gen, und eine Schlange herum geleget. Keine einzige Figur giebt einen so hohen Begriff von dem, was Anacreon einen Bauch des Bacchus nennet.
bb Schön- heit der Gott- heiten männl. Alters, und der Unterschied ei- nes menschl. und vergötter- ten Hercules gezeiget.
Die Schönheit der Gottheiten im männlichen Alter bestehet in einem Inbegriffe der Stärke gesetzter Jahre, und der Frölichkeit der Jugend, und diese bestehet hier in dem Mangel der Nerven und Sehnen, welche sich in der Blüthe der Jahre wenig äußern. Hierinn aber liegt zugleich ein Ausdruck der göttlichen Genugsamkeit, welche die zur Nahrung unsers Körpers bestimmte Theile nicht von nöthen hat; und dieses erläutert des Epi- curus Meynung von der Gestalt der Götter, denen er einen Körper, aber gleich- sam einen Körper, und Blut, aber gleichsam Blut, giebt, welches Cicero 1) dunkel und unbegreiflich gesagt findet. Das Daseyn und der Mangel dieser Theile unterscheiden einen Hercules, welcher wider ungeheure und gewaltsame Menschen zu streiten hatte, und noch nicht an das Ziel seiner Arbeiten ge- langet war, von dem mit Feuer gereinigten, und zu dem Genuß der See- ligkeit des Olympus erhabenen Körper desselben; jener ist in dem Farne- sischen Hercules, und dieser in dem verstümmelten Sturze desselben im Belvedere vorgestellet. Hieraus offenbaret sich an Statuen, die durch den Verlust des Kopfs und anderer Zeichen zweydeutig seyn könnten, ob dieselbe einen Gott, oder einen Menschen vorstellen, und diese Betrachtung hätte lehren können, daß man eine Herculanische sitzende Statue über Le- bensgröße, durch einen neuen Kopf und durch beygelegte Zeichen nicht hätte in einen Jupiter verwandeln sollen. Mit solchen Begriffen wurde die Natur vom Sinnlichen bis zum Unerschaffenen erhoben, und die Hand der Künstler brachte Geschöpfe hervor, die von der Menschlichen Noth- durft gereiniget waren; Figuren, welche die Menschheit in einer höheren Würdigkeit vorstellen, die Hüllen und Einkleidungen bloß denkender Gei- ster und himmlischer Kräfte zu seyn scheinen.
So
1)De Nat. deor. L. 1. c. 18. & 25.
I Theil. Viertes Capitel.
gen, und eine Schlange herum geleget. Keine einzige Figur giebt einen ſo hohen Begriff von dem, was Anacreon einen Bauch des Bacchus nennet.
ββ Schoͤn- heit der Gott- heiten maͤnnl. Alters, und der Unterſchied ei- nes menſchl. und vergoͤtter- ten Hercules gezeiget.
Die Schoͤnheit der Gottheiten im maͤnnlichen Alter beſtehet in einem Inbegriffe der Staͤrke geſetzter Jahre, und der Froͤlichkeit der Jugend, und dieſe beſtehet hier in dem Mangel der Nerven und Sehnen, welche ſich in der Bluͤthe der Jahre wenig aͤußern. Hierinn aber liegt zugleich ein Ausdruck der goͤttlichen Genugſamkeit, welche die zur Nahrung unſers Koͤrpers beſtimmte Theile nicht von noͤthen hat; und dieſes erlaͤutert des Epi- curus Meynung von der Geſtalt der Goͤtter, denen er einen Koͤrper, aber gleich- ſam einen Koͤrper, und Blut, aber gleichſam Blut, giebt, welches Cicero 1) dunkel und unbegreiflich geſagt findet. Das Daſeyn und der Mangel dieſer Theile unterſcheiden einen Hercules, welcher wider ungeheure und gewaltſame Menſchen zu ſtreiten hatte, und noch nicht an das Ziel ſeiner Arbeiten ge- langet war, von dem mit Feuer gereinigten, und zu dem Genuß der See- ligkeit des Olympus erhabenen Koͤrper deſſelben; jener iſt in dem Farne- ſiſchen Hercules, und dieſer in dem verſtuͤmmelten Sturze deſſelben im Belvedere vorgeſtellet. Hieraus offenbaret ſich an Statuen, die durch den Verluſt des Kopfs und anderer Zeichen zweydeutig ſeyn koͤnnten, ob dieſelbe einen Gott, oder einen Menſchen vorſtellen, und dieſe Betrachtung haͤtte lehren koͤnnen, daß man eine Herculaniſche ſitzende Statue uͤber Le- bensgroͤße, durch einen neuen Kopf und durch beygelegte Zeichen nicht haͤtte in einen Jupiter verwandeln ſollen. Mit ſolchen Begriffen wurde die Natur vom Sinnlichen bis zum Unerſchaffenen erhoben, und die Hand der Kuͤnſtler brachte Geſchoͤpfe hervor, die von der Menſchlichen Noth- durft gereiniget waren; Figuren, welche die Menſchheit in einer hoͤheren Wuͤrdigkeit vorſtellen, die Huͤllen und Einkleidungen bloß denkender Gei- ſter und himmliſcher Kraͤfte zu ſeyn ſcheinen.
So
1)De Nat. deor. L. 1. c. 18. & 25.
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I Theil. Viertes Capitel.
gen, und eine Schlange herum geleget. Keine einzige Figur giebt einen ſo
hohen Begriff von dem, was Anacreon einen Bauch des Bacchus nennet.
Die Schoͤnheit der Gottheiten im maͤnnlichen Alter beſtehet in einem
Inbegriffe der Staͤrke geſetzter Jahre, und der Froͤlichkeit der Jugend,
und dieſe beſtehet hier in dem Mangel der Nerven und Sehnen, welche
ſich in der Bluͤthe der Jahre wenig aͤußern. Hierinn aber liegt zugleich
ein Ausdruck der goͤttlichen Genugſamkeit, welche die zur Nahrung unſers
Koͤrpers beſtimmte Theile nicht von noͤthen hat; und dieſes erlaͤutert des Epi-
curus Meynung von der Geſtalt der Goͤtter, denen er einen Koͤrper, aber gleich-
ſam einen Koͤrper, und Blut, aber gleichſam Blut, giebt, welches Cicero 1) dunkel
und unbegreiflich geſagt findet. Das Daſeyn und der Mangel dieſer Theile
unterſcheiden einen Hercules, welcher wider ungeheure und gewaltſame
Menſchen zu ſtreiten hatte, und noch nicht an das Ziel ſeiner Arbeiten ge-
langet war, von dem mit Feuer gereinigten, und zu dem Genuß der See-
ligkeit des Olympus erhabenen Koͤrper deſſelben; jener iſt in dem Farne-
ſiſchen Hercules, und dieſer in dem verſtuͤmmelten Sturze deſſelben im
Belvedere vorgeſtellet. Hieraus offenbaret ſich an Statuen, die durch
den Verluſt des Kopfs und anderer Zeichen zweydeutig ſeyn koͤnnten, ob
dieſelbe einen Gott, oder einen Menſchen vorſtellen, und dieſe Betrachtung
haͤtte lehren koͤnnen, daß man eine Herculaniſche ſitzende Statue uͤber Le-
bensgroͤße, durch einen neuen Kopf und durch beygelegte Zeichen nicht
haͤtte in einen Jupiter verwandeln ſollen. Mit ſolchen Begriffen wurde
die Natur vom Sinnlichen bis zum Unerſchaffenen erhoben, und die Hand
der Kuͤnſtler brachte Geſchoͤpfe hervor, die von der Menſchlichen Noth-
durft gereiniget waren; Figuren, welche die Menſchheit in einer hoͤheren
Wuͤrdigkeit vorſtellen, die Huͤllen und Einkleidungen bloß denkender Gei-
ſter und himmliſcher Kraͤfte zu ſeyn ſcheinen.
So
1) De Nat. deor. L. 1. c. 18. & 25.
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/212>, abgerufen am 16.07.2024.
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