Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Kunst unter den Persern etc.
Volks von den Juden auch in ihren blühenden Zeiten gerufen wurden, so
könnte es scheinen, daß die schönen Künste, welche überflüßig im Menschli-
chen Leben sind, bey ihnen nicht geübet worden. Es war auch die Bild-
hauerey durch die Mosaischen Gesetze, wenigstens in Absicht der Bildung
der Gottheit in Menschlicher Gestalt, den Juden untersaget. Ihre
Bildung würde unterdessen, wie bey den Phöniciern, zu schönen
Ideen geschickt gewesen seyn; und Scaliger 1) merket von ihren Nachkom-
men unter uns an, daß sich kein Jude mit einer gepletschten Nase finde,
und ich habe diese Anmerkung richtig befunden. Bey dem gemeinen schlech-
ten Begriffe von der Kunst unter diesem Volke, muß dieselbe gleichwohl,
ich will nicht sagen in der Bildhauerey, sondern in der Zeichnung und in künst-
licher Arbeit, zu einem gewissen hohen Grade gestiegen seyn. Denn Nebucad-
nezar führete, unter andern Künstlern, tausend 2), welche eingelegte Arbeit
macheten, nur allein aus Jerusalem mit sich weg: eine so große Menge
wird sich schwerlich in den größten Städten heut zu Tage finden. Das
hebräische Wort, welches besagte Künstler bedeutet, ist insgemein nicht ver-
standen, und von den Auslegern sowohl, als in den Wörterbüchern, unge-
reimt übersetzet und erkläret, auch theils gar übergangen.



Die Kunst unter den Persern verdienet einige Aufmerksamkeit, daII.
Von der
Kunst der
Perser.

sich Denkmale in Marmor und auf geschnittenen Steinen erhalten haben.
Diese letzteren sind walzenförmige Magnetsteine, auch Chalcedonier, undA.
Von Denk-
malen ihrer
Kunst.

auf ihrer Axe durchboret. Unter andern, welche ich in verschiedenen Samm-
lungen geschnittener Steine gesehen habe, finden sich zween 3) in dem Mu-
seo des Hrn. Grafen Caylus zu Paris, welcher dieselben bekannt gemachet
hat: auf dem einen sind fünf Figuren geschnitten, auf dem andern aber zwo,

und
1) In Scaligeran.
2) 2 Reg. c. 24. v. 16.
3) Caylus Rec. d'Antiq. T. 3. pl. 12. n. 2. pl. 35. n. 4.
Winckelm. Gesch. der Kunst. K

Von der Kunſt unter den Perſern ꝛc.
Volks von den Juden auch in ihren bluͤhenden Zeiten gerufen wurden, ſo
koͤnnte es ſcheinen, daß die ſchoͤnen Kuͤnſte, welche uͤberfluͤßig im Menſchli-
chen Leben ſind, bey ihnen nicht geuͤbet worden. Es war auch die Bild-
hauerey durch die Moſaiſchen Geſetze, wenigſtens in Abſicht der Bildung
der Gottheit in Menſchlicher Geſtalt, den Juden unterſaget. Ihre
Bildung wuͤrde unterdeſſen, wie bey den Phoͤniciern, zu ſchoͤnen
Ideen geſchickt geweſen ſeyn; und Scaliger 1) merket von ihren Nachkom-
men unter uns an, daß ſich kein Jude mit einer gepletſchten Naſe finde,
und ich habe dieſe Anmerkung richtig befunden. Bey dem gemeinen ſchlech-
ten Begriffe von der Kunſt unter dieſem Volke, muß dieſelbe gleichwohl,
ich will nicht ſagen in der Bildhauerey, ſondern in der Zeichnung und in kuͤnſt-
licher Arbeit, zu einem gewiſſen hohen Grade geſtiegen ſeyn. Denn Nebucad-
nezar fuͤhrete, unter andern Kuͤnſtlern, tauſend 2), welche eingelegte Arbeit
macheten, nur allein aus Jeruſalem mit ſich weg: eine ſo große Menge
wird ſich ſchwerlich in den groͤßten Staͤdten heut zu Tage finden. Das
hebraͤiſche Wort, welches beſagte Kuͤnſtler bedeutet, iſt insgemein nicht ver-
ſtanden, und von den Auslegern ſowohl, als in den Woͤrterbuͤchern, unge-
reimt uͤberſetzet und erklaͤret, auch theils gar uͤbergangen.



Die Kunſt unter den Perſern verdienet einige Aufmerkſamkeit, daII.
Von der
Kunſt der
Perſer.

ſich Denkmale in Marmor und auf geſchnittenen Steinen erhalten haben.
Dieſe letzteren ſind walzenfoͤrmige Magnetſteine, auch Chalcedonier, undA.
Von Denk-
malen ihrer
Kunſt.

auf ihrer Axe durchboret. Unter andern, welche ich in verſchiedenen Samm-
lungen geſchnittener Steine geſehen habe, finden ſich zween 3) in dem Mu-
ſeo des Hrn. Grafen Caylus zu Paris, welcher dieſelben bekannt gemachet
hat: auf dem einen ſind fuͤnf Figuren geſchnitten, auf dem andern aber zwo,

und
1) In Scaligeran.
2) 2 Reg. c. 24. v. 16.
3) Caylus Rec. d’Antiq. T. 3. pl. 12. n. 2. pl. 35. n. 4.
Winckelm. Geſch. der Kunſt. K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0123" n="73"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Kun&#x017F;t unter den Per&#x017F;ern &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
Volks von den Juden auch in ihren blu&#x0364;henden Zeiten gerufen wurden, &#x017F;o<lb/>
ko&#x0364;nnte es &#x017F;cheinen, daß die &#x017F;cho&#x0364;nen Ku&#x0364;n&#x017F;te, welche u&#x0364;berflu&#x0364;ßig im Men&#x017F;chli-<lb/>
chen Leben &#x017F;ind, bey ihnen nicht geu&#x0364;bet worden. Es war auch die Bild-<lb/>
hauerey durch die Mo&#x017F;ai&#x017F;chen Ge&#x017F;etze, wenig&#x017F;tens in Ab&#x017F;icht der Bildung<lb/>
der Gottheit in Men&#x017F;chlicher Ge&#x017F;talt, den Juden unter&#x017F;aget. Ihre<lb/>
Bildung wu&#x0364;rde unterde&#x017F;&#x017F;en, wie bey den Pho&#x0364;niciern, zu &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Ideen ge&#x017F;chickt gewe&#x017F;en &#x017F;eyn; und Scaliger <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">In Scaligeran.</hi></note> merket von ihren Nachkom-<lb/>
men unter uns an, daß &#x017F;ich kein Jude mit einer geplet&#x017F;chten Na&#x017F;e finde,<lb/>
und ich habe die&#x017F;e Anmerkung richtig befunden. Bey dem gemeinen &#x017F;chlech-<lb/>
ten Begriffe von der Kun&#x017F;t unter die&#x017F;em Volke, muß die&#x017F;elbe gleichwohl,<lb/>
ich will nicht &#x017F;agen in der Bildhauerey, &#x017F;ondern in der Zeichnung und in ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
licher Arbeit, zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en hohen Grade ge&#x017F;tiegen &#x017F;eyn. Denn Nebucad-<lb/>
nezar fu&#x0364;hrete, unter andern Ku&#x0364;n&#x017F;tlern, tau&#x017F;end <note place="foot" n="2)">2 <hi rendition="#aq">Reg. c. 24. v.</hi> 16.</note>, welche eingelegte Arbeit<lb/>
macheten, nur allein aus Jeru&#x017F;alem mit &#x017F;ich weg: eine &#x017F;o große Menge<lb/>
wird &#x017F;ich &#x017F;chwerlich in den gro&#x0364;ßten Sta&#x0364;dten heut zu Tage finden. Das<lb/>
hebra&#x0364;i&#x017F;che Wort, welches be&#x017F;agte Ku&#x0364;n&#x017F;tler bedeutet, i&#x017F;t insgemein nicht ver-<lb/>
&#x017F;tanden, und von den Auslegern &#x017F;owohl, als in den Wo&#x0364;rterbu&#x0364;chern, unge-<lb/>
reimt u&#x0364;ber&#x017F;etzet und erkla&#x0364;ret, auch theils gar u&#x0364;bergangen.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <p>Die Kun&#x017F;t unter den Per&#x017F;ern verdienet einige Aufmerk&#x017F;amkeit, da<note place="right"><hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
Von der<lb/>
Kun&#x017F;t der<lb/>
Per&#x017F;er.</note><lb/>
&#x017F;ich Denkmale in Marmor und auf ge&#x017F;chnittenen Steinen erhalten haben.<lb/>
Die&#x017F;e letzteren &#x017F;ind walzenfo&#x0364;rmige Magnet&#x017F;teine, auch Chalcedonier, und<note place="right"><hi rendition="#aq">A.</hi><lb/>
Von Denk-<lb/>
malen ihrer<lb/>
Kun&#x017F;t.</note><lb/>
auf ihrer Axe durchboret. Unter andern, welche ich in ver&#x017F;chiedenen Samm-<lb/>
lungen ge&#x017F;chnittener Steine ge&#x017F;ehen habe, finden &#x017F;ich zween <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Caylus Rec. d&#x2019;Antiq. T. 3. pl. 12. n. 2. pl. 35. n.</hi> 4.</note> in dem Mu-<lb/>
&#x017F;eo des Hrn. Grafen Caylus zu Paris, welcher die&#x017F;elben bekannt gemachet<lb/>
hat: auf dem einen &#x017F;ind fu&#x0364;nf Figuren ge&#x017F;chnitten, auf dem andern aber zwo,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Winckelm. Ge&#x017F;ch. der Kun&#x017F;t</hi>. K</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0123] Von der Kunſt unter den Perſern ꝛc. Volks von den Juden auch in ihren bluͤhenden Zeiten gerufen wurden, ſo koͤnnte es ſcheinen, daß die ſchoͤnen Kuͤnſte, welche uͤberfluͤßig im Menſchli- chen Leben ſind, bey ihnen nicht geuͤbet worden. Es war auch die Bild- hauerey durch die Moſaiſchen Geſetze, wenigſtens in Abſicht der Bildung der Gottheit in Menſchlicher Geſtalt, den Juden unterſaget. Ihre Bildung wuͤrde unterdeſſen, wie bey den Phoͤniciern, zu ſchoͤnen Ideen geſchickt geweſen ſeyn; und Scaliger 1) merket von ihren Nachkom- men unter uns an, daß ſich kein Jude mit einer gepletſchten Naſe finde, und ich habe dieſe Anmerkung richtig befunden. Bey dem gemeinen ſchlech- ten Begriffe von der Kunſt unter dieſem Volke, muß dieſelbe gleichwohl, ich will nicht ſagen in der Bildhauerey, ſondern in der Zeichnung und in kuͤnſt- licher Arbeit, zu einem gewiſſen hohen Grade geſtiegen ſeyn. Denn Nebucad- nezar fuͤhrete, unter andern Kuͤnſtlern, tauſend 2), welche eingelegte Arbeit macheten, nur allein aus Jeruſalem mit ſich weg: eine ſo große Menge wird ſich ſchwerlich in den groͤßten Staͤdten heut zu Tage finden. Das hebraͤiſche Wort, welches beſagte Kuͤnſtler bedeutet, iſt insgemein nicht ver- ſtanden, und von den Auslegern ſowohl, als in den Woͤrterbuͤchern, unge- reimt uͤberſetzet und erklaͤret, auch theils gar uͤbergangen. Die Kunſt unter den Perſern verdienet einige Aufmerkſamkeit, da ſich Denkmale in Marmor und auf geſchnittenen Steinen erhalten haben. Dieſe letzteren ſind walzenfoͤrmige Magnetſteine, auch Chalcedonier, und auf ihrer Axe durchboret. Unter andern, welche ich in verſchiedenen Samm- lungen geſchnittener Steine geſehen habe, finden ſich zween 3) in dem Mu- ſeo des Hrn. Grafen Caylus zu Paris, welcher dieſelben bekannt gemachet hat: auf dem einen ſind fuͤnf Figuren geſchnitten, auf dem andern aber zwo, und II. Von der Kunſt der Perſer. A. Von Denk- malen ihrer Kunſt. 1) In Scaligeran. 2) 2 Reg. c. 24. v. 16. 3) Caylus Rec. d’Antiq. T. 3. pl. 12. n. 2. pl. 35. n. 4. Winckelm. Geſch. der Kunſt. K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/123
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/123>, abgerufen am 24.11.2024.