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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Vorrede.
nicht angemerket. Ferner ist der Muse, welche in der Höhle
steht, anstatt des Plectrum eine gerollete Schrift in die
Hand gegeben. Aus einem heiligen Dreyfuße will der Er-
klärer ein Aegyptisches Tau machen, und an dem Mantel
der Figur vor dem Dreyfuße behauptet derselbe drey Zipfel zu
sehen, welches sich ebenfalls nicht findet.

Es ist daher schwer, ja fast unmöglich, etwas gründliches
von der alten Kunst, und von nicht bekannten Alterthümern, aus-
ser Rom zu schreiben: es sind auch ein paar Jahre hiesiges Auf-
enthalts dazu nicht hinlänglich, wie ich an mir selbst nach einer
mühsamen Vorbereitung erfahren. Man muß sich nicht wun-
dern, wenn jemand sagt 1), daß er in Italien keine unbekannte
Inschriften entdecken können: dieses ist wahr, und alle, welche
über der Erde, sonderlich an öffentlichen Orten, stehen, sind der
Aufmerksamkeit der Gelehrten nicht entgangen. Wer aber Zeit
und Gelegenheit hat, findet noch allezeit unbekannte Inschriften,
welche lange Zeit entdecket gewesen, und diejenigen, welche ich
in diesem Werke sowohl, als in der Beschreibung der geschnit-
tenen Steine des Stoßischen Musei, angeführet habe, sind von
dieser Art: aber man muß dieselben zu suchen verstehen, und ein
Reisender wird dieselben schwerlich finden.

Noch viel schwerer aber ist die Kenntniß der Kunst in den
Werken der Alten, in welchen man nach hundertmal wiederse-
hen noch Entdeckungen machet. Aber die mehresten gedenken
zu derselben zu gelangen, wie diejenigen, welche aus Monaths-
schriften ihre Wissenschaften sammeln, und unterstehen sich vom
Laocoon, wie diese vom Homerus, zu urtheilen, auch im An-
gesichte desjenigen, der diesen und jenen viele Jahre studiret hat:

sie
1) Chamillart Lettre 18. p. 101.

Vorrede.
nicht angemerket. Ferner iſt der Muſe, welche in der Hoͤhle
ſteht, anſtatt des Plectrum eine gerollete Schrift in die
Hand gegeben. Aus einem heiligen Dreyfuße will der Er-
klaͤrer ein Aegyptiſches Tau machen, und an dem Mantel
der Figur vor dem Dreyfuße behauptet derſelbe drey Zipfel zu
ſehen, welches ſich ebenfalls nicht findet.

Es iſt daher ſchwer, ja faſt unmoͤglich, etwas gruͤndliches
von der alten Kunſt, und von nicht bekannten Alterthuͤmern, auſ-
ſer Rom zu ſchreiben: es ſind auch ein paar Jahre hieſiges Auf-
enthalts dazu nicht hinlaͤnglich, wie ich an mir ſelbſt nach einer
muͤhſamen Vorbereitung erfahren. Man muß ſich nicht wun-
dern, wenn jemand ſagt 1), daß er in Italien keine unbekannte
Inſchriften entdecken koͤnnen: dieſes iſt wahr, und alle, welche
uͤber der Erde, ſonderlich an oͤffentlichen Orten, ſtehen, ſind der
Aufmerkſamkeit der Gelehrten nicht entgangen. Wer aber Zeit
und Gelegenheit hat, findet noch allezeit unbekannte Inſchriften,
welche lange Zeit entdecket geweſen, und diejenigen, welche ich
in dieſem Werke ſowohl, als in der Beſchreibung der geſchnit-
tenen Steine des Stoßiſchen Muſei, angefuͤhret habe, ſind von
dieſer Art: aber man muß dieſelben zu ſuchen verſtehen, und ein
Reiſender wird dieſelben ſchwerlich finden.

Noch viel ſchwerer aber iſt die Kenntniß der Kunſt in den
Werken der Alten, in welchen man nach hundertmal wiederſe-
hen noch Entdeckungen machet. Aber die mehreſten gedenken
zu derſelben zu gelangen, wie diejenigen, welche aus Monaths-
ſchriften ihre Wiſſenſchaften ſammeln, und unterſtehen ſich vom
Laocoon, wie dieſe vom Homerus, zu urtheilen, auch im An-
geſichte desjenigen, der dieſen und jenen viele Jahre ſtudiret hat:

ſie
1) Chamillart Lettre 18. p. 101.
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[XX/0018] Vorrede. nicht angemerket. Ferner iſt der Muſe, welche in der Hoͤhle ſteht, anſtatt des Plectrum eine gerollete Schrift in die Hand gegeben. Aus einem heiligen Dreyfuße will der Er- klaͤrer ein Aegyptiſches Tau machen, und an dem Mantel der Figur vor dem Dreyfuße behauptet derſelbe drey Zipfel zu ſehen, welches ſich ebenfalls nicht findet. Es iſt daher ſchwer, ja faſt unmoͤglich, etwas gruͤndliches von der alten Kunſt, und von nicht bekannten Alterthuͤmern, auſ- ſer Rom zu ſchreiben: es ſind auch ein paar Jahre hieſiges Auf- enthalts dazu nicht hinlaͤnglich, wie ich an mir ſelbſt nach einer muͤhſamen Vorbereitung erfahren. Man muß ſich nicht wun- dern, wenn jemand ſagt 1), daß er in Italien keine unbekannte Inſchriften entdecken koͤnnen: dieſes iſt wahr, und alle, welche uͤber der Erde, ſonderlich an oͤffentlichen Orten, ſtehen, ſind der Aufmerkſamkeit der Gelehrten nicht entgangen. Wer aber Zeit und Gelegenheit hat, findet noch allezeit unbekannte Inſchriften, welche lange Zeit entdecket geweſen, und diejenigen, welche ich in dieſem Werke ſowohl, als in der Beſchreibung der geſchnit- tenen Steine des Stoßiſchen Muſei, angefuͤhret habe, ſind von dieſer Art: aber man muß dieſelben zu ſuchen verſtehen, und ein Reiſender wird dieſelben ſchwerlich finden. Noch viel ſchwerer aber iſt die Kenntniß der Kunſt in den Werken der Alten, in welchen man nach hundertmal wiederſe- hen noch Entdeckungen machet. Aber die mehreſten gedenken zu derſelben zu gelangen, wie diejenigen, welche aus Monaths- ſchriften ihre Wiſſenſchaften ſammeln, und unterſtehen ſich vom Laocoon, wie dieſe vom Homerus, zu urtheilen, auch im An- geſichte desjenigen, der dieſen und jenen viele Jahre ſtudiret hat: ſie 1) Chamillart Lettre 18. p. 101.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/18>, abgerufen am 24.11.2024.