schließet, sondern wir müßen uns begnügen, aus lauter einzelnen Stücken wahrscheinliche Schlüsse zu ziehen.
Die Weisen, welche den Ursachen des allgemeinen Schönen nachge- dacht haben, da sie dasselbe in erschaffenen Dingen erforschet, und bis zur Quelle des höchsten Schönen zu gelangen gesuchet, haben dasselbe in der vollkommenen Uebereinstimmung des Geschöpfes mit dessen Absichten, und der Theile unter sich, und mit dem Ganzen desselben, gesetzet. Da dieses aber gleichbedeutend ist mit der Vollkommenheit, für welche die Mensch- heit kein fähiges Gefäß seyn kann, so bleibet unser Begriff von der allge- meinen Schönheit unbestimmt, und bildet sich in uns durch einzelne Kennt- nisse, die, wenn sie richtig sind, gesammlet und verbunden, uns die höch- ste Idee Menschlicher Schönheit geben, welche wir erhöhen, je mehr wir uns über die Materie erheben können. Da ferner diese Vollkommenheit durch den Schöpfer allen Creaturen in dem ihnen zukommenden Grade ge- geben worden, und ein jeder Begriff auf einer Ursache bestehet, die außer diesem Begriffe in etwas andern gesuchet werden muß, so kann die Ursache der Schönheit nicht außer ihr, da sie in allen erschaffenen Dingen ist, ge- funden werden. Eben daher, und weil unsere Kenntnisse Vergleichungs- begriffe sind, die Schönheit aber mit nichts höherm kann verglichen wer- den, rühret die Schwierigkeit einer allgemeinen und deutlichen Erklärung derselben.
Die höchste Schönheit ist in Gott, und der Begriff der Menschlichen Schönheit wird vollkommen, je gemäßer und übereinstimmender derselbe mit dem höchsten Wesen kann gedacht werden, welches uns der Begriff der Einheit und der Untheilbarkeit von der Materie unterscheidet. Dieser Begriff der Schönheit ist wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geist, welcher sich suchet ein Geschöpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in dem Verstande der Gottheit entworfenen ersten vernünftigen Creatur.
Die
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Von der Kunſt unter den Griechen.
ſchließet, ſondern wir muͤßen uns begnuͤgen, aus lauter einzelnen Stuͤcken wahrſcheinliche Schluͤſſe zu ziehen.
Die Weiſen, welche den Urſachen des allgemeinen Schoͤnen nachge- dacht haben, da ſie daſſelbe in erſchaffenen Dingen erforſchet, und bis zur Quelle des hoͤchſten Schoͤnen zu gelangen geſuchet, haben daſſelbe in der vollkommenen Uebereinſtimmung des Geſchoͤpfes mit deſſen Abſichten, und der Theile unter ſich, und mit dem Ganzen deſſelben, geſetzet. Da dieſes aber gleichbedeutend iſt mit der Vollkommenheit, fuͤr welche die Menſch- heit kein faͤhiges Gefaͤß ſeyn kann, ſo bleibet unſer Begriff von der allge- meinen Schoͤnheit unbeſtimmt, und bildet ſich in uns durch einzelne Kennt- niſſe, die, wenn ſie richtig ſind, geſammlet und verbunden, uns die hoͤch- ſte Idee Menſchlicher Schoͤnheit geben, welche wir erhoͤhen, je mehr wir uns uͤber die Materie erheben koͤnnen. Da ferner dieſe Vollkommenheit durch den Schoͤpfer allen Creaturen in dem ihnen zukommenden Grade ge- geben worden, und ein jeder Begriff auf einer Urſache beſtehet, die außer dieſem Begriffe in etwas andern geſuchet werden muß, ſo kann die Urſache der Schoͤnheit nicht außer ihr, da ſie in allen erſchaffenen Dingen iſt, ge- funden werden. Eben daher, und weil unſere Kenntniſſe Vergleichungs- begriffe ſind, die Schoͤnheit aber mit nichts hoͤherm kann verglichen wer- den, ruͤhret die Schwierigkeit einer allgemeinen und deutlichen Erklaͤrung derſelben.
Die hoͤchſte Schoͤnheit iſt in Gott, und der Begriff der Menſchlichen Schoͤnheit wird vollkommen, je gemaͤßer und uͤbereinſtimmender derſelbe mit dem hoͤchſten Weſen kann gedacht werden, welches uns der Begriff der Einheit und der Untheilbarkeit von der Materie unterſcheidet. Dieſer Begriff der Schoͤnheit iſt wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchoͤpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in dem Verſtande der Gottheit entworfenen erſten vernuͤnftigen Creatur.
Die
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Von der Kunſt unter den Griechen.
ſchließet, ſondern wir muͤßen uns begnuͤgen, aus lauter einzelnen Stuͤcken
wahrſcheinliche Schluͤſſe zu ziehen.
Die Weiſen, welche den Urſachen des allgemeinen Schoͤnen nachge-
dacht haben, da ſie daſſelbe in erſchaffenen Dingen erforſchet, und bis zur
Quelle des hoͤchſten Schoͤnen zu gelangen geſuchet, haben daſſelbe in der
vollkommenen Uebereinſtimmung des Geſchoͤpfes mit deſſen Abſichten, und
der Theile unter ſich, und mit dem Ganzen deſſelben, geſetzet. Da dieſes
aber gleichbedeutend iſt mit der Vollkommenheit, fuͤr welche die Menſch-
heit kein faͤhiges Gefaͤß ſeyn kann, ſo bleibet unſer Begriff von der allge-
meinen Schoͤnheit unbeſtimmt, und bildet ſich in uns durch einzelne Kennt-
niſſe, die, wenn ſie richtig ſind, geſammlet und verbunden, uns die hoͤch-
ſte Idee Menſchlicher Schoͤnheit geben, welche wir erhoͤhen, je mehr wir
uns uͤber die Materie erheben koͤnnen. Da ferner dieſe Vollkommenheit
durch den Schoͤpfer allen Creaturen in dem ihnen zukommenden Grade ge-
geben worden, und ein jeder Begriff auf einer Urſache beſtehet, die außer
dieſem Begriffe in etwas andern geſuchet werden muß, ſo kann die Urſache
der Schoͤnheit nicht außer ihr, da ſie in allen erſchaffenen Dingen iſt, ge-
funden werden. Eben daher, und weil unſere Kenntniſſe Vergleichungs-
begriffe ſind, die Schoͤnheit aber mit nichts hoͤherm kann verglichen wer-
den, ruͤhret die Schwierigkeit einer allgemeinen und deutlichen Erklaͤrung
derſelben.
Die hoͤchſte Schoͤnheit iſt in Gott, und der Begriff der Menſchlichen
Schoͤnheit wird vollkommen, je gemaͤßer und uͤbereinſtimmender derſelbe
mit dem hoͤchſten Weſen kann gedacht werden, welches uns der Begriff
der Einheit und der Untheilbarkeit von der Materie unterſcheidet. Dieſer
Begriff der Schoͤnheit iſt wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener
Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchoͤpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/199>, abgerufen am 16.02.2025.
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