auf
beyden Seiten von jeder Nation dreyhundert Mann aus, die gegen einan-
der fechten ſollte, um ein allgemeines Blutvergießen zu verhindern. Dieſe
Sechshundert Mann blieben alle auf dem Platze, außer zween von den
Argivern, und von den Spartanern dem einzigen Othryades, welcher, ſo
toͤdtlich verwundet er war, alle Kraͤfte ſammlete, und von den Waffen der
Argiver eine Art eines Siegeszeichens zuſammenlegte. Auf einem von den
Schildern deutete er den Sieg auf Seiten der Spartaner mit ſeinem
Blute an. Dieſer Krieg geſchah ohngefaͤhr zur Zeit des Croeſus. Die
Scribenten, unter welchen Herodotus der erſte iſt 1), ſind verſchieden in Er-
zehlung dieſer merkwuͤrdigen Begebenheit; zu dieſer Unterſuchung aber iſt
hier nicht der Ort. Die Arbeit des Steins iſt mit Fleiß ausgefuͤhret, und
es fehlet den Figuren nicht an Ausdruck: die Zeichnung derſelben aber iſt
ſteif und platt, die Stellung gezwungen und ohne Gratie. Wenn wir
betrachten, daß keiner von andern Helden des Alterthums, deren Tod
merkwuͤrdig iſt, auf gleiche Weiſe ſein Leben geendiget, und daß des Othrya-
des Tod ihn auch bey den Feinden von Sparta verehrt gemacht, (denn ſei-
ne Statue war zu Argos) ſo iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Vorſtellung
auf niemand anders deuten koͤnne. Wollte man annehmen, daß dieſer
Held bald nach ſeinem Tode ein Vorwurf der Kuͤnſtler geworden, welches
die ruͤckwerts geſchriebene Schrift auf deſſen Schilde wahrſcheinlich macht,
und da deſſen Tod zwiſchen der funfzigſten und ſechzigſten Olympias wird
zu ſetzen ſeyn, ſo wuͤrde die Arbeit dieſes Steins uns den Stil von Ana-
creons Zeit zeigen. Es wuͤrde folglich demſelben der bekannte Smaragd
des Polycrates, Herrn von Samos, welchen Theodorus, der Vater des
Telecles, geſchnitten, in der Arbeit aͤhnlich geweſen ſeyn.
Was die Werke der Bildhauerkunſt in dieſem aͤltern Stile betrift, ſo
fuͤhre ich, wie uͤberhaupt von andern Werken der Kunſt, keine an, als die
ich
1) L. 1. c. 82.
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